Die Sache mit der verlorenen Freiheit.

03.08.2011 Leben, Allgemein


Ich bin frei. Weil meine Finger nicht wundgescheuert sind von kalt-gerosteten Stahlgittern, die mich gefangen halten wie ein Tier. Ich bin frei, weil meine Gedanken niemand hören kann, weil ich jeden Morgen aufstehe, um in jeder folgenden Sekunde eine neue Entscheidung zu treffen. Der Mensch ist zu Freiheit verdammt. Dazu, sich für jeden Schritt rechtfertigen zu müssen, wenn auch nur vor sich selbst. Dazu, immer etwas tun zu müssen, egal was; wer nichts tut ist nichts wert. Sind wir frei? Und wollen wir überhaupt frei sein? Wir sind gefangen. Alle. Irgendwie und irgendwo.

Freiheit bedeutet, dass du nichts mehr zu verlieren hast. Wenn du frei bist, ist alles andere verpufft. In tausend unsichtbaren Fetzen fliegen kleine Teile all dessen durch die Luft, was du gestern noch Leben nanntest. Sie setzen sich auf deine Nasenspitze, kitzeln dich noch einmal ganz sanft, um dann für immer zu verschwinden. Wenn du frei bist, hast du nichts mehr. Wenn du frei bist, bist du so gut wie tot. Wie also kann ein Begriff wie dieser so vollgestopft mit Utopie-Gedanken sein? Schon Lincoln wusste, dass „die Welt noch nie eine gute Definition des Wortes Freiheit gefunden hat„. Ganz offensichtlich liegt das daran, dass es gar kein gutes Wort ist. Denn wie immer im Leben kommt keine Seite ohne Kehrseite aus. Nicht alles ist schwarz oder weiß, meistens liegt uns vielmehr eine grau-matschige Masse zu Füßen. Eine Masse, in der Gut und Böse verschwimmen, eine Masse, die alle Regeln verschluckt und zu Ratlosigkeit verdaut. Freiheit, was ist das?

Ist Freiheit überhaupt Definitionssache? Eher wohl die Aneinanderreihung verschiedenster Theorien, ein Ball aus Gedankenwust. Ein Versuch: Mit deiner Geburt verlierst du alle Freiheit. Und könntest du sie halten, so wäre dein Grab schon längst geschaufelt. Du bist angewiesen auf die Brust deiner Mutter, auf schützende Hände. Im Freisein wärst du allein. Ganz er selbst sein darf jeder nur, so lange er allein ist. Wer also nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit; denn nur wenn man allein ist, ist man frei. Willst du frei sein?

Niemals mehr wirst du so frei sein wie in den ersten Monaten deines Lebens. Kein Kopf steht dir im Weg und kein Gedanke. Du existierst ohne zu handeln oder denken, keine Zwänge, keine Erwartungen. Jedenfalls weißt du nicht, dass du bald sprechen, laufen und lachen musst. Fang an und verabschiede dich von Leichtigkeit und leiser Freiheit. Schule, Sport, Freunde. Jeder schaut jetzt nur auf dich. Ich hoffe, du machst deine Sache gut.

Du bist immer frei, dein eigener Held. Du entscheidest über jeden deiner Schritte, entscheidest dich für das Leben. Dafür, dich ganz langsam in das Gesamtgefüge aus sozialen Verstrickungen einzunisten. Dir einen wohlig-sicheren Cocoon aus abertausenden Anspruchsfetzen zusammenzubasteln. Außen die harte getrocknete Schale, die dein Innerstes beschützt. Darunter bist du zerbrechlich, zerrissen von dem, was man Anpassung nennt. Und jetzt sag mir: Bist du frei?

Nur die Gedanken sind frei. Alles andere tust du mit Bedacht auf deinen Nächsten. Gino Cervi hat recht, wenn er sagt: „Ich habe immer mehr den Eindruck, dass man Freiheit mit Frechheit verwechselt.“ Wer glücklich sein will, kann nicht frei sein. Denn wer komplett frei ist, eckt an, begeht Fehler, fällt aus seinem Bett, das von Erwartungen und Sicherheit getragen wird. Mach dich fort, lauf weg so weit du kannst. Frei wirst du dadurch nicht, bloß schwereloser. Und dann, wenn du dich am leichtesten fühlst, befreit von allem Zwang, trifft es dich am schwersten. Dir wird klar: Ich bin nicht frei. Niemals. Sorgen, Erinnerungen, Bedürfnisse. Du bist gefangen in einem teuflischen Kreis aus der immerwiederkehrenden Erkenntnis, niemals ankommen zu können. An diesem Ort, der nach Freiheit riecht. Denn dieser Ort ist nichts als Illusion, eine Phantasterei der Menschen. Freiheit ist nichts als ein Wunschgedanke, der niemals real werden wird. Niemals wirst du frei sein, weil jeder Atemzug dir Grenzen aufweist. Du kannst nur eins tun: So nah wie möglich an das Ideal herankommen.

Vielleicht hat Immanuel Kant ohne es zu wissen, die beste der existierenden Definitionen von Freiheit geliefert: „Ich kann, weil ich will, was ich muss.“ Du kannst nur dann frei sein, wenn du willst, was du tust. Ideal erreicht.

(Bilder via edith, 1.Zitat: Sartre)

2 Kommentare

  1. micca

    Philosophisch die Nike. Toll in Worte verpackt, was viele unermüdlicheFreiheitskämpfer unter uns wohl nach und nach zu spüren bekommen. Und doch wusste Mutti früher schon:Kind dein Job muss spass, machen, da hilft alles Geld der Welt nicht. Gruss. M.

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