Kobolde im Dorf, Konfetti in der Stadt.

06.09.2011 Allgemein, Leben
Fotos: Nike van Dinter

Ich bin der Clown auf Stelzen im Spagat zwischen Wurzeln und Weitblick. Ein trauriger Clown, der nicht in die Reihe passt, der hier zu bunt ist und dort drüben dunkelgrau. Ich bin der Clown mit zwei Herzen, einem in der Brust und das andere pocht im Kopf. Stadt, Land, Fluss, wo komm ich her, wo bin ich jetzt. Dorftrampel heute, verkorkster Großstädter morgen. Beides sein, das geht nicht. In ihren Köpfen, in ihren seltsamen, großen Alienköpfen gibt es nur schwarz und weiß und du musst dich entscheiden.

Zu Hause ist es am schönsten, aber wo ist Zuhause? Es gibt Heimat und die große Wahl für den nächsten, neuen Schritt. Der Schritt ist die Stadt, die Stadt ist Berlin und Fels, der steht da, wo die Familie ist und die Freunde, die seit Jahren standhaft und mutig sind und unersetzlich für immer. Aber das eine geht oder das andere nicht, das Früher schütz vor dem Fall, das Jetzt vor Übersättigung. Laut und leise, vertraut und viel zu viel. Gegensätze, die in meiner Welt nicht im Alleingang überleben, sondern sich gegenseitig nähren und lebensnotwendig werden. Meine Glitzerkonfettiwahlheimat pumpt Energie in meine Adern. Neue Freunde, neue Ansichten, so viel zu erleben und am Ende baut man sich sein kleines Nest aus Kuchen und Mitbewohnern und Musik und allem, was den Horizont bis in die Unendlichkeit schiebt. Hungrig nach Erlebnissen, nach Erfindungen und bunten Träumen. Der Clown wischt seine Tränen weg, denn er weiß jetzt, wo er sein will.

 

Zwischen Häusern und Straßen und Bass, in der Stadt, die ihn tagein, tagaus verschluckt und immer wieder ausspuckt. Feuchte Haut von durchtanzten Nächten, Krümel am Mund vom Frühstück im Park und Kribbeln im Bauch, weil ich weiß, wer an meiner Seite ist. Neue wunderbare Menschen, neue Liebe, neues Glück. Ankommen und wissen, wo man hin gehört, dass das Clownskostüm nur noch in Fetzten an der Schuhsohle hängt. Aber der Kopf, der weiß: Wenn der Dompteur zu störrisch wird und dir das Konfetti in die Nase steckt, bis du beinahe erstickst, dann kannst du zurück. Einatmen, ausatmen, durchatmen. Da, wo alte Freunde Gedanken lesen und Mamis Gesundheitssuppe zur Genesung kochen. Wo man dich mit den Socken am Boden festtackert, damit du nicht fliegst und am Ende tief fällst. Da wo Heimat ist, das kleine Dorf, dass du verabscheust und vergötterst, beides im selben Augenblick.

Und dann bist du da in deiner Ruhe und plötzlich fangen die kleinen Kobolde an, an dir zu nagen. Die fiesen fremden Leute mit ihren festgeschnallten Scheuklappen und den großen Mündern, die Dorfbewohner, die du eigentlich gar nicht kennst, aber sie dich, denn sie wissen alles, denken sie. Die, aus deren Lippen mehr Klatsch und Tratsch quillt als aus Merlins Zauberhut. Sie beäugeln und stecken Köpfe zusammen, machen anderen Probleme, weil ihr eigenes Leben zu trostlos ist, weil sie nicht weiter blicken, als bis zu ihrem Gartenzaun. Du verwünschst sie und wünschst dir zugleich, sie hätten ein einziges Mal die Welt gesehen, vielleicht wären sie dann nicht so verbittert und zerknautscht. Wenn sie nicht wären, denkst du, dann wäre es auch hier richtig schön.

 

 

Manchmal erschrecke ich mich vor meinen eigenen Gedanken. Zu Hause ist doch das Herz und die Familie der Fels, der alles hält. Die Schulfreunde, die, die dich am allerbesten kennen. Aber irgendwann hast du nie Nase voll und dir bleibt nichts als Flucht. Weil du Fäuste in viel zu großen Hosentaschen ballst und beinahe blutest wegen all der seltsamen Ansichten der Kobolde, die wie spitze Pfeile in deine Ohren und Augen fliegen. Dann schäme ich mich, weil ich zurück will, weil ich zum Telefonhörer greife und sage „Ich komme bald wieder nach Hause, nach Berlin“.

Dann ordne ich meinen Gedanken, um festzustellen, dass alles genau so ist, wie es sein sollte. Man muss das Meer sehen, um das Land schätzen zu können, man muss fortgehen, um zu entdecken, was man dort hinten zurücklässt. Man verändert sich, die Zeit verändert dich und das, was du erlebst, steuert deine Gedanken. Was zählt ist, dass du nicht vergisst, wer dich geprägt hat, wo du groß geworden bist und wo du Unterschlupf suchen kannst, wenn die ganze Welt zusammen bricht. Und dann in ein paar Jahren, dann hat sich der Spieß vielleicht gedreht. Vielleicht wirst du irgendwann deine Stelzen abschnallen und aufhören, im Spagat zu leben, vielleicht wirst du dich entscheiden. Und vielleicht sogar für die Kobolde und Pfeile, weil die Stadt so sehr an dir gerüttelt hat, dass du nur noch liegen lernen willst, und zwar auf dem Rücken, mit Sicht auf den Gartenzaun. Wer weiß das schon.

7 Kommentare

  1. Jesse

    Ich teile deinen komplette Gedankengang, nur ich hätte das nicht so in Worte fassen können, Yes, das triffts!

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  2. Liz

    Nike, ohne scheiss, da hab ich letzetns noch drüber nachgedacht.. wie schön das war mit efas im park.. zwei herzen in der brust.. danke, dass du meine gedanken in worte fassen konntest.. <3 <3 <3 ich hab mich entschieden, es wird das Land sein für Ruhe und die Stadt wird es sein zum Abhauen, wenns mal zu ruhig ist..

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  3. Svenja

    Ein toller Text!
    Wo ich später mal leben werde, frage ich mich fast jeden Tag. Wobei ich mir, seit ich in Berlin wohne ganz sicher bin: später habe ich mal ein Haus mit einem Garten. Aber nicht in der Vorstadt, wo man den Nachbarn beim Mittagsschlaf in der Hängematte schnarchen hören kann, sondern am liebsten auf dem Land mit einer Aussicht auf Berge, Felder, Wälder oder vielleicht auch einen See.
    Allerdings gibt es ja auch Städte, wo Natur nicht nur aus ungepflegten Unkrautflächen besteht, wo man frische Luft atmen kann und wo man Weite erleben kann.

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  4. Pingback: This is Jane Wayne – “Must Read”-Blogempfehlung « annablogie!

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