Die Sache mit dem Fudeln, oder:
#IMPERFECT = PERFECT

18.09.2015 Gesellschaft, Mode

imperfectMeine Freundin Luise hat von ihrer Mutter einen Selfiestick zum Geburtstag geschenkt bekommen, was richtig „Fesches, mein Kind“ also, etwas, das man im Moment der Übergabe am liebsten demonstrativ beschämt zurück in die Geschenkpapierwurst rollen möchte, um irgendwann dann doch noch zu kapitulieren und dem Teleskop-Arms selig jauchzend entgegen zu blicken, knutschend, grinsend, zungenrollend. Fotos vom eigenen Antlitz schießen, am besten von schräg oben, das war vor ein paar Jahren noch derart Banane, dass sich ausschließlich hemmungslose Teenager dieser Praxis widmeten. Heute ist sie in etwa so präsent wie das Avocadobrot im Social Web.

Aber: Noch nie stand die bebilderte Selbstoptimierung in einem derart großen Kontrast zum Selbstbewusstsein ihrer Jünger. Am anderen Ende des China-Stabs hängen in den allermeisten Fällen nämlich vor allem Zweifel, Unzufriedenheit und Komplexe. Weil das Gras der Schönheit woanders immer grüner scheint. Weil wir trotz des ausreichend vorhandenen Wissens über Filter, Überbelichtung und Schokoladenseiten gerne vergessen, dass Perfektion eine nicht existente Utopie ist, eine, die einzig erdacht wurde, um das gigantische Hamsterrad der konstanten Fehlersuche in Gang zu halten. Weil die permanente Überstilisierung unseres Alltags zu einer erschreckend ausgeprägten Version von Realitätsverlust führt. John Legend ist zwar kein Geisteswissenschaftler, singt mit seinen vor Romantik triefendem Zeilen „(…) All your perfect imperfections“ aber im Grunde das Allerwichtigste: Imperfect und I’m perfect gehören zusammen wie Paris und der Eiffelturm. Esprit befeuert dieses Bewusstsein derzeit mit einer Kampagne, von der wir euch hier bereits berichteten. Zwar nicht ohne Gegenwind, aber wir bleiben dabei: Wenn ein Unternehmen es schafft, dass wir wieder vermehrt über das sprechen, was uns wirklich liebenswert und zum Gegenteil von öden Abziehbildern macht, dann hüllen wir uns gerne in doppeldeutige Hashtags wie #imperfect.

imperfect espritEs ist nämlich so, dass ich nicht selten selbst in die Fänge von Vergleichen gerate. Die Haare von Gilda Ambrosio machen mich regelmäßig fertig. Aris Wohnung auch. Und fangen wir erst gar nicht mit Pandora Sykes Kleiderschrank an. Dass beim Anblick meines eigenen Instagram-Feeds ähnliche Gedanken aufkommen können, war mir lange nicht bewusst, was vornehmlich daran liegt, dass ich weiß, wie es hinter meinen Kulissen aussieht. Nämlich vogelnasig, staubmäusig und immer häufiger auch pickelig. Ich hege und pflege nicht nur einen Makel, sondern mindestens dreizehn. Bloß habe ich mich mit 27 Jahren endlich mit ihnen angefreundet. Und muss regelmäßig schallend lachend, wenn ich die 83 Schnappschüsse meines jeweiligen Outfits durchsehe, um einen einzigen zu finden, der mich nicht als völliges Äffchen dastehen lässt, ich bin nämlich ein Körperklaus.

Haltungsnote minus zehn, Laptopbuckel. Flunderflacher Po, nur Rücken mit Ritze. Wenn ich lache, rutscht mir manchmal ausversehen das Kinn Richtung Hals, mir fehlen echte Schneidezähne, die hat mir das Universum von Beginn an unterschlagen, was dazu führt, dass in der Mitte meines Mundes keine elegante Zahnlücke, sondern ein Königszahn thront, trotz zwölf Zahnspangenlebensjahren inklusive Bogen. Asymmetrie ist mein zweiter Vorname. Linkes Auge kleiner als rechte, deshalb seht ihr mich meistens mit schief gehaltenem Kopf, der seines Zeichens übrigens stetig toupiert wird. Seit ich Mutter bin, sind meine Brüste eine Etage tiefer gerutscht und meine Oberarme können winken, obwohl sie schlank sind. Meine Zehen sind lang wie Finger, früher dachte ich, man hätte mir ein Gelenk zu viel geschenkt. Die Härchen darauf muss ich zupfen. Vorgestern fand ich auf dem Kopf eine Strähne mit vierfach-Spliss, ein neuer Rekord. Zum Mäuse melken, aber vor allem: Gern haben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es wäre, lägen meine Freunde nicht mehr regelmäßig unterm Pizzatisch, weil mir vor lauter Freude die Sache mit dem Kinn wieder passiert ist. Wie es wäre, würde meine Oma beim Teebesuch darauf verzichten, über meinen nicht vorhanden Hinterkopf zu tätscheln, um mir daraufhin die dreihundertste „Das hast du von deinem Opa Edmund“-Führung durch die Galerie im Wohnzimmer aufzuschwatzen. Mein Papa hingegen wird nicht müde, uns mit Hobbits zu vergleichen, er ist Riesenfan, von Tolkien und unseren Füßen. Mein Po bringt selbst Sarah Jane zum schallenden Tränenvergießen, jedes Mal, wenn ich breitbeinig, mit verrutschter Hose und „Ich präsentiere: Manni!“ schreiend über den Bürgersteig stampfe. Gott, was wäre das scheiße. Wenn das alles nicht wäre. Klonhausen. Deshalb: #imperfect forever.

Esprit imperfectesprit
Die Kollektion zur #Imperfect Kampagne ist übrigens ab sofort online erhältlich – ich bin Fan vom Mantel – selbst gekauft, weil verliebt.

Mantel hier, Bluse hier, Hose hier.
Mitmachen bei der Hashtag-Kampagne kann man natürlich noch immer: #imperfect #esprit.
Oder hier entlang.

– In freundlicher Zusammenarbeit mit Esprit – 

21 Kommentare

  1. Lara

    Nike, ganz ganz ganz viel liebe an dich und deinen artikel. Ich möchte ihn am liebsten ausdrucken und im schicki-protzigen-Bussi-Bussi-Barbie München verteilen :)!

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  2. Chrissie

    … ach, das mit den 83 Fotos kenne ich auch :D! Die Esprit Kampagne mag ich eigentlich ganz gern die Idee der Doppeldeutigkeit hat mir gefallen. Dein Mantel gefällt mir ganz eindeutig auch 😉

    GLG aus der EDELFABRIK
    Chrissie

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  3. Franzi

    Tolle Worte- wie immer … ich erwische mich auch oft dabei. Aber eigentlich wissen wir es ja besser. Niemand ist perfekt und niemand sollte diesen Zustand anstreben wollen. Eigentlich …

    Liebst Franzi

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  4. Julia-Maria

    Esprit hätte dich nicht nur die Kampagne begleiten, sondern umsetzen lassen sollen! Ein fabelhafter Text, der die Message wirklich verkörpert – anders als die perfekt ausgeleuchteten Models der Kampagne!

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    1. Nike Jane Artikelautorin

      Haha, oh Gott, ich kann nicht mehr – seit gerade weiß ich, dass „fudeln“ rheinländisch ist. Fuschen! Schwindeln! Herrgott, hallo Heimat <2

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      1. Ameli

        fimschig ist auch so’n Wort wegen dem man außerhalb des Rheinlandes schräg angeschaut wird… Dabei ist es so großartig.

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  5. Verena

    herje, wieso kann ich denn den text nicht sehen? habe ich irgendeinen blocker aktiviert oder bearbeitest du ihn gerade? hatte sonst noch nie probleme.

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  6. Kali P.

    Mich juckt das manchmal irgendwie gar nicht. Da mach ich drei Bilder, weil irgendwas gewackelt hat und dann is jut. Aber auf Selfies hatte ich mich sowieso immer, darum lasse ich den Schmus einfach sein. Ich treffe mich eher mit einem Apfel selbst am Kopf als ebenjenen in das #InstaQuadrat.
    Außerdem hab ich ein Schulter-Problem.
    Liebst
    Kali von Miss Bellis Perennis

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  7. Maxi

    Ein <3 für Körperklaus & Bewegungsjürgen!
    Mein liebstes Rheinland-Wort (aus Köln) ist übrigens das wunderbare "lepsch" und zu "fudeln" haben wir zuhause immer "fuckeln" gesagt.

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  8. larissa

    oh liebe nike, vielen Dank! Ich dachte immer ich wäre die einzige mit so verqueren zähnen 😀 vielleicht lerne ich in ein paar Jahren auch trotz allem laut darüber zu lachen 🙂 tausend herzen aus Neuss!

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