INTERVIEW // „Der Terror ist plötzlich ganz nah“ – Prune Antoine über ihre Freundschaft zu einem angehenden Terroristen

07.01.2016 Gesellschaft, box1

Prune AntoineGenau ein Jahr ist der Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo her, die Anschläge von November sind nur wenige Wochen alt – der Terror ist plötzlich ganz nah. Prune Antoine, französische Journalistin in Berlin, hat einen angehenden Dschihadisten getroffen, sich mit ihm angefreundet und ein Buch drüber geschrieben.

„Das war eine spontane Idee, ich habe erstmal gar nicht drüber nachgedacht. Ich wusste nur, dass ich ihn irgendwie interessant finde“, sagt Prune. Es ist Anfang Dezember und gegen 16 Uhr schon fast dunkel. Wir sitzen im Café Altes Europa in Berlin Mitte: Welcher Ort wäre besser geeignet für ein Treffen zwischen einer Französin und einer Deutschen? Dieses alte Europa, dem wir angehören, ist gerade in den Krieg gezogen, gegen den selbsternannten Islamischen Staat (IS), auch wenn deutsche Politiker im Gegensatz zu französischen lieber nicht von „Krieg“ sprechen wollen. Prune, 34, ist freie Journalistin und lebt seit 2008 in Berlin. Sie hat einen getroffen, der auch in den Krieg ziehen wollte – für den IS. Darüber hat sie ein kleines, feines Buch geschrieben: La fille et le moudjahidine (Das Mädchen und der Mudschahed*).

„Keine Angst vor gar nichts“

Alles beginnt im Sommer 2013. Prune sonnt sich à la française (sprich: oben ohne) an einem Berliner See. Ihr journalistisch geschulter, immer neugieriger Blick fällt auf einen jungen Mann, der mit seiner dunklen Haut und seiner breitschultrigen Haltung aus der Masse tuberkulös-blasser bis krebsrot gefärbter Sonnenanbeter hervorsticht. Prune, die für ihre Reportagen viel in Osteuropa, Russland, dem Kaukasus unterwegs ist, hört, dass er sich mit seinen Begleitern auf Russisch unterhält. Kurzentschlossen zieht sie ihr Bikini-Oberteil an und beginnt ein Gespräch mit dem jungen Mann. Er heiße Djahar und komme aus dem Nordkaukasus, sagt er, „wie die Brüder Zarnajew“ – die Boston-Marathon-Attentäter. Darauf scheint er stolz zu sein. Prune ist irritiert, aber auch fasziniert. Djahar, 23, hat seine Heimat schon als Kind verlassen, Anfang der 2000er. Seine Familie beantragte Asyl und lebt heute in einer ostdeutschen Kleinstadt. „Ich mache eine Ausbildung zum Verkäufer, aber ich will Krieger werden“, erzählt Djahar. Er trainiere viel, nehme an Kämpfen teil: Mixed Martial Arts. Djahar sagt: „Wenn man ein Champion werden will, muss man sich selbst bekämpfen. Ich bin nicht besonders groß, aber ich habe keine Angst vor gar nichts.“ Er ist selbstbewusst, spitzbübisch und auf eine liebenswerte Art prollig. Obwohl sie so verschieden sind hat Prune das Gefühl, dass da eine Verbindung zwischen ihnen ist – die Verbindung von zwei Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, um sich woanders ein neues Leben aufzubauen. Zum Abschied tauschen sie Nummern, ein Austausch per WhatsApp beginnt.

Wenige Wochen später treffen die beiden sich in Berlin und Prune beschließt: Warum nicht eine Reportage über Djahar schreiben? Über Fremdsein, Ankommen, Integration? Eineinhalb Jahre lang wird Prune Djahar begleiten, er nennt sie Slivka – das russische Wort für Prune, wie Pflaume im Französischen. Sie reist mit ihm zu Wettkämpfen im tiefsten Ostdeutschland, trifft seine Familie, bei der Djahar immer noch wohnt. „Ich habe ihm vertraut“, erzählt Prune, „aber es war klar, dass er mir seine gute Seite zeigen wollte. Ich selbst habe mich ja auch ein bisschen verstellt, manchmal das Naivchen gespielt, um unbequeme Fragen stellen zu können.“

Ein Mann voller Widersprüche

Dank dieser unbequemen Fragen lernt Prune Stück für Stück mehr über Djahar. Dass er in eine Reihe kleinerer krimineller Machenschaften verwickelt ist. Dass er seine Ausbildung abgebrochen hat. Dass sein Männer- und Frauenbild durchaus archaisch ist. Und: Dass der Islam für ihn immer wichtiger zu werden scheint. Zu Prune sagt er: „Es ist oft schwierig, den Islam mit meinem Leben in Deutschland zu vereinbaren. Die Mentalitäten sind so unterschiedlich. Was ihr Offenheit nennt, ist in Wahrheit Verfall. Die Frauen gehen mit jedem ins Bett, ihr wisst überhaupt nicht, was das Wort Respekt bedeutet.“ Den Dschihad, den „Heiligen Krieg“ hält er für etwas Erstrebenswertes, etwas Notwendiges. An einem Spätsommertag 2014 zeigt ein nun vollbärtiger Djahar Prune zum ersten Mal ein Video des IS – das Video, in welchem der amerikanische Journalist James Foley vor laufender Kamera geköpft wird. Prune ist angeekelt und entsetzt, vor allem, als Djahar verkündet, er würde auch nach Syrien gehen. Ich frage sie, ob sie in dem Moment Angst vor Djahar hatte. Prune schüttelt den Kopf: „Ich habe mich mit Djahar immer sicher gefühlt. Er hat sich wirklich gut um mich gekümmert. Hätte ich mich bedroht gefühlt, hätte ich diese Geschichte niemals gemacht.“ Woher kommt die Radikalisierung Djahars, der plötzliche Wunsch, in den Krieg zu ziehen? Für Prune hat das Ganze nichts mit Hass auf Deutschland zu tun, sein Wohnort seit so vielen Jahren: „Es ist eher ein genereller Hass auf das westliche kapitalistische System.“

Wie so viele andere ist Djahar nie richtig in Deutschland angekommen, ist zu Hause in zwei Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten – und weiß nicht so recht, wie er sie in Einklang bringen soll. Wie so viele andere radikale oder sich radikalisierende Muslime ist Djahar ein Mann voller Widersprüche: Er hat keinen Respekt für nicht-muslimische Frauen, um Prune kümmert er sich aber sehr zuvorkommend. Er ist ein Macho und zeigt doch eine gewisse Verletzlichkeit. Er präsentiert IS-Propagandavideos und freut sich im nächsten Moment über einen Katzenclip auf Youtube.

Flirt mit islamistischen Ideen

Das Einzige, was Djahar davon abhält, ein IS-Krieger zu werden, ist seine Mutter. Sie hat geweint, ihm gesagt, dass er ein Fanatiker sei. La fille et le moudjahidine lässt offen, ob Djahar in den Krieg zieht, an dem so wenig heilig ist – das Buch endet mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar 2015. Im Berliner Café erzählt Prune, dass Djahars Mutter tatsächlich eingegriffen und eine Ehe für ihn arrangiert hat – für sie das letzte Mittel, ihren Sohn zu retten. Zur Hochzeit kam es nie, trotzdem ist Djahar mittlerweile von seinem Plan abgerückt. Warum? „Was unterschätzt wird“, sagt Prune“, „ist die Tatsache, dass zwar viele junge Männer nach Syrien gehen, mittlerweile aber auch viele wieder zurückkommen. Diese Männer sind zerstört, sie haben grauenvolle Dinge gesehen. Sie haben erlebt, dass der IS ganz anders ist, als sie dachten.“ Männer wie Djahar, die zwar mit islamistischen Ideen flirten, aber keinesfalls Hardcore-Dschihadisten sind, würden die Geschichten der Rückkehrer hören und eine ganz neue Perspektive erhalten. „Viele junge Männer fragen sich: Was will ich werden? Der Dschihad ist eine Antwort, eine Alternative. Es geht darum, zu rebellieren – die Religion ist ihnen egal“, erklärt Prune.

Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo verkündet Djahar noch: „Sie verdienen es, sie haben den Propheten beleidigt.“ Nach den Anschlägen vom 13. November aber klingt er ganz anders. In einer Nachricht schreibt er Prune: „Das ist so schrecklich, es tut mir leid.“ Vielleicht hat es ihn genauso geschockt wie Prune: Dass die Attentäter ungefähr im gleichen Alter waren wie die Opfer. Dass da so ein offensichtlich unüberwindbarer kultureller Graben war zwischen jungen Menschen, von denen alle ihr Leben noch vor sich hatten.

Blick in den Spiegel

Djahars Geschichte ist eine Geschichte, wie sie wahrscheinlich überall in westlichen „Integrations“-Gesellschaften passieren könnte – oder passiert. „Was bedeutet überhaupt Integration?“, will Prune wissen. Eine rhetorische Frage. In Djahars Fall, so Prune, sei die Familie ein definitives Integrationshindernis: Seine Eltern sprechen kaum Deutsch, bewegen sich nur in ihrer Community. Andererseits biete diese Familie aber auch Zusammenhalt, Schutz – und das sei nicht unbedingt negativ. Prune findet: „Wir sind sehr schnell wenn es darum geht, jemanden zu verurteilen. Stattdessen sollten wir uns selbst auch mal ein paar Fragen stellen. Es ist wie ein Spiegel, in den wir hineinschauen.“ So nervenaufreibend die Freundschaft mit einem angehenden Salafisten manchmal ist, so hat sie Prune auch davon überzeugt, dass Fälle wie Djahar nicht hoffnungslos sind: Man kann noch mit ihnen reden, aus ihrem Flirt mit dem Islamismus ist noch keine feste Beziehung geworden. Sie zögern noch. Und dieses Zögern bedeutet ein Stück Hoffnung.

Prune Antoine: La fille et le moudjahidine, erschienen bei Carnets Nord, 2015

*Mudschahed leitet sich von dem Wort „Dschihad“ ab und bezeichnet eine Person, die sich für die Verbreitung und/oder die Verteidigung des Islams einsetzt.

Von Julia Korbik.

Julia Korbik ist freie Journalistin und Autorin. Das Kompliment vom Sportlehrer, sie mache Liegestütze so gut wie ein Junge, fand Julia Korbik schon in ihrer Schulzeit daneben. In Frankreich und Deutschland studierte sie European Studies, Kommunikationswissenschaften und Journalismus – und ärgerte sich über Leselisten, die nur männliche Autoren enthielten. Bevor es sie 2012 nach Berlin und zum Debattenmagazin The European verschlug, arbeitet sie u.a. für die WAZ und Cafébabel. 2014 erschien Julias Buch Stand Up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene (Rogner & Bernhard). 

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13 Kommentare

  1. Carolin

    Hallo Julia,
    vielen Dank für diesen großartigen Artikel. Ich habe mir das Buch gleich mal bestellt und bin schon sehr gespannt. Es ist toll, dass solche Themen hier auch ihren Platz finden!
    Liebe Grüße

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  2. Fräulein Julia

    Ein wirklich klasse geschriebener Text, danke euch! Ich habe Prune vor kurzem auf einer Lesung aus ihrem Text vortragen hören & fand es da schon sehr beeindruckend.

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  3. Laura

    Ich kann mich nur anschießen, toll, dass auch solche kritischen Themen hier immer wieder Platz finden. Das Buch klingt wirklich unheimlich lesenswert, zeigt es doch einmal mehr, wie sehr uns unser kultureller Backround doch prägt und wie wichtig der Dialog über die Grenzen der eigenen Weltanschauung hinweg doch ist. Ich hoffe wirklich, dass das Buch auch auf Deutsch erscheinen wird.

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  4. Nina

    Das Ganze erinnert ein bisschen an die Kommunisten in den 1930er Jahren. Damals gingen nicht wenige Westeuropäer ins Stalinistische Russland, konfrontiert mit den Massenmorden etc. dort, dürften aber einige erkannt haben, wie naiv sie waren, wenn sie überhaupt zurück kamen und nicht selbst als „Spione“ liquidiert wurden.

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