Kolumne // Die Frage nach der Familienplanung

15.07.2016 Allgemein, Kolumne

Seit ich Mutter bin, beschleicht mich das Gefühl, dass ein Kind allein nicht ausreicht. Egal, wen ich nach langer Zeit wieder treffe, die zweite Frage nach dem obligatorischen „Wie gehts, wie stehst“ lautet zunehmend: Und, wollt ihr noch ein Geschwisterchen? Ich muss dann erst einmal erklären, dass das „Wir“ inzwischen ein ganz anderes ist – Ups-Moment #1, die Leute scheinen noch immer wie automatisch davon auszugehen, Trennungen seien entgegen jeder Statistik eine Ausnahme in unserem scheinbar perfekten Lebensumfeld. Mit dem Mitleid, dass ich weder brauche noch möchte, komme ich inzwischen klar, man meint es ja nur gut mit mir. Wenn ich irgendwann aber zurück zum eigentlichen Thema gelange und meinen Standpunkt klar mache, nämlich den, dass ich nicht wissen kann, was in drei, vier oder zehn Jahren ist, ich derzeit aber ziemlich sicher bin, ein Einzelkind in die Welt gesetzt zu haben, werden die Augen groß und Mundwinkel fangen an zu hängen.

Ganz ehrlich, kein Scherz. Ist auch nicht eingebildet das Ganze, das weiß ich, weil meist Augen- und Ohrenzeugen dabei sind. Die häufigsten Reaktionen lauten wie folgt: Eeeecht jetzt? Aber willst du kein Mädchen haben, wer soll denn all die Taschen erben, als Frau möchte man doch auch eine Tochter? Soll Lio wirklich allein aufwachsen? Träumst du nicht von einer richtig großen Rasselbande? Nein? Krass. Und so weiter und so fort.

Ich finde das, gelinde gesagt, sehr unmodern. Und unsensibel. Und unangebracht. Denn erstens ist mir schnurzpiepegal, welches Geschlecht mein Kind hat, zweitens leben wir in einer Gesellschaft, in der Freundeskreise längt zur selbstgewählten Familie geworden sind, kein Kind muss also einsam und allein mit Einzelkind-Schaufeln im Sand buddeln und drittens liebe ich Großfamilien, ich stamme nämlich aus einer, aber ich selbst sehe mich aus unterschiedlichsten Gründen nunmal nicht als Anführerin einer solchen. Das macht mich weder herzlos und überaus egoistisch, noch traurig. Beides wird einem aber seltsamerweise gern unterstellt. Meine Entscheidung liegt jedoch einer ganz simplen Erkenntnis zugrunde.

Ich kann mir kein größeres Glück vorstellen, als das, was mich gerade jetzt umgibt. Es fühlt sich exakt richtig an, genau so, wie es ist. Und ich wüsste nicht, wie es noch besser werden sollte. So einfach, so schwer zu verstehen. Denn natürlich weiß ich um die Verdoppelung der Liebe beim zweiten Kind. Aber nunmal auch um die persönlichen Einschränkungen, Herausforderungen und um den Mut, der dazu gehört. Darum habe ich ausschließlich den allergrößten Respekt und nur High Fives vollgepackt mit Anerkennung und von tief innen heraus gegönntem Glück übrig für all jene, die sich trauen. Deshalb weiß ich um alles, was mir verwehrt bleiben wird. Aber ich wünsche mir dennoch ein wenig mehr Toleranz gegenüber meines selbstgewählten Lebensmodells. Oder einfach Gleichgültigkeit, einen Umgang, der nicht voraussetzt, man falle mit dieser Entscheidung aus der salonfähigen Norm oder sei schlichtweg komisch drauf. Ich kann mir übrigens gut vorstellen, dass die Rechnung anders herum genauso gut aufgeht. Wie du willst drei Kinder? Ja, bist du denn verrückt.

Ein Faktor, der zwar nicht in meinen eigenen Entschluss eingespielt hat, mich aber durchaus sensibler im Umgang mit anderen hat werden lassen: Ich kann sehr wahrscheinlich aus gesundheitlichen Gründen überhaupt kein weiteres Leben in die Welt setzen. Noch stört mich das nicht, aber es könnte mich stören, vielleicht irgendwann, wie viele andere auch. Die automatische, sehr persönliche Frage nach weiteren Kindern, oder überhaupt einem Kind, sofern man sich denn nicht im Freundeskreis bewegt, bleibt also ohnehin eine heikle, die einem wahllosen Streuen mit Salz in potentielle Wunden gleich kommt.

Jetzt kann man natürlich behaupten, ich sei über die Maße sensibel und das Butter-bei-die-Fische-Prinzip in anonymen Zeiten wie diesen doch nur förderlich in Hinsicht auf mehr Zwischenmenschlichkeit. Schuldig. Dann machen wir es doch einfach so: Wenn wir demnächst gewillt sind, jemanden zu fragen, wie es um den Kinderwunsch bestellt ist, dann hören wir einfach zu, schieben die Mundwinkel nach oben und erfreuen uns an der Diversität des allgemeinen Daseins, statt von uns auf andere zu schließen. Das wäre ja schonmal ein Anfang.

12 Kommentare

  1. Jojo

    Voll gut! Bin total deiner Meinung! Und es ist ehrlich merkwürdig, dass die Leute keine anderen Interessen haben, als die Familienplanung der Anderen…

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    1. Katherin

      Stimme absolut zu! Dachte das wäre ein ländliches Phänomen, scheinbar jedoch ein gesellschaftliches Problem.

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  2. Katherin

    Absolut. Selbst die Frage Kind oder nicht ist schon fucking nervig. Iwie geht jeder dogmatisch davon aus dass man ab 30+ nichts besseres zu tun hat als Kinder in die Welt zu setzen. Und dann natürlich ein zweites. Das Haus hat man selbstverständlich schon gebaut oder ist dabei. Dass es noch andere Lebenspläne und Verläufe geben kann ist scheinbar nicht möglich und fällt in die Kategorie Mitleid/Unverständnis und Absonderliches… Grrr

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  3. Alice

    Ich kann das alles so gut nachvollziehen! Man sollte eigentlich meinen in einer modernen, aufgeschlossenen Gesellschaft zu leben, aber seitdem ich 30 bin und mit meinem Partner nun schon ein paar Jährchen Tisch und Bett teile, kennt mein Umfeld (egal ob familiär oder freundschaftlich) kein anderes Thema mehr als ob er nun endlich um meine Hand anhalten wird und ob ich nicht bald schwanger werden will. Klar, mit 32 fängt schließlich alles an auszutrocknen bzw. abzusterben und wie könne ein Leben ohne Ehe und Kinder funktionieren? (; Willkommen im 19. Jahrhundert meine Damen!

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  4. Teresa

    Sowas von wahr. Ebenso schwierig finde ich auch die Frage wann man denn (endlich) Kinder kriege. Es gibt eigentlich keine Situation in der das eine super Frage ist und man antworten will: „Ha, du hast eigentlich recht! Voll gern, ich geh gleich heim und schnapp mir den Mann und los gehts – danke für die Erinnerung!“. Entweder das Paar will keine Kinder (und ist sich damit sicher und einig, das wäre noch der einfachste Fall) oder sie sind sich eben nicht einig oder sie versuchen es und es funktioniert nicht oder sie sind sich gar nicht so sicher, dass sie zusammen ein Kind wollen. Alles Situationen in denen man solch eine Frage nicht brauchen kann.

    Liebste Grüße,
    Teresa

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  5. Lorsen

    Ich bin so überglücklich diesen Artikel gelesen zu haben. Meine Freundin hat ihn mir geschickt, da ich ständig das gleiche sage. Könnte ich so wortgewandt schreiben, hätte es schon längst getan.
    Ich wünschte mir noch mehr Einzelkind-Wunsch-Mamas in meiner Stadt.
    Das wäre so grandios.
    Jemand also aus Stuttgart?! 🙂

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  6. Carina

    Ich finde die Fragerei generell unpassend. Ich frage andere ja auch nicht nach ihrem Sexualverhalten aus. Erstaunlicherweise wurde ich vor Kind 1, das ich mit 33 Jahren bekam, nur sehr selten nach meinem Kinderwunsch gefragt. Jetzt aber, wo Kind 1 2 Jahre alt ist, sind wir gefühlte 1000Mal gefragt worden, wann denn das Geschwisterkind kommt. Und obwohl wir gern noch ein Kind bekommen würden, nervt es mich tierisch, anderen darüber Auskunft geben zu sollen.

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  7. Fiona

    Ich bin mit 20 Mutter einer Tochter geworden und war nach 5monaten auch noch Alleinerziehende. Allein durch diese Umstände war ich ständiger Fragerei und Kritik ausgesetzt. Ich habe mir nie die Frage gestellt ob ich noch mehr Kinder möchte, da ich ehrlich gesagt einfach froh war, mein Studium anzufangen und beenden zu können. Wieder Freiheiten zu haben, feiern zu gehen, in einer Band zu spielen und mich auch wieder zu verlieben. Jetzt ist meine Tochter 6 Jahre alt und ich verheiratet und Mutter von noch einer Tochter, 6monate.
    Von einem Ende der Fragerei ist allerdings keine Sicht. Nun werde ich nach einem dritten Kind gefragt und ob ich nicht traurig bin nun 2 Einzelkinder zu haben, schließlich haben die beiden mit 6 Jahren Unterschied (angeblich) keinen Bezug zueinander. Und überhaupt, wie bin ich schon zum zweiten Mal auf die absurde Idee gekommen jung Mutter zu werden und wann arbeite ich endlich Vollzeit?
    Fazit: wie frau es macht, sie macht es falsch!

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  8. elisa

    liebe nike,
    falls das HELLP syndrome, welches du ja mal beschrieben hattest, der Grund für die gesundheitlichen Probleme sein sollte – es gibt mittlerweile sehr zuverlässige verfahren, die in einer folgeschwangerschaft ein weiteres HELLP frühzeitig erkennen können.
    ich weiß, 20% wiederholungswahrscheinlichkeit ist überhaupt nicht zu verachten und ein sehr nachvollziehbarer Grund für schwangerschaftsvermeidung, ich wollt es nur erwähnt haben.
    an der Charité an die AG präklampsie wenden, falls es dich interessiert.

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  9. Christine

    Ja, grade auch bei uns ein großes Thema. Mein Sohn ist jetzt 20 Monate alt und dann wird es aber mal sowas von Zeit ein Geschwisterkind anzuschaffen, schließlich ist er jetzt schon so verwöhnt, wie soll das nur werden wenn er Einzelkind bleibt? Und soziales Verhalten kann er so ja gar nicht lernen, schließlich gibt es keine anderen Menschen in unserem Umfeld, geschweige denn andere Kinder.
    Ich bin erst fünf Jahre nach unserer Hochzeit schwanger geworden, nachdem wir es drei Jahre lang erfolglos versucht haben. Da gab es auch so übergriffliche Kommentare.
    Die Nachfragen an sich finde ich noch nicht mal schlimm (Je nachdem von wem….) Schlimm finde ich das Nichtakzeptieren der persönlichen Entscheidungen und das Einige glauben nur der von ihnen gewählte Lebensweg würde zu wahrem Glück führen. Ich krieg da regelmäßig das Kotzen.
    Ganz ehrlich, es gibt so viele verschiedene Gründe warum man kein/1/2/3/4/5 Kind(er) haben möchte. Wen es wirklich interessiert, der kann gerne fragen und wie du schon geschrieben hast, liebe Nike, dann einfach nett lächeln und akzeptieren dass wir alle keine Klone mit dem exakt gleichen Lebensplan sind.
    Danke für den tollen Artikel. Bei Kiddo the Kid gibt es dazu auch einen ganz großartigen.
    Lieben Gruß von einer Einzelkindmama zur anderen!

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  10. Lara

    Gerade bin ich durch Zufall auf diesen älteren Artikel gestoßen und direkt hab ich mich wiedergefunden: Obwohl ich aktuell sogar noch schwanger bin, bin ich schon echt oft gefragt worden, ob wir denn ein zweites Kind wollen. Ich finde das ganz befremdlich, auch diese grundsätzlichen Pläne von wegen „Ich will XY Kinder.“ Sei es gesundheitlich, partnerschaftlich oder weil es dann doch anders ist mit Kind, als man es sich vorgestellt hat: Wieso halten so viele so ab fixen Plänen fest? Wer zwei Kinder will und erst eines hat, ist dessen kleine Familie dann nicht komplett? Wir waren lange Jahre als Paar eine „kleine Welt“, jetzt werden wir die erweitern und zu dritt eine bilden. Und wenn wir irgendwann das Gefühl haben, wir wollen noch jemand reinlassen in unseren kleinen Kosmos, dann soll es so sein. Vielleicht kommt es aber auch nie – und dann sind wir nicht weniger „fertig“.

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