Auf meinem Nachttisch im April //
Wunde Punkte von Matt Sumell

04.04.2016 box3, Buch

matt sumell wunde punkte

Nachdem ich jahrelang davon ausging, dass es in der Literatur nichts wichtigeres als dicke Schinken und Ergüsse einstiger Intellektueller gäbe, musste ich irgendwann feststellen, dass das waghalsige, moderne Buchleben wie ein lauer Wind an mir vorbei pfiff und ich damit nichts weiter als einer dieser lausigen fehlgeleiteten Bücherwürmer war, die stets meinen, man könne das Gehirn nur mit Prestige-trächtigen Autoren aufmöbeln und die dabei das Beste verpassen. Das andere Lesen wenn man so will, das wie ein Faustschlag in den Magen dringt und im nächsten Moment vor Lebendigkeit überquillt. Deshalb landet inzwischen jeden Monat eine Neuerscheinung auf meinem Nachttisch.

Diesmal ist es Matt Sumells „Wunde Punkte“, das Debüt eines unverschämt talentierten Schriftstellers, der eigentlich gar kein Schriftsteller werden, sondern bloß seiner Dozentin imponieren wollte. Hat nicht funktioniert und so schrieb er seinen ersten Roman, der leicht als Sozialstudie über die Existenz eines waschechten Proleten abgetan werden könnte – wäre da nicht die enorme Komik, die unerträgliche Tragik und das ungemein heftige sprachliche Donnerwetter, das uns mit jeder Zeile in ein anderes Extrem der Gemütszustände wirft.

matt sumell wunde punkte Denn Alby, der Protagonist, ist ein fieser, womöglich tendenziell dümmlicher Kerl, den man immer wieder aus einer der Buchseiten herausreißen und auf den Mond schießen will. Er neigt zu unkontrollierten Wutausbrüchen, sexistischen Beschimpfungen und würde mühelos eine ausgemachte Streitsucht attestiert bekommen; im echten Leben hätte man wohl nichts als kugelnde Augen und konstante Aversionen bis zum Brechreiz für diesen gescheiterten, frechen Proleten übrig. Wenn selbst die schwerkranke Mutter im Sterbebett kein gutes Haar an jemandem lässt, scheint jede Hoffnung auf einen weichen Kern im Grunde vergebens, aber so ist es nicht. Gleich auf der ersten Seite schwimmt man in Albys Unbeholfenheit, Verletzlichkeit und Naivität. Keine Wut kommt aus dem Nichts und so liebt Alby sehnsuchtsvoll und unbeholfen, vielleicht, weil er selbst nach Zueignung lechtst, danach, gebraucht zu werden. Als er einen verletzten Vogel findet, nimmt er sich dem kleinen Lebewesen an, so wie eigentlich allen Schwachen und Wehrlosen, die ihm begegnen.

„In seinem ungestümen Wesen offenbart sich ein melancholischer und liebessüchtiger Held, der uns wider Willen zum Lachen bringt“, schreibt der S.Fischer Verlag, in dem Albys Geschichte erst Ende März erschien. Anti-Held wäre womöglich treffender, aber wie man es auch dreht und wendet, „Wunde Punkte“ ist vor allem ein hervorragend von Britt Somann aus dem Amerikanischen übersetztes Plädoyer dafür, hinter sämtliche Fassaden zu blicken, statt blind zu urteilen. Ein wichtiges Debüt, das die Gefühle jener laut ausspricht, denen normalerweise niemand zuhören will. Hier lang gehts zum Buch.

matt sumell Matt Sumell via.

Danke, Friederike!

3 Kommentare

  1. Mila

    Liebe Nike, da du neulich nicht mit Übersetzerschelte gespart hast (was ich persönlich immer etwas heikel finde,vor allem, wenn man weder die Originalsprache beherrscht noch Kenntnisse über das Ausmaß des Lektorats hat), wäre das doch auch mal eine schöne Gelegenheit, sich lobend über die Übersetzerin zu äußern. Leider werden nämlich die Leistungen dieser Zunft viel zu wenig wahrgenommen und gewürdigt. Ist nicht böse gemeint.

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