Der veränderte Blick auf dünne Körper.

22.08.2011 Leben

Meine Mutter fragt oft, was alle Mütter fragen: „Kind, isst du denn auch genug?“ Klaro. In letzter Zeit waren es deshalb viel eher Bekannte und Freunde, die dem wahrhaftigen Problem auf den Zahn fühlten. Nämlich: „Sag mal, wird man nicht ein bisschen Plemplem, wenn man tagtäglich nur so dünne ModeModelMädchenBilder sieht?“ Ja, das wird man. Allerdings brauchte ich ein wenig Zeit, um mir selbst eingestehen zu können, dass was dran ist am Klischee. Ein kurzer Gedankengang.

Ich meckere ja furchtbar gern. So war ich auch immer an vorderster Front mit dabei, wenn es galt, den Magerwahn rot anzukreiden. Gechimpft habe ich über sie, die allzu dürren Models, über Freundinnen, die frei raus gestanden, auf herausstehende Hüft- oder Schlüsselbeinknochen zu stehen. „Das darf ja wohl nicht wahr sein“ und „verdammt, was für eine kranke Gesellschaft“ zählten wohl zu meinen Lieblingssätzen. Und dann, in diesem Jahr, folgte ein Schlüsselmoment, wegen welchem ich noch heute die Hände über dem Kopf zusammen schlage – und zwar ob meiner selbst. Da saß ich also tatsächlich dort auf meinem Stühlchen, während der diesjährigen Fashion Show von unserer üppigen 50er-Jahre-verliebten Lena Hoschek und dachte ganz still und heimlich: Irgendwie sieht das an den etwas zu runden Models billiger aus als an den ganz, ganz schlanken. Poom. Ich dachte plötzlich, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank und erschrak vor mir selbst. Die paar Models auf dem Laufsteg, die ausnahmsweise mal keine Striche in der Landschaft waren, brachten bei einer Körpergröße von 1,75m doch trotzdem nicht mehr als 58 Kilogramm auf die Wage – mir war also offensichtlich schon ein ganz normales Frauen-Becken zu üppig? Jap, Tatsache.

Ich scrolle mich also von Montagmorgen bis Freitagabend durch Blogs, blättere durch Magazine und bekomme das heutige Schönheitsideal quasi auf dem Präsentierteller serviert. Es ist doch so: Wo viel Angebot ist, da gibt es nichts bewundernswerteres als eiserne Disziplin. „Sei diszipliniert, dünn und durchtrainiert“, suggerieren mir all diese Bilder. Das Trippel-D, der Teufel. Und so langsam hat er es sich auf meiner linken Schulter bequem gemacht. Um dafür zu sorgen, dass auch ich ganz langsam den gesunden Blick auf die hiesige Körperwelt verliere. Der einzige Wehrmutstropfen: Zumindest unterscheide ich zwischen zwei Welten.

Denn was ich auf all den schimmerigen Hochglanzbildern sehe, ist eine Parallelwelt, die Traumblubberblase des Modekosmos. In ihr sind alle sehr schlank und perfekt und schön (augenscheinlich essgestörte Models wie das rechte, abschreckende Beispiel, nehme ich selbsredend aus meinen Vergleichen heraus, bei allen anderen schmal-gewachsenen Damen unterlasse ich jegliche Spekulationen über deren Gesundheitszustand). Wenn ich aber Abends nach Hause gehe, Freunde treffe und so dies und das treibe, dann würde ich niemals auf den Gedanken kommen, ein normalsterbliches Mädchen wegen ihres eventuell sogar üppigen Gewichts auch nur ansatzweise unhübscher zu finden, als eine der gesund-schlanken Sorte. Oft ist es sogar anders herum. Was aber, wenn ich mich auf abendlichen Veranstaltungen dieses Minikosmoses befinde? Ja, auch dann schlägt das verzerrte Weltbild wieder zu.

Meist habe ich dann nämlich das Gefühl, es gäbe beinahe keine Frau in diesem Wunderland, welche eine größere Größe als die magische 38 über ihren Hintern zieht. Und dann denke auch ich manchmal „Hm, vielleicht verkneife ich mir das dritte Umsonst-Erdbeertörtchen dann eventuell doch“ und kann mir gleichzeitig nicht erklären, wie das wohl sein kann, dass die alle so zierlich sind.

Es stimmt also vielleicht wirklich. Der Mensch neigt dazu, sich an Dinge und Gegebenheiten zu gewöhnen, abzustumpfen. Und so vielleicht auch an Bilder und Körperformen? Zumindest verkümmert er irgendwie. Lässt Prinzipien fallen wie getragene Socken, vergisst seine Ideale. „Hauptsache ich fühle mich wohl“, sagt man doch immer. Was aber, wenn man sich plötzlich nicht mehr mit den Beinen, die da an einem dran hängen, sehen lassen will? Achtet man unbewusst auf das, was auf dem Teller landet? Mag man etwa plötzlich keine Pommes mehr, weil sich irgendwo heimlich ein Chip ins Hirn gepflanzt hat, der ganz linkisch auf’s Gewissen drückt?

Ich glaube, dass sehr viele Mädchen vielleicht sogar ganz unterbewusst diesem heimlichen Konkurrenzkampf der perfekten Körper erliegen und ich weiß nicht, wie unsere Gesellschaft da jemals wieder rauskommen will. Es ist ein bisschen wie bei diesen Handwerker-Portalen, auf denen sich alle im Preis unterbieten müssen, um am Ende wenig Geld zu verdienen. Keiner mag so etwas gern zugeben, aber alle machen mit. Und dann sitzt der Teufel irgendwann mitten in der Runde und keiner hat’s gemerkt, weil keiner drüber spricht. „Verdammt, was für eine kranke Gesellschaft“, nicht wahr?

 

 

5 Kommentare

  1. Katharina

    Liebe Nike,
    Danke für diesen ehrlichen Post.

    Man fühlt sich tatsächlich ein wenig hin und her gerissen zwischen den Welten. Auf der einen Seite findet man diese furchtbar dünnen Models und Schauspielerinnen abschreckend, aber auf der anderen Seite erwischt man sich dabei wie man bei einem Größe 38 Model schon mal denkt: Hm…ganz schön kurvig! Ich selbst gehöre zu den Janes, die „normal“ sind – eher kurviger als dünn. Und es gibt Tage da ist das auch ok. Aber prinzipiell ist weniger doch schon besser, obwohl man weiß, dass es nicht unbedingt gesünder ist oder besser aussieht. Und auch wenn ich sonst eher zu denen gehöre, die zu dünne Mädels kritisieren, erwische ich mich schon häufiger dabei, dass ich hin und wieder mal auf’s Essen verzichte, wenn ich mir zu „groß“ für meine Hosen vorkomme oder Photos von knochigen Models lieber anschaue als die von Kurvigen. Mal ganz davon abgesehen, dass das was häufig als kurvig bezeichnet wird auch nicht wirklich kurvig ist…meistens ist das auch „nur“ Größe 36/ 38.

    Ja, ist schon irgendwie ne kranke Gesellschaft…aber es gibt eben immer jemanden der/ die weiter macht und noch dünner wird!

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  2. Alma

    Ob Zara oder Magerwahn – ihr macht euch als einer der wenigsten noch wirkliche Gedanken und hinterfragt Mode – und Magerwahn!
    Gerne gelesen!!!

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  3. Ines

    erinnert mich stark an den artikel von garance doré. nur dass sie das ganze mittlerweile noch mehr auf sich selbst zu beziehen scheint.
    http://www.garancedore.fr/en/2011/08/16/changing-lifestyle-new-york-skinny-vs-paris-skinny/

    ich finde das ganze auch ziemlich schwierig. für mich selber muss ich sagen, dass ich besonders dünne beine und schmale taillen bewundere. auch im alltag. das hat nicht unbedingt was mit meinem allgemeinen schönheitsbild zu tun, sehr wohl aber mit meiner sicht auf die klamottenfrage. an dünnen mädchen finde ich viele kleidungsstücke einfach schöner.
    und so fühle ich mich mit mir selbst meist sehr wohl, nur hin und wieder gibt es diese stimme in meinem kopf, die mich klamotten, die ich im geschäft noch total gut fand, nicht anziehen lässt. weil meine oberschenkel zu dick sind. oder meine oberarme. oder mein bauch. oder was weiß ich. eigentlich ganz schön bescheuert.
    aber da wir uns von der modewelt schon diktieren lassen, WAS wir anziehen, sollten wir und wohl nicht wundern wenn sie uns auch diktieren, WER die sachen anzuziehen hat.

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  4. Melissa

    Sehr interessantes Thema. Ich selber habe nun den Fuß in die Mode Welt gesetzt und darf mich Designerin nennen.
    Mager-Models ein Thema was wohl leider nie versiegen wird bzw. zum Glück, solange dieser Wahnsinn noch immer besteht.
    Zum Glück wurde inzwischen ein mindest Maß auf den meisten Modenschauen und auch bei diversen Model Agenturen durchgesetzt. Leider noch nicht bei allen.
    Aus der Sicht einer Designerin ist zu sagen, dass leider viele Modelle an schlanken Models wirklich gut wirken und verkauft werden können. Doch wo fängt schlank und dünn an?
    Für mich persönlich muss der Körper proportional zu einander passen. Es kommt auf die Veranlagung an. Selbst mit Größe 40 und 42 kann man eine wunderschöne Figur haben und viele Kleidungsstücke passen. Nicht alle, aber das ist normal. So sehen zum Beispiel Kleider in denen man Brust braucht auch nur gut aus bei solchen dir Brust haben.
    Wenn man Abendkleider auf dem Laufsteg sieht, dann sehen die Kleider nur selten wirklich gut aus, weil im Brustbereich einfach etwas fehlt.
    Bei meiner Abschluss Show hatte ich wunderhübsche schlanke Mädchen Gr. 34 – 38. Die alle nicht mager aussahen, dass man ihnen am Liebsten Essen auf den Laufsteg werfen wollte. Sie hatten alle weibliche Rundungen und Kurven.
    Ich habe aber auch eine Freundin, die mega dünn ist. Aber sie ist ein sehr sportlicher Typ und macht viel Sport, hat einen sehr guten Stoffwechsel und isst völlig normal.
    Hier ist wieder die Veranlagung im Spiel.
    Ich für meinen Teil würde für meine Mode NIEMALS jemanden wie auf Foto Nr. 3 nehmen. Da bevorzuge ich Foto Nr. 1 !!!
    Nur daran kann man Mode wirklich verkaufen, meine Meinung.

    Man sollte viel mehr auf dieses Thema aufmerksam machen und jungen wunderhübschen Mädchen klar machen, dass nicht jede Size 0 tragen kann. Es ist nun mal auch Veranlagung wie der Körper aussieht.
    Von oben kriegen wir vor gemacht wie wir sein sollen. Das aber hier und dort gepfuscht wird und das Models Problemzonen haben interessiert niemanden, außer es wird ins Lächerliche gezogen.
    Nicht zu vergessen Photoshop!!! Was wären all die tollen Stars ohne Photoshop? Genau so normal wie wir alle.

    Ich hoffe wirklich, dass die Modewelt weiterhin darauf achtet und Model Agenturen verbietet Mager-Models auf den Laufsteg zu schicken und mehr Aufklärung dies bezüglich betreibt.

    Danke für den Artikel!!!

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