BLACK GIRL CONFESSIONS // Fabienne, woher kommst du eigentlich wirklich?

01.11.2017 Leben, Kolumne

Es ist Samstagabend, 0:34 Uhr und ich stehe an der Bar. Ich bin mit Freundinnen unterwegs, wir wollen heute ausgehen, so richtig, nach längerer Zeit der Abstinenz, wir haben uns lange auf diesen Abend gefreut. Also stehen wir irgendwann an der Bar und haben bestellt und jemand gesellt sich zu uns. Ein fremder Mann zwängt uns ein unbefangenes Gespräch auf. Die Hälfte der Gruppe konnte knapp entkommen, die andere nicht. Ich gehöre zu letzteren und versuche, freundlich zu bleiben. Er ist nämlich recht sympathisch, weshalb wir mitspielen.  Mit einem Eisbrecher ging es los, Grundfragen wie Studium – Beruf – Berliner Kiez – Wohnform und Mietpreis sind schnell abgehandelt. Inzwischen sind wir allesamt mit Getränken in der Hand auf dem Weg nach draußen um eine zu rauchen. Die Stimmung ist ausgelassen. Bis die Bombe platzt: „Fabienne, woher kommst du eigentlich wirklich?“

Die Herkunftsfrage. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft sie mir gestellt wurde und ich habe aufgehört zu mutmaßen, warum jemand gerade jetzt, ausgerechnet in diesem oder jenem diese Frage stellt. Ich bin in Lübeck geboren und aufgewachsen, würde demnach immer sagen, dass ich aus Lübeck komme und, nach einem kurzen Kommentar des Gegenübers über Marzipan und die schöne Altstadt, das Thema nicht weiter beleuchten. Leider ist das gar nicht so leicht, da wollte jemand eigentlich wieder etwas ganz anderes wissen.“Nein, woher kommst du wirklich, ist die immer wieder verdutzte Gegenfrage, wann immer ich fröhlich erkläre, dass die Königin der Hanse meine Heimat ist.

[typedjs]Bist du geflüchtet, oder vielleicht sogar adoptiert?[/typedjs]

Ich warte in der Regel so lange, bis mein Gegenüber die Frage richtig formuliert, und stoße dann, fast immer, auf großes Unverständnis. Die meisten wollen wissen, woher meine Eltern kommen, oder zumindest der Teil der Familie, der nicht ganz weiß ist. Meine wirkliche Herkunft ist in ihrer Vision also ein weit entferntes Land gepaart mit einer äußerst interessanten Familiengeschichte. Die Antwort „Schleswig Holstein, Lübeck“ klingt hingegen wohl ziemlich enttäuschend. Langweilig. Ich habe wirklich schon alles gehört: Ob ich geflüchtet bin oder adoptiert wurde oder mit dem Wanderzirkus in der Stadt. Wirklich wahr. Und warum? Weil mich jemand als „nicht rein-deutsch aussehend“ identifiziert, als könnte jemand mit Afro, dunklerer Haut oder dunklem Haar nicht deutsch sein. Und da wären wir beim eigentlichen Problem der Frage angelangt:

Sie konfrontiert die Gefragten immer damit, dass sie nicht deutsch aussehen, nicht deutsch sein können, nicht dazugehören. Und ist wider der meisten Einwände tatsächlich nicht ok. Sie ist nicht ok im Club an der Bar und sie ist nicht ok an der Kasse im Supermarkt. Sollte mich jemand fragen, woher meine Eltern kommen, werde ich mit der Antwort rausrücken, mich aber trotzdem situationsbedingt dazu äußern, warum und weshalb ich diese Frage wahrhaftig als unangemessen erachte: Weil sie in einem flüchtigen Kontakt oder einem Smalltalk nichts zu suchen hat. Ich muss mich in einem solchen Fall nunmal umgehend mit Fragen zur Familie und Herkunftsland auseinandersetzen und gleichzeitig unheimlich viel preisgeben, weil meine Familienhistorie eben ein bisschen komplizierter ist und für mich ein sensibles Thema bleibt.

Die Frage nach meiner wirklichen Herkunft hinterfragt mein „Deutsch sein“. Immer dann, wenn einer nicht locker lässt und immer weiter bohrt. Ich habe Verständnis für Interesse und stufe die Frage auch nicht als grundsätzlich böswillig ein, wirklich nicht. Als übergriffig aber und indiskret allemal. Ich will, dass es mir allein überlassen ist, wann ich über meine Familienhistorie spreche, vor allem weil Identität und Nationalität für mich noch immer eine kleine Reise darstellen und ich liebend gern selbst entscheiden mag, wann ich von dieser Reise berichten möchte. Glaubt mir also: Wenn ich euch lieb gewinne, dann werde ich früher oder später von ganz allein erzählen. Bis dahin wünsche ich mir bloß ein wenig mehr Freiraum. Und auch ein bisschen mehr Feingefühl und Verständnis dafür, dass die Herkunftsfrage eine sehr private bleibt, hinter der meist viel mehr steckt als ein wahnsinnig spannendes Abenteuer, das die Gesprächsrunde zu erheitern vermag.

12 Kommentare

  1. Carolin

    Hm, ist ja auch wieder ein latenter Rassismusvorwürf, der da mitschwingt. Vielleicht ist es aber einfach auch nur ehrliches Interesse, weil dich jemand mitsamt deiner ganzen Geschichte (und dazu gehört deine Herkunft, und du redest bzw. schreibst ja auch offen drüber – Kolumne heißt nicht umsonst black girl confessions) spannend findet. Ich bin früher berufsbedingt sehr, sehr viel Taxi gefahren und da 80 Prozent der Taxifahrer in Berlin türkischen/arabischen/etc. Hintergrund haben, wurde ich sehr oft gefragt, woher ich denn käme. Meine Antwort war stets eine deutsche Kleinstadt, die Taxifahrer gaben sich damit aber so gar nicht zufrieden und hakten nach „Nein, wo bist du geboren? Woher kommen deine Eltern?“ Allesamt deutsch und hier geboren, seit mehreren Generationen. Dunkle Haare, dunkle Augen, dunkler Teint – hab ich trotzdem alles. Die Taxifahrer sagten dann nicht nur einmal verdutzt: „So sehen deutsche Frauen nicht aus!“ Das habe ich dann irgendwie immer als Kompliment genommen, aber es hat mich auch nachdenklich gemacht. Die meinten das aber mit Sicherheit nicht offensive, vermutlich eher das Gegenteil. Was ich damit sagen will: Es geht auch so rum. Und klar kann ich dir nicht vorschreiben, was dich zu stören hat und was nicht, aber ich glaube, solche Fragen sind nicht immer gleich offensive gemeint.

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    1. Fabienne Sand Artikelautorin

      Liebe Carolin, vielen Dank für deinen ehrlichen Kommentar. Leider habe ich aber direkt mit deinem Einstig ein Problem. Meine Herkunft, sprich die Stadt in der ich aufgewachsen bin, hat grundsätzlich erst mal nichts mit meiner Hautfarbe zutun, ist aber, wie ich oben ausführlich schreibe, die ehrliche Antwort auf die Frage wo ich herkomme. In den Black Girl Confessions schreibe ich regelmäßig über meine Erfahrungen als Woman of Colour oder mit Alltagsrassismus, nicht aber darüber, woher meine Eltern kommen und von wem ich meinen dunklen Teint habe. Wie oben beschrieben ist das für mich persönlich ein sehr sensibles Thema. Es schwingt Rassismuskritik mit, weil es sich hier um alltagsrassistisches Phänomen handelt, und zwar Menschen mit dunklerer Hautfarbe grundsätzlich als nicht biodeutsch zu identifizieren. Das halte ich für ein Problem. Und die Taxifahrer, die sich mit dir unterhalten haben: auch ihre Aussagen wie „So sieht eine deutsche Frau nicht aus“, finde ich höchst problematisch. Da ist auch die vermeintliche türkische oder arabische Herkunft absolut keine Entschuldigung. Warum auch? Ich habe Verständnis für Interesse und will mit dieser Kolumne den Diskurs anregen, würde aber niemals zulassen, dass mir jemand aufgrund äußerlicher Merkmale eine tatsächliche Herkunft zuweist oder abspricht. In solchen Situationen, wenn jemand also denkt ich würde nicht WIRKLICH aus Deutschland kommen, behalte ich mir vor diese Person höflich aber bestimmt auf die Formulierung der Frage hinzuweisen. Ganz egal wie sie tatsächlich gemeint ist.

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  2. Katja

    Ich habe Ähnliches in einem Geburtsvorbereitungskurs erlebt. Da wurde meine Freundin, die einen indischen Vater und eine deutsche Mutter hat, von der kursleitenden Hebamme (!) vor allen Teilnehmerinnen gefragt, wo sie herkomme. Als sie antwortete, aus „Charlottenburg“ wurde sie weiter gefragt, woher sie denn nun wirklich sei.

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  3. Kiki

    ..ich bin irre dankbar dafür, dass du mit den black girl confessions die Öffentlichkeit mit diesem Thema konfrontieren und sie informieren kannst und ich hoffe sehr, wagen zu können, dass sich langsam, aber stetig etwas verändert; dass all‘ jene, die neu von diesen Themen lesen, begreifen und erst etwas und dann vielleicht immer mehr davon erzählen und darüber diskutieren. Pathetisch? Und wenn schon, bestimmt aber nicht. Das Thema „Herkunft“, so wichtig, spannend, interessant und wasauchimmer es auch sein mag, wird, insofern ich das richtig beobachte, (teilweise?) so wahnsinnig über das Individuum gestellt, doch dabei diskriminiert es, von Fall zu Fall verschieden, vielleicht ja oft positiv gemeint, so oft aber halt kackscheißverdammtnegativ. Dabei hat es doch, da geb‘ ich dir recht, fernab von persönlichen, oft unfassbaren Geschichten (auch wieder unabhängig davon ob eingewandert oder halt nicht), niemanden etwas anzugehen. Es sei denn, man möchte sich öffnen.
    In der Schule habe ich in einer Klasse, die so irre interessiert an meiner Herkunft war, drei verschiedene Antworten gestreut, je nach dem, wer gerade wieder gefragt hat. Es gab – hallo ich bin ja eigentlich ein- und dieselbe Person, egal, wo ich herkomme – ein regelrechtes Coolnessranking je nach Herkunftsland. Ebenso beknackt wie lobende Taxifahrer bezüglich einer Herkunft. Oder der ganze Rest. Und doch alles unterschiedliche Themen nochmals, klaro. Also. Hab‘ Dank für deine Worte, ich hab‘ mich bislang über jede Möglichkeit in die Einsicht deiner Perpesktive unsagbar gefreut, mich mit dir geärgert und teilweise über meine eigene Naivität gewundert und hoffe einfach, dass du hier ein wenig die Welt änderst. Merci und alles Liebe, Kiki

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  4. Esra

    Ich HASSE es, danach gefragt zu werden. Ich bin zwar hell, aber erst mit 13 nach Deutschland gekommen und habe einen leichten Akzent, deswegen fragen die meisten, wo ich herkomme. Wenn ich sage, „aus Russland“, kommt die nächste Frage – „seid ihr dann Russlanddeutsche?“ – und spätestens da hört es auf bei mir! Nein, ich bin keine Russlanddeutsche, und dich geht es auch nix an…
    Verstehe dich sehr gut, liebe Fabienne!!
    lg
    Esra

    http://nachgesternistvormorgen.de/

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  5. Natalilala

    Noch einmal zu dem ersten Kommentar zurück. Es ist schlichtweg verletzend, wenn andauernd und zudem aus allerlei Richtungen Mutmaßungen über dich gemacht werden. Ich bekomme diese Frage regelmäßig gestellt. Ob von Schülern, Dönerverkäufern oder Freunden von Freunden, es scheint aller Welt irgendwie wichtig zu sein dich zunächst zu framen bevor man sich richtig auf dich einlassen kann. In 95% der Fälle ist die Frage nicht böse gemeint, rassistisch ist sie aber trotzdem. Sie ist deshalb rassistisch, weil ich nicht einfach wie jede andere einen Döner kaufen kann oder anderweitig Smalltalk halten kann, ohne das Feedback zu bekommen „Du bist doch nicht Deutsche oder?“ und wie ich das bin. Am liebsten würde ich mir das auf die Stirn tätowieren damit alle aufhören zu fragen. Am Ende des Tages sind wir aber wieder an dem Punkt angelangt, dass die eigene Familiengeschichte privat ist und man, wie mit allem anderen privaten auch, das gernemal für sich behält und nicht der nächsten dahergelaufenen Person erzählt. Ich möchte hier niemanden vor den Kopf stoßen, wirklich nicht, aber das geht mir nunmal durch den Kopf, wenn wieder die Frage kommt „Woher kommst du eigentlich?“!

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  6. Thorsten

    Dein Post war gerade Gegenstand unserer abendlichen Runde. So wie Du es schreibst kann ich Deinen „Widerstand“ absolut nachvollziehen und bin dankbar, dass Du meinen Horizont mit Deinen Gedanken erweitert hast.

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  7. Jamina

    Als Kind, aufgewachsen in einer ostafrikanischen Familie, der immer klar war, dass sie nicht in Deutschland bleiben würde, hätte ich nicht im Traum daran mich als deutsche zu sehen. Als ich mich dann eines Tages selber fast noch ein Kind um Grundschüler kümmerte und schwarze Mädchen und arabischstämmige Jungen fragte wo sie denn herkämen war die Antwort ein ganz selbstverständliches: Deutschland! Ich musste damals bis zu ihren Großvätern weiter fragen bis ich die Antwort bekam nach der ich gesucht habe.
    Seit dem habe ich kein Land mehr. Ich habe Herkunft, die ich nie gesehen und ein kleine westfälische Stadt. Ich bin mit „unserer“ Kultur aufgewachsen und habe erst in den letzten Jahren gemerkt, dass nicht alle so aufwachsen wie ich (warum haben die bitte Zeitungen im Bad??), aber trotzdem bin ich für alle meine Verwandten „Die Deutsche“.

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  8. Allenae

    Ich erinnere mich, dass ich in meiner Schule in meinem Zimmer lag und meiner zukünftigen Frau Tagebuch schrieb. Ich schrieb alle möglichen Notizen und Fragen und Dinge, die ich mich fragen oder fragen würde, als ich sie schließlich traf. Ich würde mich fragen, wo sie war und was sie tat und ob sie auch an mich dachte. Ich war immer so stark in meinem Herzen, eine wundervolle Frau zu finden, die mich liebt und schätzt und mich für die Person schätzt, die ich bin. Ich dachte immer daran, dass ich gleich nach dem College heiraten würde, genau wie meine Eltern, und als dieser Plan nicht funktionierte, begann ich, entmutigt zu werden. Vor kurzem hat jemand meine Frau von meinen Armen weggerissen, nur weil er spirituelle Kräfte hatte, alle Hoffnung war verloren, bevor ich auf den Hilfsarzt Prophet Laz stieß, dem ich mich anvertraute, ich erzählte ihm meine lange Geschichte und er half mir, meine Geliebte zurückzugewinnen seine Gebete, die heute die Mutter meiner Kinder sind. Wenn Sie irgendein Liebesproblem haben, prophezeien Sie die Hilfe durch seine email prophetlaz6@gmail.com 🙂

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  9. Pingback: “Ich habe meinen Rassismus nicht verstanden” | Rosa.Mag

  10. Isabella

    Also um das Mal ganz kurz von Rasse zu trennen (I know, kritischer Anfang & Ansatz): wer fände es nicht irre komische beim Gespräch mit neuen Bekannten oder im Smalltalk-Rahmen auf seine Eltern angesprochen zu werden? Sensibles Thema/ Trauma Trigger hin oder her (auch mir aus „gut bürgerlich deutscher Abstammung“ steigt bei der Frage nach meiner Familie ein Kloß in den Hals), die Frage ist schlichtweg unangebracht. Unsensibel ist es, sie die trotz der Chance, den anderen in eine unangenehme Lage zu bringen, zu stellen. Man fragt Frauen ja auch nicht, ob sie schwanger sind. Rassistisch wird’s, wenn man noch eine exotische Antwort erwartet, sich was spannendes erhofft. Übrigens gibt es bei uns einen schwarzen Mann im Edeka, der hinter so einer Bar mit frischer Ananas steht. Ich hab seinen Namen vergessen, jedenfalls wird er in jeder Werbung (in jedem Satz!) „(Name) aus Kenia“ genannt und muss dann so ein seltsames Kostüm anhaben, das mehr an einen Deutschen Urlauber, der sich pseudo-ortstypische Kleidung an nem touri-stand fürs Foto gekauft hat, als an ein tatsächlich traditionelles Kleidungsstück erinnert. Er wird dauernd gefragt, ob er was auf afrikanisch (da spricht man ja schließlich überall gleich??) sagen kann. Er verneint, sagt er spricht nur deutsch und Englisch. Was dann für Fragen kommen, kann man sich denken. Die Spitze war, als ihn eine Seniorin gefragt hat, warum er überhaupt nach D gekommen sei ( Vorwurfston). Surprise, er ist hier geboren. Mir hat’s die Sprache verschlagen, hab mir überlegt Mal mit der Ladenleitung zu reden (kein Karen-Stil) weil das eine reine zur Schau Stellung ist und das ein Supermarkt und kein Zoo ist wo man anstarren darf. Ich hab erstmal mit ner Freundin drüber geredet, die meinte nur was den mein Problem ist und er hätte es sich ja ausgesucht dort zu arbeiten. Was ich darauf antworten sollte, was ich jetzt tun soll und vor allem warum ich das hier erzähle weiß ich auch nicht -thx for listening for my ted talk.

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