Interview //
Corin Tucker über Feminismus, Lena Dunham & Kindererziehung

28.04.2015 Feminismus

NoCitiesToLove01Wenn ich erzähle, dass ich Feministin bin, kommt das nicht immer nur gut an. Viele denken bei dem Begriff Feminismus leider immer noch an Hass gegen Männer. Mein Feminismus hat damit nichts zu tun. Ich kämpfe gegen Slut- und Body Shaming, für Gleichberechtigung auf allen Ebenen, für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau – um nur einige Themen zu nennen. Und natürlich bin ich dabei manchmal auch wütend. Der passende Soundtrack dazu kommt immer wieder von Sleater Kinney, eine der vielleicht wichtigsten Riot Grrrl-Bands der Neunziger. Es war mit darum eine Ehre, Corin Tucker, Sängerin und Gitarristin des Trios, für ein Interview treffen zu dürfen.

Ein Gespräch über Privilegien, Empörung, Lösungsansätze und, natürlich, Feminismus. Und über den neuen Cinderella-Film. 

Corin, nach knapp zehn Jahren habt ihr mit Sleater Kinney wieder ein Album rausgebracht (“No Cities To Love”). Wie fühlt es sich an, nach so langer Zeit wieder zusammen im Studio und auf Tour zu sein?

Fühlt sich super an! Das Album war der Grund für unsere Reunion und das war definitiv die richtige Entscheidung. Es hat uns geholfen, als Band eine neue Bindung herzustellen, an neuem Material zusammen zu arbeiten. Es hat riesigen Spaß gemacht, die neuen Songs gemeinsam aufzunehmen, gemeinsam auf Tour zu gehen und wir haben ein Album gemacht, auf das wir sehr stolz sind.

Wie war der erste gemeinsame Auftritt nach dieser langen Zeit?

Ein bisschen surreal, ehrlich gesagt. Lustig, ich weiß nicht, aber wirklich surreal. An dem Tag, als wir zum allerersten Mal wieder zusammen gespielt haben, konnte ich das irgendwie überhaupt nicht einordnen. Ich weiss noch, wie ich abends nach dem Gig eingeschlafen bin und am nächsten Tag aufwachte und gedacht habe: Welches Jahr haben wir? Wie viele Kinder habe ich? Ich war total verwirrt.

Sleater Kinney

Aber jetzt erinnerst du dich wieder daran, wie viele Kinder du hast?

Haha, ja! Jetzt fühlt sich alles wieder normal und richtig an. Ich habe mich wieder daran gewöhnt, mit Sleater Kinney aufzutreten.

Auf eurem neuen Album klingt ihr immer noch sehr wütend. Aber etwas weniger melancholisch als in früheren Songs. Warum?

Ich glaube, unsere Wut ist heute konzentrierter. Fokussiert auf ganz spezifische Themen, die uns persönlich entrüsten. Wir kanalisieren diese Empörung dann in unsere Songs. 

Worüber seid ihr denn empört?

Die Songs auf „No Cities to Love“ behandeln eher globale Brandherde. Krisen, die auch andere Menschen betreffen. Geschichten wie etwa im Song „Price Tag“, in dem es darum geht, als Frau Arbeit zu haben um seine Familie ernähren zu können – und dass das eben lange nicht überall der Fall ist. Viele Menschen werden ausgebeutet und entrechtet, damit große Unternehmen daraus Profit schlagen können. Solche Themen frustrieren uns, und mit unserer Musik wollen wir zeigen, dass das Frauenrecht eben nicht nur uns als Individuen betrifft, sondern jene, die viel weniger privilegiert sind als wir.

Ein Privileg ist es beispielsweise, dass ihr als Musikerinnen Geld verdienen könnt. Einfach ist das doch sicher auch nicht.

Nein, es ist wirklich schwierig und eine Herausforderung heutzutage mit Musik Geld zu verdienen. Erfreulicherweise haben wir mit unserer Band Erfolg. Wir betrachten das nicht als selbstverständlich. Die Menschen, die es in unserem kapitalistischen System mit am schwierigsten haben, überhaupt den Mindestlohn zu verdienen, sind arbeitende Mütter. Und ich denke, darauf müssen wir aufmerksam machen. Wenn diese Menschen nicht im gleichen Maße wirtschaftlich geschätzt und gefördert werden wie alle anderen, ist das auch ungesund für unser ganzes Sozialsystem.

Korin Tucker

Ich denke, das hat auch viel damit zu tun, dass die Hausarbeit gesellschaftlich nach wie vor nicht der Erwerbsarbeit gleichgestellt ist.

Genau! Und dabei ist es ist wichtig, diese Diskussion zu führen, mehr darüber zu reden. Auch über die anspruchsvolle Arbeit als Eltern – das betrifft Frauen und Männer gleichermaßen. Eine solche Diskussion hilft uns allen, der gesamten Gesellschaft. Nicht nur den Eltern und Kindern.

Wie ist das eigentlich in Amerika, wie lange können beide Elternteile frei nehmen nach der Geburt eines Kindes?

In den meisten Unternehmen sind es, glaube ich, drei Monate. Aber das ist nicht lang genug! Sechs Monate wären schon viel besser.

Hier in der Schweiz gibt es zum Beispiel keinen gesetzlich vorgeschriebenen Vaterschaftsurlaub.

Das ist wirklich ein Skandal! Und es beweist einmal mehr, dass wir dringend eine Gleichstellung der Geschlechter verfolgen sollten.

Apropos: Heute bezeichnen sich immer mehr weibliche Superstars als Feministinnen. Taylor Swift, Emma Watson, Beyoncé, um nur einige zu nennen. 

Ich finde es wunderbar, dass sich immer mehr junge Frauen dem Feminismus zuwenden und die Kontrolle über ihre eigene Karriere übernehmen. Gleichzeitig ist Feminismus ein sehr dehnbarer Begriff, ein Idealismus, der sich mit der Zeit verändert. Dass jetzt so viele Junge diesen Weg bereiten, finde ich natürlich sehr stark! Hier in Amerika beobachte ich, dass mehr und mehr junge Frauen sich stärker auf ihre Karriere konzentrieren als früher. Auf das Vorankommen. Das führt natürlich auch zu neuen Herausforderungen.

Zum Beispiel?

Die jungen Frauen überlegen sich heute sehr sorgfältig, ob und wann sie Kinder bekommen möchten und wie sie das mit ihrer Karriere vereinbaren können. Hier spielt natürlich auch Aufklärung auch eine wichtige Rolle, denn das Thema Verhütung ist vielerorts tatsächlich noch immer ein Tabuthema – und wir schreiben das Jahr 2015! Es fängt oft schon damit an, dass Verhütungsmittel nicht gratis zur Verfügung stehen, was für viele Frauen bereits die erste Hürde darstellt. In Amerika kämpfen wir deshalb noch immer sehr stark für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, die selbstbestimmte Verhütung und die leichtere Zugänglichkeit zu entsprechenden Mitteln.

Inwiefern engagiert ihr euch als Band dafür?

Wir arbeiten mit der Non-Profit-Organisation „Planned Parenthood“ zusammen, die in über 700 Kliniken in Amerika ihre Dienste anbieten. Zum Beispiel im Bereich Gynäkologie oder eben Familienplanung. Während unserer Konzerte werden außerdem immer gratis Kondome verteilt – ganz süß verpackt.

Du hast zwei Kinder – hast du dir vorher Gedanken über die Vereinbarkeit von Familie und deinem Beruf als Musikerin gemacht?

Ich wollte schon immer Mutter sein. Ich liebe Kinder und bin sehr glücklich mit meiner Familie. Aber um ehrlich zu sein, war es ein wirklich anstrengender Kampf, gleichzeitig Mutter und Musikerin zu sein. Das ist kein einfacher Beruf, man ist oft unterwegs oder im Studio und wenig zuhause. Ich denke aber, es ist nie wirklich einfach, Eltern zu sein und gleichzeitig eine Karriere zu verfolgen. 

Was ist dir wichtig bei der Erziehung deiner Kinder?

Ein offener Dialog! Ich will, dass wir als Familie über alles reden können. Der wichtigste Punkt ist für mich, dass meine Kinder – ein Junge und ein Mädchen – kritisch denken und nicht einfach die Einstellungen übernehmen, die ich oder mein Mann haben. Wir reden sehr offen über Feminismus, Sexismus und weibliche Vorbilder. Ich finde sehr wichtig, dass man das als Familie besprechen und analysieren kann. Ich kann so wiederum auch viel von meinen Kindern lernen – meine Tochter hat mir zum Beispiel letztens anhand des neuen Cinderella-Films erklärt, warum Cinderella eine Feministin ist.

Wie das?

Ich wollte mir den Film zuerst nicht mit ihr im Kino ansehen. Cinderella schien so eine schwache Figur zu sein, das fand ich blöd. Aber meine Tochter wollte natürlich unbedingt. Ich entschied also, dass wir den Film danach ja zusammen diskutieren können. Am Ende war das total interessant! Ich sagte ihr, dass ich nicht so sicher sei, ob Cinderella sich selbst wichtig genug nehme oder ob sie sich zu sehr unterdrücken lasse. Im neuen Film wehrt Cinderella sich gegen ihre Stiefmutter – da hat sich meine Tochter dann im Kino zu mir umgedreht und gesagt: „Siehst du Mama, Cinderella steht für sich selbst ein! Sie ist stark!“. Sie ist sieben Jahre alt und diesem Moment war ich wirklich stolz auf sie. Es zeigt mir außerdem, wie wichtig es ist, auch schon mit kleinen Kindern über Themen wie Feminismus und Geschlechterklischees zu reden. Ihre Generation wird sicher einmal total anders denken als meine.

Schon heute ist das gesellschaftliche Bewusstsein für diese Themen geschärft: An Schulen diskutieren wir über sexuelle Belästigung, mehr und mehr Frauen wehren sich gegen Alltagssexismus und machen in sozialen Medien darauf aufmerksam. Ich denke, gerade die Riot-Grrrl-Bewegung war ein wichtiger Vorstoß in diese Richtung.

Für mich ist das alles ein fortlaufender Prozess, mit Riot Grrrl hat es ja nicht angefangen, sondern schon viel früher. Es ist und bleibt wichtig, dass wir den Dialog rund um Frauenthemen und Gleichstellung aufrecht erhalten, damit unsere Gesellschaft nach und nach eine bessere werden kann. Ich denke da ganz klar auch an meine eigene Tochter. An die Welt, in der sie leben wird, wenn sie erwachsen ist. Ich hoffe wirklich, dass wir nicht aufhören, für eine gerechtere und sicherere Erde zu kämpfen. Eine der wichtigsten Errungenschaften der Riot-Grrrl-Bewegung ist aber ganz sicher, dass sie einige gesellschaftliche Tabus gebrochen hat. Das hat die heutigen Diskussionen, etwa über sexuelle Gewalt oder Body Shaming, überhaupt erst ermöglicht. Noch wichtiger ist aber, dass wir damit nicht aufhören.

Jemand, den man als „modernes Riot Grrrl“ bezeichnen könnte, ist „Girls“-Regisseurin Lena Dunham. Sie hat Sleater Kinney kürzlich als Ikonen bezeichnet – was sagt Corin Tucker über Lena Dunham?

Ich finde, Lena ist eine Ikone! Sie haut mich total vom Hocker mit ihrer Arbeit. Was sie tut, ist so wichtig, ihr Schreiben, ihre TV-Serie, so etwas gab es in dieser Form vorher einfach nicht. Was ich außerdem sehr an ihr mag, ist ihre Offenheit für Kritik. Und sie wird so oft kritisiert! Sie bleibt trotzdem interessiert daran, darüber zu reden und aus eigenen Fehlern zu lernen – um dann weiter zu machen. Darum gehts meiner Meinung nach, nur so kann man wirklich viel erreichen.

In  einer Folge der Satiresendung „Sound Advice“ auf Saturday Night Live erklärt euch die Moderatorin Vanessay Bayer, dass es im Feminismus ja eigentlich darum gehe, dass die Männer endlich die Frauen nett behandeln sollen. Das Video ist superlustig, aber ich höre das erschreckend oft von jungen Frauen – sie meinen das dann nicht als Witz. Kannst du mir einen Tipp geben, was ich das nächste Mal reagieren könnte?

Puh, das ist eine gute Frage. Aber du könntest zum Beispiel vorschlagen, dass die Person mal ein Buch von bell hooks (afroamerikanische Autorin, Verfechterin von feministischen und anti-rassistischen Anliegen, Anm. d. Red.) lesen soll. Das könnte helfen! Die Grundfrage, die sich hier stellt ist sehr interessant. Warum denken manche Frauen das überhaupt? Vielleicht wäre es spannend, darüber zu reden, woher diese Gedanken kommen, damit eine Diskussion entstehen kann. Ich versuche immer, so offen wie möglich zu sein. Andere Meinungen einfach grundsätzlich abzulehnen, daran glaube ich nicht, das bringt niemanden weiter. Das Ziel sollte vielmehr sein, gemeinsam eine Lösung zu finden und weiter zu kommen.

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„No Cities To Love“ ist ab sofort hier erhältlich.

Von Miriam Suter.

Miriam Suter lebt in der Schweiz und arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Kulturmagazine. Ihre Kurzgeschichten erscheinen auf zeitnah.ch und in der Schweizer Autorenzeitschrift “NaRr”. Sie ist 27, mag Katzen und ist nebenher Presse-Mädchen für das coolste Underground-Plattenlabel der Schweiz.

5 Kommentare

  1. Clara

    Schön zu lesen! Danke!

    (Noch ein kleiner Fehler: Es zeit mir außerdem, wie wichtig es ist, auch schon mit kleinen Kindern über Themen wie Feminismus und Geschlechterklischees zu reden. Ihre Generation wird sicher einmal total anders denken als meine.“)

    <3

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  2. Pi

    tolles interview! es ist sehr inspirierend, wie corin ihr ganzes leben lang an ihrer auffassung von feminismus weitergearbeitet hat und wie sie die thematik mit allgemeinen gesellschaftlichen und globalen problemen verknüpft. da kommen sehr viele sehr kluge gedanken zusammen, die es wert sind, weitergedacht zu werden!

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