Drei politische Dokus für graue Tage

26.04.2017 Film, Gesellschaft

Von eine nervösen Republik bis hin zur Geschichte Europas.

Ostern ist gerade erst vorbei, da steht am 1. Mai schon der nächste Feiertag an. Und da das Wetter in Berlin zu wünschen übrig lässt (ernsthaft, wo ist der Frühling?) ist es nicht schlecht, ein paar gemütliche Aktivitäten zu Hause zu planen. Zum Beispiel Dokus gucken, ein besonderes Hobby von mir. Hier sind drei Dokus über politische Themen, die ich in letzter Zeit geguckt und für gut befunden habe.

Ach, Europa (von Martin Carazo und Christel Fomm)

Okay, hier habe ich ein bisschen geschummelt, denn genau genommen ist Ach, Europa keine einzelne Doku, sondern eine ganze Serie. Umso besser, die gesamte Geschichte Europas in knapp 44 Minuten zu packen, stelle ich mir nämlich schwierig vor. Stattdessen nimmt sich die Serie viel Zeit, um in zehn Folgen sehr unterhaltsam von Europa zu erzählen. Dabei schafft sie es, eine Verbindung zwischen Geschichte und Gegenwart herzustellen, zum Beispiel beim Thema Flüchtlinge oder Islam (bezeichnenderweise heißt die erste Folge Europa entsteht im Orient). Zwischendurch gibt es liebevolle Animationen, nachgestellte historische Szenen und kleine Einlagen von Annette Frier und Antonia de Redinger (die beiden repräsentieren Deutschland und Frankreich – hey, das Ganze ist schließlich eine ARTE-Doku!).

Nervöse Republik – ein Jahr Deutschland (von Stephan Lamby)

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Zugegeben, das Intro ist ziemlich furchtbar (die Musik!) und lässt nicht darauf hoffen, dass danach etwas auch nur annähernd Gutes kommt. Wer aber das Intro überlebt hat wird mit einer sehr interessanten Doku über Deutschland im Jahr 2016 belohnt. In diesem Jahr ist bekanntlich viel passiert, unter anderem der Brexit, die Wahl Trumps und der Anschlag in Berlin, dazwischen AfD und Angriffe auf Politiker*innen. Stephan Lamby hat mit zahlreichen Journalist*innen und Politiker*innen gesprochen und zeichnet so das Bild einer Republik, die im Zustand der Dauererregung ist. Die Journalist*innen (u.a. von Spiegel und BILD) sprechen offen über die Herausforderungen, vor denen sie als „Lügenpresse“ stehen: Reichweite bedeutet eben nicht gleich Zustimmung und viele Menschen haben mittlerweile das Gefühl, in den sozialen Medien mehr Wahrheiten zu erfahren als in der Presse. Politiker*innen wie Sahra Wagenknecht, Katarina Barley und Thomas de Maizière geben Einblicke in den Kampf um Wähler*innenstimmen und das tägliche Politikgeschäft. Gerade die Interviews mit Frauke Petry sind dabei… erhellend. Schade an Nervöse Republik ist allein, dass Lamby das Geschehen nicht durch einen begleitenden Kommentar einordnen – die Einordnung nehmen nur die Protagonist*innen vor. An mancher Stelle aber wäre eine klärende neutrale Stimme aus dem Off gar nicht schlecht gewesen.

I Am Not Your Negro (von Raoul Peck)

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Vor einiger Zeit sah ich in einer Pressevorführung den wirklich nicht bemerkenswerten Film Der junge Karl Marx, der auf der Berlinale lief – genauso wie die beeindruckende Doku I Am Not Your Negro. Unfassbarerweise stammen beide Filme von ein- und demselben Regisseur, Raoul Peck. Den jungen Karl habe ich schon längst wieder vergessen, I Am Not Your Negro aber ist mir im Gedächtnis geblieben. In der Doku geht es um den afroamerikanischen Schriftsteller James Baldwin (1924-1987) und um sein letztes, unvollendetes Werk Remember This House. Ähnlich wie Nervöse Republik kommt auch diese Doku ohne Kommentierung aus, Peck verwendet Baldwins eigene Worte, um von der US-amerikanischen Bürger*innenrechtsbewegung zu erzählen, von ihren Protagonist*innen und Ereignissen. Baldwin war selbst in den 1960ern in der Bewegung aktiv, begleitete sie journalistisch und literarisch. In seinen Essays, Romanen und Geschichten schrieb Baldwin darüber, was es bedeutet, als Afroamerikaner in einem rassistischen System zu leben. Wütend und eindringlich schilderte er Diskriminierung und die Suche nach einer afroamerikanischen Identität. I Am Not Your Negro ist eine Mischung aus Archivbildern, Filmausschnitten und aktuellem Material, ein persönlicher Einblick in das Leben eines Aktivisten und einer ganzen Bewegung. Es ist ein wichtiger, ein notwendiger Film, gerade angesichts aktueller Ereignisse in den USA: Die wieder zunehmende Gewalt gegen Afroamerikaner*innen, die gesellschaftlichen Spannungen, die Bewegung Black Lives Matter.

Habt ihr noch ein paar Doku-Tipps? Dann her damit!

3 Kommentare

  1. Kristiane

    „Requiem for the American Dream“ mit Noam Chomsky … behandelt zwar Amerika, ist aber ohne weiteres auch auf Deutschland/Europa übertragbar. Gibt es zB via Netflix.

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