Slow Sunday // Julia Janes Neues Zuhause:
Ich kann in 15 Minuten wieder ausziehen:

13.08.2017 Slow Sunday

Ein paar Wochen ist es her, da kam ich endlich völlig erschöpft in meinem neuen WG-Zimmer in der Haupstadt an und hätte dort lieber für immer auf dem Holzboden geschlafen, anstatt noch eine einzige Nacht in einem Übergangs-AirBnB zu verbringen. Versteht mich nicht falsch, ich habe durch die ständige Umzieherei zu meinem Riesenglück eine ganz liebe neue Freundin gewonnen, aber auf Dauer in der Einrichtung anderer zu schlafen und wohnen ist mir einfach zu rastlos. Ich bin die Personifizierung von Heimweh – habe ich nicht alle meine liebsten Dinge und meine liebsten Menschen um mich herum, könnte ich Sturzbäche schluchzen und morgens überhaupt nicht mehr aufstehen.

Weil es mich aber zusehends nervt, dass ich aus diesem Grund viel zu lange brauche, um an fremden Orten anzukommen UND weil ich zugegebenermaßen eine waschechte Decluttering-Sucht entwickelt habe, besitze ich nun endgültig nur noch so viel, dass ich innerhalb von 15 Minuten alle meine Sachen packen und einfach gehen kann. 

Jetzt mal im Ernst: Ich glaube ich bin nicht nur in Berlin angekommen, sondern auch im Minimalismus-Himmel. Als ich nämlich vor etwa 14 Tagen entschied, dass mich vermutlich keine 10 Pferde jemals zurück nach Köln kriegen, musste ich wohl oder übel noch ein letztes Mal mit Koffern und Taschen in die Heimat reisen und meinen Clutter auseinander dividieren. Und weil ich nichts, aber auch wirklich nichts mehr in meinem Leben haben wollte, was mich belastet, zurückhält oder verlangsamt, fasste ich folgenden Entschluss: Alles, was mir wichtig ist, muss von nun an in 2 große Reisekoffer passen. Ja, das ist verrückt oder auch: Mission Impossible. Das wurde mir spätestens dann klar, als ich versuchte nur mal meine Schuhe, Klamotten und Bücher in die besagten Hartschalenreisebegleiter zu verstauen. Nicht nur das beklemmende Gefühl in mir machte mir Angst, sondern auch die irrsinnige Lust, einfach alles stehen und liegen zu lassen und zu gehen.

Was ich dann tat, mag wohl der ein oder andere von euch für völlig durchgeknallt halten, aber es war tatsächlich das Befreiendste und Beste, was ich jemals für mich getan habe:

Ich habe mich nämlich abgesehen von Klamotten, Schuhen, 2 Bilderrahmen, Schmuck, 2 Rücksäcken und einer Handtasche, ein paar Küchenutensilien (4 Teller, 2 Schüsseln, 4 Tassen und 4 Gläser sowie Besteck), Originaldokumente wie Reisepass, meinem Laptop und meinem Handy von ALLEM getrennt, was ich besessen habe. Dazu zählten zum Beispiel alle Bücher, DVDs und Zeitschriften, die aus irgendeinem Grund vergangenen Decluttering-Prozesse überlebt hatten. Auch Fotos, gemalte Bilder, Briefe und Erinnerungen wurden geschreddert und vorher via Scanner-App digitalisiert gen Cloud geschickt. Pflanzen, Stoffbeutel und jeglicher Dekokram schafften es ebenfalls nicht in meine zwei Koffer. Ich ließ alle Möbel zurück und bestellte lediglich für mein Fahrrad eine super unkomplizierte Abholung via Deutsche Bahn.

Zurück in Berlin, schnappte ich mir ein Drive Now Auto und bestückte in einer abenteuerlichen Transportaktion mein neues Zimmer mit dem Mindestmaß an schwedischen Möbeln, ohne die ich wirklich nicht leben könnte. Konkret heißt das: Eine Matratze, Bettzeug, einen Spiegel, 3 Kleiderständer, Bügel, 5 weiße schlichte Boxen (für Unterwäsche, Handtücher und Sportzeug), ein Minischreibtisch und eine Lampe. Den Stuhl bekam ich geschenkt und auch die wunderschönen Bettbezüge in Altrosa wurden gesponsort. Als ich mich dann 24h später auf meinem Bett niederließ und mein Blick durch das sehr aufgeräumte und völlig leere Zimmer schweifen ließ, hätte ich losquietschen können vor lauter Glück. In besitze jetzt nur noch sehr wenig, das Nötigste und so viel, dass ich in weniger als 20 Minuten alles zusammenpacken und gehen kann. Übrigens: Sollte mich in der Zukunft noch die völlig an den Haaren herbeigezogene Ikea-Phobie anderer befallen, kann ich Einzelstücke dann zum Glück ganz bequem durch einen Besuch auf dem fußläufig erreichbaren Mauerparkflohmarkt ersetzen. Bis dahin werde ich aber erstmal den neu gewonnen Freiraum völlig ausreizen und jeden freien Quadratmeter ausnutzen. Weil mir da jetzt nämlich nichts mehr im Weg steht und weil ich mich endlich angekommen fühle.

Noch drei abschließende Tipps für all diejenigen unter euch, denen es jetzt bereits unter den Nägeln juckt oder die den unbändigen Wunsch verspüren ihren Besitz zu halbieren:

  • ich war lange ein Gegner von digitalen Lesegeräten, möchte mich von meinem Kindle nun aber nie wieder trennen und vermisse meine Masse an eingestaubten Büchern kein Stück
  • 3 Kleiderständer haben mich ganz automatisch in der Menge an Oberteilen, Hosen, Jacken und Kleidern beschränkt – ebenso die nette Farbpalette, die natürlich nicht durch Fremdfarben gestört werden darf
  • durch wenig Stauraum bin ich einerseits gezwungen oft aufzuräumen und werde gleichzeitig daran gehindert zu viel neuen Kram zu kaufen

14 Kommentare

  1. Sarah Volk

    Sehr inspirierend für mich, ich bin auch gerade am Umziehen und obwohl ich immer viel aaussortiere, merke ich doch wieder, wie viele Sachen ich leider habe. Was mir immer sehr schwer fällt: Wie bist du den ganzen Kleinkram losgeworden? Ich weiß immer nicht wohin damit, ob ich das wegwerfen kann? Ich will auch nicht alles wahllos wegwerfen, aber verkaufen ist so viel Aufwand, das ist es mir nicht wert. Also schmeiße ich es in eine Kiste oder Schublade und rühre es dann bis zum nächsten Umzug / Umrahmen / Ausmisten nicht mehr an.

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    1. Julia Jane Artikelautorin

      Liebe Sarah,
      ich kenne das Problem nur allzu gut. Mein Weg zu Minimalismus hat schon vor einer ganzen Weile begonnen, deshalb verstehe ich dich sehr gut. Natürlich weiß ich nicht genau, was du mit Kleinkram meinst. Aber ich habe vor allem alles, wovon ich mich nicht direkt trennen konnte, in eine Kiste gepackt. Dabei habe ich mich aber wirklich auf eine einzige Kiste beschränkt und sobald kein Platz mehr darin war, habe ich sie erneut durchforstet und immer etwas gefunden von dem ich mich dann trennen konnte.
      Auch Fotos von Gegenständen oder Briefen zu machen und diese in der Cloud zu archivieren (trotz Datenschutzbedenken und „digitalem Clutter“ habe ich mich einfach für diese Lösung entschieden, sie ist für mich momentan noch die beste Option), empfand ich als sehr hilfreich. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mir wirklich nichts jemals wieder angeguckt habe. Aber die Sicherheit, dass ich theoretisch könnte, gibt mir irgendwie Ruhe. Was tatsächlichen Wert hatte, habe ich verkauft oder verschenkt – viel ist bei mir aber auch einfach im Müll gelandet. Das wichtigste für mich dabei war, dass ich nichts nachkaufe und nichts mehr anhäufe, was für mich auch gut funktioniert hat.
      Ich wünsche dir ganz viel Freude und auch Kraft beim Aussortieren und sei bloß nicht zu hart zu dir. Decluttering ist in meinen Augen ein monatelanger, wenn nicht jahrelanger Prozess.

      <3 Julia

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      1. Lena

        Ich habe viele Sachen ins Sozialkaufhaus gebracht. Bücher, Klamotten, Möbel … kann man dort abgeben. Und einen Teil meiner aussortierten Klamotten habe ich z.B. zu H&M gebracht, die recyceln das dann …

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  2. moni

    Wahnsinn. Respekt für diesen Schritt. Finde es mutig z. B. Erinnerungen auszusortieren, wie alte Fotoalbem von Familie & Freunde…. oder andere Dinge die ich anstatt sie digital zu betrachten lieber in der Hand halten möchte. Dennoch gibt es nur eine Sache, die ich besitze, welche ich z.B.

    bei einem Wohnungsbrand retten würde…. also vlt ist es doch einfacher als gedacht einfach mal anzufangen, sich von „Altlasten“ zu befreien.

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  3. Mila

    Ich habe auch lange Zeit so gelebt. Leider führt es für mich dazu nie wirklich irgendwo anzukommen. Am Anfang war es sehr befreiend. Zusätzlich kann alles schnell aufgeräumt und sauber gehalten werden. Es ist also praktisch. Aber wenn man nie eine Schatulle mit alten Briefen und Bildern öffnen kann, um in Erinnerungen zu schwelgen, machen einen die kahlen Wände auch sehr schnell verrückt. Sich von zu viel Ballast zu trennen halte ich dennoch für ratsam. So radikal jedoch für unnötig.
    LG

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    1. Julia Jane Artikelautorin

      Liebe Mila,
      danke für deinen Kommentar. Zum Glück habe ich bisher noch keine Erinnerungen vermisst oder hätte gerne eine Kiste mit Kram von früher geöffnet, aber ich weiß was du meinst. Ich glaube es ist aber auch eine sehr individuelle Sache mit den Erinnerungen – für mich sind ehrlich gesagt viele Erinnerungen auch nicht unbedingt angenehm und ich bin auch nicht sehr gut darin, einmal eine Kiste zu öffnen und dann einfach wieder schließen zu können. Das ist aber sicher für jeden anders.
      Liebe Grüße,

      Julia

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  4. Andrea

    Liebe Julia, Du scheinst wirklich eine Frau der Extreme zu sein. Du hast zum Thema Veganismus, soweit ich mich erinnere, auch mal geschrieben, dass Du Dich regelrecht gegeisselt hast weil Du selbst gleich die allerhöchsten Ansprüche an Dich selbst gestellt hast. Ohne Rücksicht auf und Nachsicht mit Dir selbst. Ohne die Hintergründe für Deinen Umzug nach Berlin zu kennen (geht mich ja auch nichts an) wirkt dieser Umzug in seiner Radikalität ähnlich gnadenlos Dir selbst gegenüber. Du wirkst getrieben und ich wünsche Dir von ganzem Herzen, dass Du Dir selbst ein Bisschen Rabatt auf das Hunderprozentige geben, also mit Dir selbst nicht ganz so streng sein kannst und dass Du alsbald zu innerer Ruhe finden kannst. Kein Mensch auf der Welt ist perfekt und kann allen Ansprüchen – auch den eigenen – stets genügen und muss das auch gar nicht. Alles Gute!

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    1. Julia Jane Artikelautorin

      Liebe Andrea,
      ich musste ein bisschen lachen bei deinem Kommentar, denn du hast wirklich Recht, wenn du sagst ich neige zu Extremen. Und auch richtig ist, dass man es auch ziemlich schnell übertreiben kann, wenn man immer zu perfekt sein möchte. Deshalb habe ich mir für das Decluttering auch sehr viele Monate Zeit genommen. Ob ich nun in ein paar Wochen zu einem ähnlichen Schluss komme wie beim Veganismus und Co kann ich nicht sagen, aber ich hoffe natürlich, dass ich aus der Vergangenheit wenigstens etwas lerne 🙂
      So oder so, lieben Dank für deine Worte <3
      Julia

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  5. Jael

    Liebe Julia,

    bisher mochte ich deine Artikel zum Thema Minimalismus und Decluttering wirklich gerne.
    Dein Statement bezüglich der „völlig an den Haaren herbeigezogenen Ikea-Phobie anderer“ hat mich jedoch etwas stutzig gemacht und das nicht nur, weil es meiner Meinung nach etwas zu polemisch formuliert ist.
    Findest du es tatsächlich so „völlig an den Haaren herbeigezogen“, wenn man versucht Ikea zu meiden? Denn Anbetracht der existenten Vorwürfe gegen den Schweden bezüglich Umweltschutz und Nachhaltigkeit und der Tatsache, dass der Preis vieler Produkte noch nicht einmal deren Materialkosten deckt, scheint mir persönlich eine „Ikea-Phobie“ nicht allzu abwegig.

    Liebe Grüße
    Jael

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    1. Julia Jane Artikelautorin

      Oh, Jael, das war ganz anders gemeint. Ich sehe aber vollkommen, dass man es hätte auch so verstehen können wie du. Was ich meinte ist eher die etwas arrogante Herangehensweise an Interior und der Einstellung, dass IKEA einfach nicht cool und sophisticated genug ist. Das ärgert mich einfach sehr oft, weil ich das für eine prinzipielle Verurteilung halte. Was das Thema Nachhaltigkeit angeht, hast du natürlich vollkommen Recht. Ich würde gerne meine gesamte Wohnung mit Möbeln und Textilien bestücken, die ethisch korrekt produziert wurden. Leider gibt es da in diesem Bereich noch sehr viel Raum nach oben, was das Angebot und die Preislage angeht. Und um mir alles Second-Hand zusammenzusuchen, hat mir diesmal die Zeit gefehlt. Das mache ich schon bei meinen Klamotten und es nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, leider muss ich da manchmal Kompromisse eingehen. Nehme aber deine Anregung gerne mit auf, um mich selber nochmal daran zu erinnern. Hoffe das mit meinem IKEA-Statement hat sich geklärt.
      Hab einen schönen Tag und viele Grüße,
      Julia

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  6. Mary

    Liebe Julia,

    ein mutiger Schritt und bestimmt sehr anstrengender Schritt. Ich habe in den letzten 10 Jahren (Uni, Unzüge, Auslandsaufenthalte ) ebenfalls oft auf Neustart gedrückt und die Anfänge sahen regelmäßig und zwangsläufig so aus wie bei dir also Matratze, Kleiderstange , Tisch Stuhl. Das finde ich jetzt noch nicht so wahnsinnig abenteuerlich ehrlich gesagt denn ich denke so geht es vielen.

    auch mit 30 besitze ich -noch- nicht viel mehr auch weil der sich sedimentierende Kleinkram bei Strecken über 1000 km einfach zu wenig Chancen bekam.

    Aber ist es nicht völlig normal, dass wir in dieser alters und Lebensphase öfter mal wieder “ ohne alles “ dastehen bis wir uns , wenn gewollt ,setteln? Stichwort neuer Job irgendwo in neuer Stadt ohne Freunde /Familie etc. /Erasmus/ Uni /Ausbildungs-Start

    Ich möchte dir jetzt nicht das berechtigte Lob für deinen Mut absprechen , nur vlt -die Einzigartigkeit dieser Situation. Vlt nimmt das ja auch für dich ein bisschen Spannung raus im positiven Sinne

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  7. Mary

    ps : beim Stichwort Schreddern der Fotos und Zeichnungen geht es mir ganz ähnlich .
    Als wären diese Dinge heilig und Verlust oder Zerstörung ein Verlust des selbst Pflege und bewahre ich (nur) sie sorgsamst.

    Bei einer schwarz -weiß Foto Album – Entdeckung kam mir das vor wie Leichenfledderei .

    Ein Kollege hat mir erzählt, dass er seine Fotos (sein Leben !) in 3 Clous Speichert.

    Gleichzeitig produzieren wir täglich manchmal 100e neue Fotos, die ich mir nächstes Jahr bestimmt nicht nochmal stundenlang anschauen werde.

    Gleich ob schöne oder blöde Erinnerung ich mag den einfach blick zurück einfach generell nicht so gerne.
    Vlt auch weil sekündlich eine neue Erinnerung die man verpassen würde wenn man zurück schaut?

    Was meinst du ?
    Es bleibt auf jeden Fall Ein Dilemma

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  8. Milla

    Mir ist es ähnlich ergangen: ich bin , sogar mit Kind, nach Berlin einzig mit einem großen Rucksack und habe nach und nach Dinge angeschafft die wir brauchen. Also Bett und Kleiderstange und Kisten für Unterwäsche etc. Ein paar Sachen habe ich auch auf der Straße gefunden. Besitzen tue ich jetzt wirklich wenig und bei Neuanschaffungen überlege ich 2 Mal, selbst bei Tassen. Und auch bei dem Spielzeug meiner Tochter. Ich war letztens tun Besuch bei einer Freundin, die mit Mann und Kind komplett eingerichtet ist und habe festgestellt, dass ich mir das nicht mehr vorstellen kann und bin froh nur noch Sachen zu haben,die erstens ausnahmslos sehr schön sind die zweitens auch im Einsatz sind !

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