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Von Stilratgebern & Französinnen

08.09.2015 Gesellschaft, box1, Buch

how to be parisienneIch habe ein Schwäche für Ratgeberbücher, jetzt ist es raus. Solche, in denen Dinge stehen wie „loslassen“, „zur Ruhe kommen“ oder „authentisch sein“. Ein bisschen eso, ich weiß, und auch banane. Was mir aber ganz und gar nicht gefällt, ist die derzeit alles überschwemmende Klugscheißer-Literatur, die uns nichts als oberflächliche Regeln diktiert. Im vergangen Jahr gab es da ein prächtiges Beispiel, den Namen verkneife ich mir, weil viel Mühe darin steckt, das weiß ich. Jedenfalls amüsierte man sich damals noch köstlich über dieses „No-Go“ namens Sandalen, so ein Schuhwerk gehöre sich nicht für eine Frau mit Stil. Das Tragische an Aussagen wie dieser ist nicht nur deren offensichtliche Vergänglichkeit (ein paar Monate später zeigte sich die weltweite Front Row dank Célines „Furkenstocks“ gerappelt voll mit den eben noch verschmähten Latschen), sondern vor allem der Käfig der Fremdbestimmung, der mit ihnen nach und nach erbaut wird, überall da, wo Menschen sich auf das gedruckte Wort und selbsternannte Spezialisten verlassen.

Das widerstrebt ganz eindeutig dem Glanz und der Größe und dem Demokratiegedanken der Mode, die heute weniger wegen der Witterungsverhältnisse existiert, sondern vielmehr als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit agiert. Der Körper und die Kleidung, mit der wir selbigen umhüllen, sind schließlich zwei der wenigen Kostbarkeiten, über die wir noch selbst entscheiden und bestimmen können und dürfen. Ein Jammer wäre es, diese Freiheit freiwillig gen Mond zu schießen.

Was sollen all diese verbalisierten Engstirnigkeiten, was nützen Stilregeln, die nicht als neckischer Leitfaden, sondern als Muss kommuniziert werden, wenn sie nicht von uns stammen und sowieso nur für den Moment gelten, was soll das Stilfressen mit fremden Löffeln, wenn Stil doch eigentlich bedeutet, sich selbst im Wust der massenhaften Möglichkeiten wiederzufinden, manchmal zu verlieren und immer wieder neu zu entdecken. Und dann die Vergleiche. Es gibt doch keinen größeren Hohn, als das Streben danach, aussehen zu wollen wie ein Zweiter. Wir werden niemals Twiggy sein und was Twiggy trug oder mit ihren Wimpern machte, wird an uns nicht ebenso schimmern, nur anders. Inspiration ist etwas anderes als Hinterherhecheln, ersteres ist gesund, zweitens gefährlich. Und trotzdem hört man im Kleinen immer wieder „Ich möchte so aussehen wie die junge Ines de la Fressange, die Erfinderin des Pariser Chic. Oder wie Jeanne Damas mit ihrem roten Kussmund“. Der Kussmund ist realistisch, aber nur Jeanne Damas ist Jeanen Damas. Im Großen heißt es gern: „Ich wäre gerne eine bisschen parisienne.“ Wie welche der etwa 1,3 Millionen Pariserinnen denn, frage ich mich da.

Jeanne Damas
Womöglich hat Caroline de Maigret es mit ihrem Buch-Debüt „How to be Parisienne wherever you are“ auf die Spitze getrieben. ‚Kapitel I – die Grundlagen: Such dir etwas aus, was jeder mag – die Oper, Kätzchen, Erdbeeren – und verabscheue es. / Ob du redest oder lachst – niemand braucht zu wissen, wie dein Zahnfleisch aussieht.‘ Oder ‚Was man nie im Schrank einer Pariserin finden wird: Jogginghosen – darin darf dich kein Mann je sehen‘. Ich fange jetzt erst gar nicht mit Seite 62 an: ‚Wie man ihn glauben lässt, dass man eine Affäre hat.‘ Aber ja, ich vergesse das zwinkernde Auge keineswegs. Und dennoch kommt mir an dieser Stelle keine Empfehlung über die Lippen, ich sehe hier bloß die Geldmaschine rattern, sowas kann man klar denkend weder ernst meinen noch nehmen.

Claire Beermann hat den Nagel bereits mit ihrem Artikel für Zeit.de auf den Kopf getroffen: „Auf den Verkaufstischen für Literatur zu Frauenmode finden sich haufenweise Ratgeber zur Enträtselung des mystischen Chics, häufig von Französinnen selbst geschrieben. Lässig, stilvoll, charmant, all das kannst du werden, wenn du dich nur französisch genug benimmst. Frauen wird damit wieder einmal das Gefühl gegeben, sie müssten was an sich ändern und bearbeiten.“ Soll das wirklich unser Ziel sein? Hoffentlich nicht, mir würde das Zahnfleisch meiner besten Freundin beim Tränenlachen nämlich aufrichtig fehlen.

17 Kommentare

  1. Kunkel

    Na dann lies doch als nächstes Mal The Secret. Das ist ein Lebensratgeber mit Anleitung, wie man ganz schnell all das erreicht wovon man träumt. Ob’s bei dir klappt? Ich warte immer noch auf die Millionen….

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  2. Julia

    Kein Wunder, wer im Diskurs steckt, kann eben auch keine zutreffende Analyse betreiben.

    Ich empfehle allerdings zur Modetheorie: Vinken, Barbara: Angezogen. Das Geheimnis der Mode. Stuttgart 2013.

    Herzlichst

    Julia

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  3. miriam

    Habe ähnliche Gedanken wie du zu dem Buch. Ich habe es mir als es erschienen ist sofort bestellt, weil ich halt schon ein bisschen auf dieses ganze parisienne-Zeugs abfahre. Und ich mochte irgendwie auch Caroline de Maigret. Aber von dem Buch war ich furchtbar enttäuscht. Auch, wenn ich mir da tausend zwinkernde Augen dazu denke, habe ich mit Ratschlägen wie „Always be fuckable“ einfach Mühe. Und: Wenn man betonen muss, dass etwas nicht ganz ernst gemeint ist, funktioniert es anscheinend nicht. Die Krux mit solchen „Ratgebern“ ist doch, dass sich sicher viele Leserinnen der „Ironie“ nicht bewusst sind?

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  4. Régine

    Ich habe vor einiger Zeit mal zwei Jahre in Paris gearbeitet. Klar gint es DIE Pariserin, die immer in Spitzen Schuhen und adretter Kleidung und niemals ungeschminkt das Haus verlässt. In der U- Bahn sieht das dann aber (fast) genauso aus, wie bei uns in Berlin. Auch die Pariserinnen brauchen ihre Freiheit.

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  5. AP

    ich lebe seit 6 Jahren in Paris und habe das Buch auch überflogen – natürlich gibt es auch charmante Parisienne Ratgeber, die voller Klischees stecken, aber durchaus kurzweilig sind (man muss ja nicht alles ernst nehmen). Aber dieses Buch strotzt nur so von seltsamen widersprüchlichen Ratschlägen. Nein danke, das lese ich nicht ernsthaft durch. Ich finde allerdings nicht, dass es in der Metro in Paris und in Berlin gleich aussieht. In Paris gibt es zaghafte Trends, die dann ALLE nachahmen. Wenn man es so sagen will, gibt es hier viele elegante Klonfrauen in Trenchcoat, schlichter Jeans, High Heels und Bluse. Oder wahlweise Stan Smith. Aber richtige Individualität im Kleiderschrank wird doch wohl eher in Deutschland gelebt. Punks, Gothics, Skatergirls in der Pariser Metro? nicht sehr oft. Aber eines muss man den Französinnen ja doch lassen: es muss hier nicht immer alles so verdammt PRAKTISCH sein 😉 1:1 würd ich sagen. 😀

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  6. Fran

    Danke. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass irgendjemand aus der Linie der „Hach, diese Buch ist einfach so parisienne“ ausschert. So viel Ironie habe ich in mir auch nicht gefunden, um diese Lektüre auch noch gut zu finden. Ganz ehrlich, schade um die Bäume.
    Fran

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  7. Kristl

    Danke für diesen Artikel! Ich habe mir leider, leider dieses Buch gekauft – und bereue es zutiefst! Wirklich, ein Buch, dass zu den tausend Zwängen, Korsetts und Richtlinien für „die Frau“ noch die entspannte und ach-so-französische Attitüde diktiert, das braucht wirklich kein Mensch. Wie wär’s stattdessen mit einem Buch: „How to be yourself, wherever you are“

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  8. maja

    um esmaletwas zugespitzt zu formulieren: „Das widerstrebt ganz eindeutig dem Glanz und der Größe und dem Demokratiegedanken der Mode, die heute weniger wegen der Witterungsverhältnisse existiert, sondern vielmehr als Ausdruck der eigenen Persönlichkeit agiert. “ > indbesondere die erfolgreichen (deutschen) Bloggerinnen scheinen zum großen Teil eine sehr ähnliche Persönlichkeit zu besitzen, die dann zufällig auch noch sehr oft zu den aktuellen Kollektionen bestimmter Labels passt und jede Saison wechselt. 😉
    Da finde ich den sogenannten „Pariser-Chic“ ehrlicher und langlebiger, auch wenn uns heutzutage wirklich stilmäßig alle Türen offen stehen (insbesondere auch z.B. weil die Geschlechterollen innerhalb der Mode verschwimmen) und wir nun wirklich unsere Persönlichkeit ausdrücken können, machen dch die wenigsten Gebrauch davon. Punks, Skater, usw. sind doch mittlerweile keine Lebenseinstellung mehr, sondern dienen oftmals nurder zur Schau gestellten Selbstdarstellung. Aber eventuell sind viele durch den visuellen Dauerbeschall auf Konformität getrimmt, abweichendes Verhalten (fasche Hautfarbe, Körperform, Geschlecht oder auch einfach nur der falsche Schuh oder die falsche Tasche) wird von der Masse (zu der auch die Blog-Leser gehören) selten belohnt. Insbesondere Claire, aber auch Ari von Primer&Lacquer sind da meiner Meinung nach schon eine erfrischende Ausnahme.

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  9. Esra

    Oh Gott, Nike, als ich den ersten Satz las und das Bild vom Buchcover sah, habe ich solche Angst bekommen!!
    Wenn du auf dieses Buch stehen würdest, hätte ich wohl durch den Blog hier von dir einen ganz falschen Eindruck bekommen!
    Gott sei Dank hast du mich in den nächsten Sätzen beruhigt.
    Manchmal kann ich diese krasse Oberflächlichkeit der ganzen Mädels, die dieses Buch und auch die „Pariserin“ anhimmeln, einfach nicht mehr aushalten 🙁
    lg
    Esra

    http://nachgesternistvormorgen.de/

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  10. Nori

    Liebe Nike,

    herzlichen Dank für diesen wunderbar erfrischenden Artikel. Ich gebe zu – auch auf meine Wishlist hat sich das Buch geschlichen. Bisher ist es jedoch nicht ins Bücherregal gewandert, denn ich habe einige Kapitel im Buchladen durchgeblättert und war erschüttert. Zuvor habe ich außerdem zwei Interviews von Caroline de Maigret gelesen. Und diese waren mir zutiefst unsympathisch.

    Wir Frauen machen uns das Leben schon so schwer genug, indem wir ständig eine Vielzahl an Rollen erfüllen müssen/sollen/wollen (?). Muss ich mir jetzt wirklich noch von einer Über-Französin anhören, dass ich meine geliebte Sonntagabend-Jogginghose wegwerfen soll und mich in meinem Stilempfinden gänzlich der „Masse“ anpassen muss? Och nö. Ich denke nicht.

    Alles Liebe aus Hamburg
    Nori

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  11. Jessie

    Na na, gleich jedem, der ein Faible dafür hat, „krasse Oberflächlichkeit“ zu unterstellen finde ich aber auch ziemlich anmaßend. Ich könnte mir vorstellen, dass gerade diese angebliche Demokratisierung der Mode das Problem ist. Alles ist möglich und noch viel mehr, kein Wunder, dass Frauen da Orientierung suchen.

    Mir persönlich gefällt da das französische Prinzip (und ja, ich weiß dass nicht jede Französin so aussieht) auch sehr viel besser und er steht mir näher als der Berliner Normcore. Außerdem gebe ich Maja recht: in der inspirierenden deutschen Blogger herrscht ziemlich viel Einheitsbrei.

    Grundsätzlich irgendwelche Kleidungsstücke wie Sandalen infrage zu stellen, ist natürlich blöd, aber wer so etwas so wörtlich nimmt, dem hilft es vielleicht sogar.

    Aber nichts desto trotz, ein dämliches Buch bleibt ein dämlichiches Buch 🙂

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    1. Esra

      Ja sorry, das mit der „krassen Oberflächlichkeit“ war aus dem Affekt heraus, aber wenn man so wie ich, jeden Tag dieses Buch, wunderschön drapiert auf marmoriertem Untergrund mit einer Tasse Kaffee und sonstigen Prestige-Gegenständen auf Instagram begutachten darf (selbstverständlich jedesmal von jemand anderem), dann platzt einem irgendwann der Kragen 😀
      lg
      Esra

      http://nachgesternistvormorgen.de/

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  12. Kali P.

    Ohne all die anderen wahren Kommentare gesehen zu haben:
    Ich möchte mehr parisienne sein! Zumindest, wenn ich eine Französin sehe, die sich in einem voll besetzten Café mit ihrem höchst französisch geschminkten Gesicht absichtlich und mit enthusiastischem Schwung in ein dickes, vor Kalorien strotzendes Stück Béret Basque stürzt. Und wenn sie danach sämtliche nicht ableckbaren Reste an ihrer Couture abwischt.
    Aber das würde ich wohl auch von keiner anderen Frau je erleben.

    Liebst
    Kali von Miss Bellis Perennis

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  13. Kathi

    Ich habe mich schon immer gewundert, was da eigentlich drinnen stehen soll. Lerne französisch? Ziehe nach Paris? Backe ein Baguette? Der pariser Chick funktioniert doch gerade dadurch, dass jeder dabei sein eigenes Bild einer perfekten, adretten, hübschen und charmanten Frau im Streifenshirt hat. Wie soll man da in ein paar Tipps festhalten können, wie man zur lebendig gewordenen Fantasie anderer Leute wird?
    Bei diesem Buch habe ich von Anfang an eher Abstand genommen, aber ansonsten mag ich so ab und zu solche Ratgeber. Manchmal steht sogar etwas inspiriertes drinnen oder sie unterhalten einen zumindest gut. Warum hier aber alle so aus dem Häuschen waren und Instagram fast übergequollen ist mit diesem Buch, habe ich nicht verstanden. Glück für Autorin und Verlag würde ich sagen 😉

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  14. Freya // SOAK Magazine

    Allerbestes Ratgeberbuch auf der ganzen Welt: Die Kunst ein Kreatives Leben zu führen von Frank Berzbach

    Mittlerweile keine Neuheit mehr, aber nicht nur ein Coffeetable-Aufhübscher, sondern ein wirklich tolles Buch meiner Meinung nach! <3

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  15. Mart

    Habe nur Auszüge in einer Beilage gelesen und war schwer enttäuscht von der Oberflächlichkeit, weil das Buch ja monatelang auf allen Blogs und Instagram-Accounts gehypet wurde. So inhaltsleer! So klischeehaft!
    Mehr als ein nettes Kaffeetisch-Buch ist das ja wohl nicht, und das nur wegen des hübschen Covers.

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