Gesellschaft // Trump ist kein amerikanisches Problem

14.11.2016 Gesellschaft, box1, Leben

populismus 2016Donald Trump mag Amerikaner sein, ein uramerikanisches Problem ist er aber nicht. Auch in Europa verbreiten Menschen wie Le Pen, Petry und Co Hass auf alles, was nicht wie sie ist und denkt. Nun ist es an uns, aktiv zu werden – in der Familie, im Bekannten- und Freundeskreis.

Zum zweiten Mal in diesem Jahr bin ich mit einem okayen Gefühl ins Bett gegangen, mit einem Gefühl des „Wird schon“. Um dann am nächsten Tag aufzuwachen und festzustellen: Wird eben nicht. Das erste Mal war der Tag nach dem Brexit-Referendum am 23. Juni. Das zweite Mal war der 9. November, für Deutsche sowieso ein historisches Datum – und nun auch für die USA. Love trumps hate hieß es noch nach dem Amoklauf in einem LGBT-Club in Orlando diesen Sommer. Nun hat der Hass gesiegt, die Angst vor Veränderungen, das Misstrauen. Donald Trump wird der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

Zum zweiten Mal in diesem Jahr fragte ich mich, wie ich und so viele andere uns so täuschen konnten. Ich bin Politikwissenschaftlerin und Journalistin, eigentlich eine ganz gute Mischung, um Fakten zu analysieren, einzuordnen und vor allem Umfragen kritisch zu betrachten. Trotzdem habe ich nicht mit dem gerechnet, was nun passiert ist und stehe ratlos da: Wie konnte das passieren? Und was kommt jetzt? Was kann ich tun?

Unangenehme Auseinandersetzungen

Denn Donald Trump mag zwar als ein uramerikanisches Problem erscheinen, home made quasi. Er ist es aber nicht. Auch hier, in Deutschland, in Europa, verbreiten Menschen wie Marine Le Pen, Viktor Orbán und Frauke Petry Hass auf alles, was nicht wie sie ist und denkt. Oft klopfen wir uns auf die Schulter, sagen uns, dass wir auf der richtigen Seite stehen – wir wählen nicht AfD, wir sind Feminist*innen, wir sind für die Rechte von LGBT. Nach der Wahl in den USA denke ich: Vielleicht reicht das einfach nicht. Vielleicht müssen wir noch mehr tun, noch politischer werden. Und vor allem: Uns Meinungen, die nicht die unseren sind, aussetzen. Nicht nur mit und zu den bereits Bekehrten sprechen.

Zu oft leben wir in unserer kleinen Blase. Wir umgeben uns mit Leuten, die ähnlich denken wie wir, ob im Internet oder im sogenannten „wirklichen“ Leben. Manchmal platzt die Blase aber ganz unerwartet – und das führt zu unbequemen, jedoch interessanten Einsichten. Meine Oma zum Beispiel: einer meiner absoluten Lieblingsmenschen. Aber beim Thema Flüchtlinge kommen wir nicht zusammen. Meine Oma kann oder will nicht verstehen, dass Menschen ihr Land verlassen „und dann lassen die auch noch ihre ganze Familie nachkommen!“ Argumente wie „Aber Oma, du würdest doch auch deine Familie um dich haben wollen“ wischt sie weg. Meine Oma, so sieht sie es, war ja damals im Krieg auch ein Flüchtling: aus dem Ruhrgebiet wurden sie und viele andere Kinder per „Kinderlandverschickung“ zu Familien aufs Land geschickt, fernab von den stetig fallenden Bomben. „Uns ging es damals auch schlecht, aber wir haben es geschafft“, sagt sie. Sie sagt nicht: „Die Flüchtlinge von heute sollen sich mal nicht so anstellen“. Aber so klingt es. Will ich diese Diskussionen mit meiner Oma führen? Nein. Tue ich es trotzdem? Ja. Weil so wie meine Oma viele denken.

Raus aus der Komfortzone

Für meine Freundin Leonie, Halb-Walisin, kam nach dem Brexit-Referendum der Moment, in dem ihre Blase plötzlich platzte. Wie sich herausstellte, hatte ein Großteil ihrer Familie in Wales für den Brexit gestimmt, völlig unbeeindruckt von der Tatsache, dass ein Teil der Familie – unter anderem Leonies Vater – in Deutschland und somit der EU lebt. Nigel Farages Aufruf „to take back control“ hatte sie eben überzeugt. Was der Brexit nun genau bedeuten würde, das konnten Leonies Verwandte ihr leider nicht sagen.

Sich in einer Blase zu bewegen ist manchmal notwendig, kann ein Schutzmechanismus sein. Viele feministische und antirassistische Aktivist*innen beispielsweise könnten ihre Arbeit gar nicht machen, wenn sie sich nicht vor bestimmten Meinungen und Personen schützen würden. Und sich mit überzeugten Frauenhassern/Rassisten/Rechtsextremisten zu unterhalten, hat tatsächlich keinen Sinn. Viele Menschen fallen aber eben nicht in diese Kategorien und es lohnt sich, zumindest den Versuch zu machen, mit ihnen zu reden. Denn wir müssen wieder mehr reden, vor allem mit den Menschen, die wir eigentlich nicht so gerne in unserer Blase haben möchten. Die ganz anderer Meinung sind als wir. Oft sind diese Menschen nämlich nicht anonyme Pöbler im Netz oder auf Pegida-Demos, sie sind Freund*innen, Verwandte, Bekannte. Wir müssen mit ihnen reden, uns anhören, was sie zu sagen haben – und dann für unsere Positionen kämpfen. Im schlechtesten Fall kommt dabei nichts heraus als die Einsicht, dass man bei diesem Thema meilenweit auseinanderliegt und auch nie zusammenkommen wird. Im besten Fall überzeugen wir unser Gegenüber davon, seine oder ihre Position doch mal zu überdenken. In beiden Fällen aber haben wir dazugelernt: Wir haben uns aus unserer Komfortzone begeben und nun zumindest eine Ahnung davon, was in den Köpfen Andersdenkender vorgeht. Und ja, das ist oft frustrierend.

Für die Demokratie werben

Reden und Zuhören allein reicht natürlich nicht, sie verhindern keinen Trump, keine Le Pen. Nein, wir müssen enthusiastisch für unsere europäischen Demokratien werben. Die Demokratie ist ein Geschenk, aber auch sie wurde erkämpft. Und wie man gerade in der Türkei beobachten kann, ist sie nichts, das wir als selbstverständlich hinnehmen sollten. Das tun wir aber viel zu oft. Wir konzentrieren uns darauf, unzufrieden zu sein, auf die Politik zu schimpfen, statt selbst anzupacken und unsere Rolle als mündige Bürger*innen wahrzunehmen. Wir haben eine Stimme, und die sollten wir für konstruktive Kritik nutzen.

Mit Donald Trump wurde in einer demokratischen Wahl ein Präsident gewählt, der selbst keinerlei Respekt für die Demokratie, ihre Institutionen und gewählten Vertreter*innen hat. Trotzdem, Demokratie bedeutet eben auch das: Damit fertig zu werden, wenn der politische Gegner gewinnt; Bürger*in eines Landes zu sein, das von einem Menschen regiert wird, den man aus tiefster Seele ablehnt. Meine Freund*innen in Polen, Ungarn und der Türkei wissen, wie sich das anfühlt. Was die Lehren aus der Trump-Wahl sind, werden wir erst in einigen Monaten, Jahren wissen. Bis dahin können wir aber schon mal anfangen: Damit, uns aus unserer Komfortzone herauszubewegen, zuzuhören. Darüber zu reden, wofür wir stehen und warum, mit Freund*innen, Verwandten, Bekannten. Enthusiastische Demokrat*innen zu sein. Es sind kleine Schritte, frustrierend kleine. Aber wenn wir nicht bei uns selbst anfangen – wo dann?

3 Kommentare

  1. Marini

    Liebe Julia

    Du sprichst mir aus der Seele. Wirklich. Darum bin ich in der Schweiz auch der Sozialdemokratischen Partei beigetreten und probiere meinen Teil an der Gesellschaft beizutragen. Unangenehme Diskussionen mit Andersdenkenden inklusive.

    Vielen Dank für deinen Beitrag.

    much love aus der Schweiz (du hast neben Marine Le Pen, Viktor Orbán und Frauke Petry den bösen Christoph Blocher vergessen… Ich sag nur Masseneinwanderungsinitiative.)

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