Wahlfreiheit war mal ein politischer Kampfbegriff. Heute ist er nur noch eine Worthülse, denn jede persönliche Wahl, jede Entscheidung gilt nun als feministisch.
In Folge 7 der vierten Staffel von Sex and the City beschließt Galeristin Charlotte, ihren Job aufzugeben. Statt in der Galerie will sie ihre Zeit nun lieber zu Hause verbringen, als perfekte Ehe- und Hausfrau für ihren Gatten Trey. Ihre Freundinnen Carrie, Samantha und Miranda sind nicht begeistert und Charlotte fühlt sich verurteilt und missverstanden. „In der Frauenbewegung dreht es sich vor allem um die freie Wahl“, erklärt sie Miranda am Telefon, „und wenn ich mich entscheide, meinen Job aufzugeben, dann ist das eben meine Wahl.“ Miranda ist nicht beeindruckt und das Gespräch endet damit, dass Charlotte hysterisch „Ich wähle meine Wahl! Ich wähle meine Wahl!“ ins Telefon ruft.
Das war 2001. Die damals von Charlotte vorgebrachte Idee hat seitdem nicht an Aktualität verloren – die Idee, dass Frauen individuell wählen können was immer sie wollen, und das dann automatisch eine feministische Handlung ist. Ich kann wählen, nicht mehr arbeiten zu gehen und mich stattdessen nur noch um die Familie zu kümmern. Ich kann wählen, meine Brüste operativ vergrößern zu lassen. Ich kann wählen, mich für ein Männermagazin auszuziehen. Meine Wahl ist feministisch, weil ich es bin, die die Wahl getroffen hat. Die „Wahlfreiheit“ ist zum geflügelten Begriff geworden, genauso wie das damit einhergehende „Empowerment“. Ich wähle, also bin ich empowert.
Individualismus hat den Kollektivismus ersetzt
Das behauptet zumindest der sogenannte Choice feminism: Es geht ihm um individuelles Wohlbefinden, nicht um strukturelle Veränderungen. „Wenn es sich für dich gut anfühlt, dann ist es richtig“, ruft der Choice feminism den Frauen zu. Der ehemals durch und durch politische Begriff der Wahl wird so zu einer sinnentleerten Worthülse. Wahl, das meinte mal reproduktive Rechte – die Wahl, ob ich das Kind bekomme oder die Schwangerschaft beende (im Amerikanischen sind Befürworter*innen des Rechts auf Abtreibung deshalb auch pro choice). Es ging darum, ein System zu verändern, dass Frauen benachteiligt. Heute hat Individualismus den Kollektivismus ersetzt.
Diese Form des Feminismus ist auch deshalb so populär, weil sie sich hervorragend vermarkten lässt: Kauf das T-Shirt, den Lippenstift, das Shampoo – und du hast genug für die Gleichberechtigung getan! Wenn es doch nur so einfach wäre. Denn natürlich werden Entscheidungen nicht im luftleeren Raum getroffen. Wir sind nicht alle in der gleichen Position, haben nicht alle die gleichen Möglichkeiten. Das System, in dem wir unsere Wahl treffen, ist kein gleichberechtigtes. Das muss man im Kopf behalten, wenn es um das feministische Potenzial individueller Entscheidungen geht. Klar kann ich mich aus dem Berufsleben zurückziehen und mich um den Nachwuchs kümmern – aber tue ich das tatsächlich aus Überzeugung oder nicht doch vielleicht, weil es nicht genug bezahlbare Kinderbetreuungsmöglichkeiten gibt? Klar kann ich meinen Körper operativ verschönern lassen – aber mache ich das wirklich „für mich“ oder doch eher, weil ich einem bestimmten Schönheitsideal entsprechen will?
Nicht so frei, wie wir denken
Die ganze Diskussion über Wahlfreiheit im feministischen Kontext ist kompliziert, schließlich will man niemandem für persönliche Entscheidungen verurteilen oder kritisieren. Zudem kann das Argument der persönlichen Wahl ganz schnell von Antifeminist*innen genutzt werden: „Die Frau wollte eben zu Hause bleiben! Das hat nichts mit mangelnder Gleichberechtigung zu tun!“
Wir alle treffen Entscheidungen, die von unserer Sozialisierung und unserem Umfeld beeinflusst werden. Rassismus, Sexismus und Faktoren wie Klassenzugehörigkeit oder Identität schränken unsere Wahlmöglichkeiten und die Qualität der getroffenen Wahl ein. Wir sind in unserer Wahl gar nicht so frei, wie wir vielleicht denken – oder uns eingeredet wird. Feminist*in sein bedeutet heute auch anzuerkennen, dass wir unsere feministischen Ideale nie vollständig mit jedem Aspekt unseres Lebens in Übereinstimmung bringen werden können. Wir werden immer wieder scheitern. Nicht alle unsere Entscheidungen sind feministisch und wir sollten auch nicht so tun, als seien sie es. Manchmal ist eine Entscheidung einfach nur eine Entscheidung, eine Wahl, die wir treffen. Wir machen Kompromisse, weil wir eben nicht in einer Art feministischem Utopia leben. Wie könnten wir also andere dafür kritisieren, dass sie ebenso Kompromisse machen oder versuchen, trotz eingeschränkter Wahlmöglichkeiten zufrieden zu sein?
Wahlfreiheit als Totschlagargument
Trotzdem sollten wir nicht aufhören, zu diskutieren. Denn viel zu oft wird die Wahlfreiheit als Totschlagargument benutzt: „Ist doch ihre Entscheidung!“. Das Mittel gegen apolitischen Feel-Good-Choice-Feminismus ist nicht Kritik an einzelnen Frauen und ihren Entscheidungen – sondern Kritik an der Gesellschaft und an Strukturen, die Wahl ermöglichen oder einschränken. Es geht darum, für tatsächliche Wahlfreiheit zu kämpfen und sich nicht mit bloßer Empowerment-Rhetorik zufrieden zu geben. Es geht darum zu erkennen, dass andere Frauen eventuell nicht die gleichen Wahlmöglichkeiten haben wie ich. „Ich wähle meine Wahl!“ mag als Mantra gut funktionieren – automatisch gerechter macht es die Gesellschaft nicht.