Kolumne // Entweder ich spinne,
oder meine Wohnung hat Ohren.

02.11.2016 Gesellschaft, box3, Technik, Leben

facebook spionageWeil wir kein Technikblog sind, wollte ich die nun folgenden Gedanken zunächst beiseite schieben und weil ich mich außerdem nicht mehr für Technik interessiere als für Royals, war ich mir schnell sicher, mir würde außerdem die nötige Expertise für ebendieses Vorhaben fehlen. Jetzt wird es mir aber langsam zu bunt. Oder besser: Verrückt. Denn entweder mein Hirn hat sich jetzt endgültig dem Wahnsinn verschrieben und sich von kritischen Stimmen, Verschwörungstheoretikern und diversen U.S.-amerikanischen Politserien infiltrieren lassen, oder mein Handy hört, was ich sage. Obwohl, vielleicht ist es auch der Laptop. Oder das Tablet. Jedenfalls muss irgendetwas in meiner Wohnung Ohren haben, etwas, ohne Beine und Arme. Etwas, das eigentlich stets zu meinen Diensten sein sollte, statt mich auszuspionieren. Schon klar, man könnte sich in diesem Moment natürlich fragen, ob die werte Modebloggerin wohl eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen habe, besser wäre das wohl; so ein bisschen Irrsinn ist bei so viel Internet im Alltag immerhin nicht auszuschließen. Das war ehrlich gesagt auch mein erster Gedanke. Aber es scheint mittlerweile tatsächlich so, als habe sogar das, worüber ich schlafanzugtragend am Frühstückstisch spreche, Einfluss auf den Werbe-Algorythmus meiner ganz persönlichen Facebook Timeline. Ich habe das Treiben, nachdem ich skeptisch wurde, etwas genauer unter die Lupe genommen. Eine ganze Woche lang. Und die sah, grob zusammengefasst, so aus:

Sarah sitzt bei mir am Küchentisch, ich sage, dass ich unser Büro liebe, Sarah stimmt mir zu, bemerkt aber, dass so ein paar mehr Räume in Zukunft durchaus auch ihren Reiz hätten. Mehr nicht. Es folgte weder ein Immobilien-Scout-Besuch, noch Recherchearbeit. Am Morgen danach fragt mich ein Sponsored Post: „Suchen sie neue Büroräume?“. Was für ein lustiger Zufall.

Am Tag darauf schaut der Mann etwas bedröppelt aus der Wäsche, er schnäuzt sich die Nase und stöhnt, als würde die Last der Welt auf seine Schultern drücken. Ich rolle die Augen, fasele irgendetwas von wegen Männergrippe und treffe einen Punkt, der wunder ist als die Nase, die da am Mann noch mit dran hängt. Ein Streitgespräch. Abends habe ich dann den Salat, zur Grippe gesellt sich ein bisschen Panik und Paranoia. Mir wird ein iPad gereicht, auf dem als Teil eines Sponsored Post mit fetten Buchstaben „LEIDEN SIE AN MÄNNERSCHNUPFEN?“ geschrieben steht. So machen Pharmazieunternehmen heute also neue Freunde. Witzig.

Jedenfalls wurde uns bei allen Späßen trotzdem ein wenig mulmig zumute und das Phänomen der selektiven Wahrnehmung, das man normalerweise etwa vom Autokauf kennt (besorgst du dir ein rotes, siehst du überall plötzlich nur noch Doppelgänger), setzte ein. Jeder Sponsored Post im Feed ergab plötzlich Sinn. Aber Obacht, das war natürlich schon immer so. Google weiß ohnehin alles über uns, und ja, Facebook irgendwie auch, jedenfalls ist die Erkenntnis, dass wir im Netz nach gelben Schuhe suchen, um kurz darauf über gelb beschuhte Banner zu stolpern, keine neue. Wir sind längst transparent. Bloß war mir nicht klar, dass ich diese Durchsichtigkeit noch nicht einmal mehr selbst zu steuern in der Lage bin, dass sie sich nicht nur an meinen Taten ergötzt, sondern auch an Gesagtem. Ich könnte fortan also einfach die Klappe halten. Aber Moment, die Sache mit dem eventuellen Verfolgungswahn war ja noch gar nicht geklärt, weshalb ich mir ein kleines Experiment gönnte und einen Tag lang nur noch sehr laut und sehr deutlich über Schwachsinn sprach, mit dem mein Internetanschluss bisweilen nachweislich keinen Kontakt gehabt hatte. Ich redete also über Versicherungen, die ich nicht habe, über Bier, das ich nich trinke und Musik, die ich erst seit wenigen Stunden kannte, aus Erzählungen. Und siehe da, wie nett, alsbald wurde mir doch tatsächlich ein ganzes Konzert vorgeschlagen, eines von besagter Band, „Hang Massive“, am 14. November im Lido Berlin. Praktisch. Und schwindelerregend schleierhaft.

Gibt man „Hört mein Handy mit?“ in diverse Suchleisten ein, landet man zunächst bei Reddit. Etliche User hatten bereits 2015 eine Diskussion über die Abhörmöglichkeiten Facebooks spekuliert und absurde Erfahrungen geteilt: „My girlfriend and I were talking about engagement, and then we BOTH started to get ads about engagement rings.“ Und so weiter und so fort.

Bei Puls erfährt man außerdem, dass ich, du und womöglich wir alle, dem Gesichtsbuch-Giganten ohnehin längst das Recht eingeräumt hätten, uneingeschränkten Zugriff auf sämtliche Handy-Mikrofone für sich zu beanspruchen. Das Kleingedruckte in den Nutzungsbedingungen, bingo.

Fest steht bisher, dass Facebook spätestens seit Einführung seines Musikerkennungs-Tools mithören kann. Bloß stellt sich nun die halbe Welt die Frage: Macht der Zuckerberg das wirklich?

Ich sage seit neuestem, mit erhobener Stimme, Verunsicherung und Wut im Bauch: DURCHAUS möglich. Bloß weiß ich noch nicht sicher, wem genau in meinem Zuhause besagte Ohren gewachsen sind, vielleicht sogar allen Endgeräten gleichzeitig. Haltet mich jetzt also ruhig für verrückt, das ist in Ordnung. Lieber wäre mir allerdings, ihr würdet es mir beweisen. Dass ich spinne. Dann könnte ich zumindest wieder über andere Dinge fluchen als diesen bittersüßen Berg aus kapitalistischem Datenzucker.

17 Kommentare

  1. Maren

    Das ist wirklich mehr als gruselig ! Da kommt einen ein Leben im Wald ohne jederlei technischem Firlefanz schon ganz angenehm vor…

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  2. maja

    Ergänzend zu Handy, Tablet usw., den internetfähigen Fernseher nicht vergessen, Samsung selbst hat z.B. davon ageraten diesen im Standby Modus zu lassen, da alles mitgehört wird.

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  3. Laura

    Ich erschrecke mich auch regelmäßig über all diese „Zufälle“…es ist schon zum Gruseln, keine Frage. Doch ich versuche mir das hin und wieder auch mit selektiver Wahrnehmung zu erklären. So wie man auf einmal nur noch Schwangere auf der Straße zu sehen glaubt, wenn einen dieses Thema gerade (warum auch immer) beschäftigt…:)

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  4. Anne

    Wow! Das ist ja krass! Finde deine Ansatz aber super, der über die Spekulation hinaus geht und es „quasi-experimentell“ tested. Ich habe vor kurzem etwas ähnliches erlebt und konnte es nicht glauben. Jetzt facebook app auf dem Handy löschen oder facebook ganz kappen? Super spannendes und wichtiges Thema. Ich lebe in Amsterdam und arbeite in einem Bereich mit vielen Data-Cracks. Big Data ist eine der für mich persönlich wichtigsten Themen aktuell (und vermutlich auch in Zukunft), daher versuche ich mich immer weiter zu bilden und mit meinen Kollegen und Wissenschaftlern der ganzen Welt darüber zu reden. Leider wird besonders hier in den Niederlanden Big Data überhaupt nicht kritisch gesehen. Ich weiß wir Deutschen sind besonders sensibel bei Privatsphäre-Themen sind, aber wie man so ein Erlebnis wie deins einfach nur als technologisches Meisterwerk künstlicher Intelligenz sehen kann anstatt auch als verdammt „übergriffig“, das ist mir unbegreiflich. Mir geht das zu weit.

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  5. Sybille

    Krasser Artikel, danke dafür! Ich stelle auch seit Tagen oder Wochen fest, dass mir die Produktempfehlungen (vor allem von Facebook) immer absurder und kurioser vorkommen. Absolut passgenau. Nur bin ich nicht nur genervt, sondern auch etwas besorgt, da sich meine Befürchtung, die ich seit Jahren habe, leider bestätigt hat: Wir sind zum gläsernen Menschen geworden. Und wer tatsächlich immer noch meint, es täte nichts zur Sache, dass wir durch Facebook, Whats App und Co. ausspioniert werder, dem kann ich nur hinzufügen:
    Glückwunsch an diejenigen, denen es nichts ausmacht, dass wir in einer Gesellschaft leben, die vollkommen lenk-, steuer-, und beeinflussbar ist. Der perfekte Konsument. Zum Schluss habe ich noch einen Buchtipp: George Orwell, 1984

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  6. Hänna

    kann ich durchaus bestätigen. häufiges Phänomen: ich begegne fremden Menschen auf der Straße, abends schlägt mir fb dieselben als Freunde vor. es gibt zahlreiche Beispiele mehr! selektive Wahrnehmung? langsam unglaubwürdig…

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    1. Svenja

      Das liegt daran, dass Facebook euren Standort erkennt und sieht, dass ihr am gleichen Ort seiD. Seit anfang des Semester sehe ich etliche Profile meiner Kommilitonen

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  7. Lena

    Danke für diesen Artikel und ich dachte schon, ich werde verrückt, geht mir nämlich in letzter Zeit genauso. Ich bekomme sogar sms mit auf Gesprächsthemen abgestimmter Werbung. Widerlich.

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  8. Juliane

    Spooky! Weil Sicherheit neuster Technik liegt in der Ethik des Anwenders. Hatte neulich auch das Gefuehl mein Tel oder Comp hat mitgehört. Mein Umfeld war sich sicher ich hätte sichermal das Wort in einem Chat niedergeschrieben. Ich bin mir sicher dass hab ich nicht. Und auch meine Chats sind nicht Googlen. Vllt liegts auch an der neuen Verbindung von whatsup und Facebook? Vllt kannst du deinen Mithörer ja für deine Zwecke einspannen also Auftragsrecherche. Bei mir setzt auch der Nebeneffekt ein, dass ich von den Geschichten über lustig fehl platzierte Webung drauf schliesse was sie so googlen und chatten.

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  9. elefteria

    krass, so gezielte werbung hatte ich noch nicht. bei mir kommen nur die üblichen sachen, z.B. kleidung die ich mir online angesehen habe oder berliner restaurants, aber es war noch nie etwas dabei dass ich nicht im internet irgendwo eingetippt hatte… gruselig das mit dem abhören 🙁

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  10. Ngoc

    Auch krass: Heute kam die Werbung von LaVita bei mir per Post an und gerade eben tauchte auf meinem Instagram Feed zum ersten Mal eine sponsored Werbung von LaVita. Ich finde das echt gruselig.

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  11. Josephine

    Ich sprach neulich mit einem Freund über einen sehr ungewöhnlichen, handgefertigten Ring und er zeigte mir diesen auf seinem Handy, neben vielen anderen.
    Am selben Abend hatte ich, obwohl wir weder Kontakt durch Facebook oder Whatsapp hatten oder gemeinsame Unternehmungen gepostet hatten, eine Werbung für exact diesen Ring (und nicht die 20 anderen die er mir zuvor zeigte). Er meinte, dass wäre wohl Zufall, ich war fassungslos.

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  12. Jen

    Zum Gruseln und offensichtlich Realität!
    Ich empfehle ein Buch: Mich kriegt ihr nicht! Gebrauchsanweisung zur digitalen Selbstverteidigung.
    hilft, versprochen!
    (Merke: Kein Facebook oder Whatsapp zu nutzen hilft auch, und alle Kameras immer schön abkleben…)

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  13. Julie

    EXAKT meine Erfahrungen und immer wieder Thema im Office und Freundeskreis. Es ist wirklich gruselig!

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  14. Marion

    Das sind ja gruselige Erfahrungen! Da fällt mir eine Szene aus „Citizen Four“ dem Dokumentarfilm über Ed Snowden ein: er steckt im Hotelzimmer auch sein Telefon aus, da diese VoIP Telefone praktisch wie Wanzen funktionieren und man dadurch den Raum abhören kann.

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  15. Anja

    Nein Nike, du spinnst absolut nicht, es ist alles noch viel schlimmer als wir uns womöglich vorstellen können. Wenn schon Zuckerberg seine Kameras abklebt, ist doch alles klar! Wir sollten mehr auf Snowden hören… Was auch gruselig ist: Obwohl ich meine Ortung auf dem Handy fast immer ausgeschaltet lasse, schlägt mir Instagram trotzdem immer Orte in meiner unmittelbaren Posting Umgebung vor- ist klar. Ja, es lohnt sich immer mal wieder, den guten alten Orwell hervorzuholen 🙁

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  16. Pingback: Cherry Picks #45 - amazed

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