Patchwork und was die „Zeit“ daran nicht kapiert

08.08.2018 Kolumne, Leben, Gesellschaft, box3

Es gab mal eine Zeit, in der ich mir noch mächtig viel Zeit nahm, die Zeit zu lesen, wir waren quasi Freunde auf informativer Ebene. Nun kommt es aber zuweilen doch hin und wieder vor, dass sich Freundschaften irgendwann erübrigen, jedenfalls dann, wenn die Beteiligten sich voneinander weg entwickeln. Einer von beiden zappelt dann meist noch ein bisschen, hoffnungsvoll, und das bin in diesem Fall wohl ich. Weshalb ich trotz diverser Titel aus der Tonne, die Leitgeschichte von Jens Jessen war ja noch nicht einmal das Schlimmste, nicht müde wurde offen zu bleiben für positive Überraschungen. Bis zum vergangenen Donnerstag, an dem die Wochenzeitung mit dem reißerischen Titel „Die Illusion von der glücklichen Patchwork Familie“ aufwartete. Noch bevor ich überhaupt einen einzigen Satz des dazugehörigen Artikels von Katrin Hörnlein, die im Folgenden tatsächlich ihre wortgewandten Hörner auspacken sollte, las, fühlte ich mich stellvertretend für alle längst praktizierenden Patchwork Familien auf den Schlips getreten.

Zwar sind persönliche Befindlichkeiten kein guter Ausgangspunkt für konstruktive Kritik, aber ich bin mir sicher, dass die leichtsinnige oder gar fahrlässige Buchstabenwahl auch ganz objektiv betrachtet ein großes Schlamassel darstellt. Sogar für alle Familien dieser Erde, die, liebe Zeit, übrigens mehr Liebe kennt als nur jene zwischen Mann und Frau. Denn ganz abgesehen von der hier gewählten wunderbar wonnigen, aber vor allem heteronormativen Darstellung einer Vorzeigefamilie, die durch eine bemerkenswert homogene Bildauswahl unterstrichen wird, muss doch eigentlich jedem Lesenden und auch Schreibenden klar sein, dass diese angebliche „Illusion“ schon allein auf sprachlicher Ebene kaum Raum für eine optimistische Haltung gegenüber dieser zutiefst persönlichen Lebensweise zulässt. Die Glaubwürdigkeit von sowas wie Glück im Kontext dieses „neuen“ Konstrukts wird damit bereits im Keim erstickt. Als gäbe es sie nicht, die gesunde Familie aus zusammengewürfelten Menschen, die zueinander halten. Als sei die Blutsfamilie das einzig Wahre. Wer die klassische Familie lebt, bekommt beim Lesen des Artikels Mitleid. Der könnte sogar schockiert reagieren und mit allerhand Vorurteilen raus gehen aus der Nummer. Wer selbst im Patchwork-Modell lebt, schüttelt entweder mit dem Kopf oder findet sich darin wieder. Bloß bleibt der Hoffnungsfunke aus, das Mutmachende, die andere, die gute Seite der Medaille, die zwar immer irgendwie schwer wiegt, aber manchmal auch Gold wert sein kann. Und das ist schon wieder ein Problem, denn: Was will dieser Artikel eigentlich? Das bleibt offen, auch nach dem allerletzten Punkt.

Der gesamte Text liest sich wie eine Vox-Dokumentation mitten aus dem Brennpunkt. Er erzählt von Schmerz und Grausamkeiten. Nicht aber von Chancen. Er übersieht, dass es sich bei keiner Familie dieser Erde um ein Abziehbild handelt, dass es keine Stereotypen und Gebrauchsanweisungen geben kann, sofern verschiedene Persönlichkeiten aufeinander treffen. Dass es hier um echte und gefühlige und liebende und fehlbare Menschen handelt, um Individuen, von denen nunmal maßgeblich abhängt, wie eine solche Gemeinschaft sich gestalten lässt. Er tut so, als sei Patchwork nichts weiter als ein krasser Lifestyle, der leichtfüßig und naiv herbei gesehnt würde, weil so schrecklich modern – um am Ende dennoch nichts als Unheil anzurichten. Als gebe es in klassischen Familien keine Probleme. Er klammert aus, dass Patchwok kein Trend ist. Sondern ein Versuch, eine Möglichkeit, wieder auf die Beine zu kommen. Und ein potenzielles Privileg in einer Gesellschaft, die noch immer dabei ist, sich aus patriarchalen Strukturen zu befreien.

„Wenn Stars von der ganz anderen menschlichen Vielfalt, von Lässigkeit und Freiräumen, von großer Geborgenheit schwärmen, wer möchte da noch teil einer klassischen Vater-Mutter-Kind-Familie sein?“ – Fast könnte man meinen, die Autorin wünsche sich wieder mehr Werte und Traditionen, mehr Festhalten an regelkonformen Lebensweisen herbei, auf Kosten des eigenen Herzens. Denn die armen Kinder. Das haben sie doch nicht verdient. Getrennte Eltern meine ich, und neue Bonuseltern oder -Geschwister. Zusammenbleiben für die Kinder? Trotz Streit und Kampf? Es scheint, als seien unglückliche Eltern, die komme was wolle zusammen bleiben, immer doch das kleinere Übel. Und natürlich: Patchwork – das klingt so cool, das kann man einfach mal machen. Mit jeder Zeile frage ich mich ein bisschen mehr, was für Leute Katrin Hörnlein im Laufe ihres Lebens eigentlich um sich versammelt hat. Nur tragische Existenzen? Oder doch nur Vater-Mutter-Kind? Glückliche Väter, Mütter und Kinder, versteht sich. Sonst wäre Patchwork, so ganz grundsätzlich, ihr ja nicht so ein Dorn im Auge. Ihre Welt jedenfalls scheint schwarzweiß zu sein, dazwischen bleibt nicht viel Platz für Vielfalt, für Geschichten, die das wilde Leben schreibt und die natürlich grausam ausfallen können, aber eben auch heilsam und wunderschön. Stattdessen ergötzt sie sich an einem Tonus, den man für gewöhnlich nur aus Berichten über große Verbrechen kennt: „Eltern und Kinder zu finden, die ehrlich und unter dem eigenen Namen über das reden, was im großen Beziehungsgeflecht Patchwork tatsächlich passiert, ist fast so kompliziert wie der Alltag der Familien selbst.“

Hätte sie mich mal besser gefragt. Ich kenne sie nämlich, die, die einen wirklich denken lassen: Klingt ziemlich großartig. Ich behaupte, selbst aus einer Patchwork Familie stammend, ja gar nicht, dass es einfach ist und ich möchte auch all die Herausforderungen nicht leugnen, die sich einem vor die Füße werfen, wenn viele neue Menschen unter einem Dach leben und zur Familie werden wollen. Aber ich möchte nicht, dass uns der Mut verlässt. Dass sich irgendjemand für diesen Versuch schämen oder sich gar Vorwürfe machen muss, nur wegen eines unerschütterlichen Glaubens an die Liebe und der Hoffnung darauf, dass irgendwann alles gut werden kann. Das kann es nämlich. Schief gehen aber auch. Wie eben alles, was sich „Beziehung“ nennt.

31 Kommentare

  1. Alexandra Koch

    Danke Nike!!! Der Artikel hat mich richtig traurig gemacht. Mein Freund hat ein Kind, wir leben jede 2. Woche das Patchworkfamiliendasein und wünschen uns selbst Kinder. Familie ist für mich nämlich nicht nur Oma, Opa, Mama, Papa und Brudi – sondern auch alles, was sich so anfühlt. Leicht ist es nie – aber immer schön. Das fand ich bereits als Kind, selbst nicht aus einer Patchworkfamilie stammend. Denn so ist das manchmal, wenn man sich lieb hat; kompliziert. <3

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  2. Jen

    Ich kann auch nicht glauben, wie reaktionär die ZEIT geworden ist. Aber gut, scheinbar laufen solche Reizthemen am Kiosk noch.

    Bei diesem Thema stehen für mich mehrere Fragen im Raum, die man immer nur von Fall zu Fall oder gar nicht beantworten kann:
    Sind Kinder von Eltern, die sich getrennt haben, weil sie unglücklich waren, unstabiler als solche, die in einer klassischen Familie groß werden, die Eltern aber nicht mehr gern zusammenleben?
    Welche Verantwortung hat man als Eltern? Geht sie so weit, dass man zusammenbleiben sollte „wegen der Kinder“? Ist es für Kinder nicht eher förderlich, wenn sie früh erfahren, dass jeder am eigenen Lebensglück arbeiten kann, gemeinsam – aber eben auch getrennt?

    Ich glaube, niemand, der Kinder hat, trennt sich leichtfertig. Das macht keiner und ist schon eine irre Unterstellung (von wegen „Trend“). Solange Respekt und Achtsamkeit im Spiel bleibt, und man sich regelmäßig hinterfragt, verzichtet, Kompromisse macht – alles Dinge, die Patchwork-Familien viel machen müssen – ist doch viel gewonnen.

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    1. Jeane

      Ich komme tatsächlich aus so einer Familie in denen sich die Eltern lieber hätten trennen sollen. In dieser Generation war Scheidung noch verpönt und Tabu, vor allem bei Migranten. Kinder kriegen leider einfach alles mit und ich persönlich habe darunter gelitten weil mir sogar die Rolle der „kittenden und schlichtenden“ übertragen wurde. Klar hat man dann als Erwachsene einen Knacks weg, wenn man bei allen Beziehungen zu sehr um Harmonie kämpft und nicht kritikfähig ist. Der Artikel hat mich sehr traurig gemacht… Danke liebe Nike für diese starken Gegenpole.

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  3. Berenike

    Danke für diesen Artikel! Ich finde es immer wieder erstaunlich, dass Menschen meinen, die sogenannte „Patchwork-Familie“ sei eine „Erfindung“ der Gegenwart. Wenn man in den eigenen Familiengeschichten kramt, dann wird man feststellen, dass so ziemlich jede Familie ein ganz bunter und wunderbar zusammengestückelter Teppich feinster Menschen und Muster ist. Gerade in Zeiten der zwei Weltkriege gab es so unendlich viele Formen des familiären Zusammenlebens – das war vermutlich in den meisten Fällen auch sehr heilsam, neue Liebes- und Lebensgemeinschaften zu bilden. Sowohl in meiner Großeltern- als auch der Elterngeneration wurde da viel gemixt und gematched! Ich würde z.B. meine liebste Schwieger-Großtante, mit der genau genommen nicht mal mein Mann blutsverwandt ist, jedenfalls nur ungern missen! Familie ist, was man draus macht! 🙂

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    1. riotsnotdiets

      Tolle Worte, Nike.

      Als ich 6 Jahre alt war, habe ich zu meiner Mutter gesagt: „Wenn ihr euch nicht scheiden lasst, laufen mein Bruder und ich weg.“ Weggelaufen bin ich erst viel später und 18 Jahre später sind meine Eltern (leider) immer noch verheiratet. Ich kenne so viele, die traumatisches erleben mussten, weil manche(/viele?) Eltern ihren Frust irgendwann an den Kindern rauslassen.

      Dieses Anbiedern an das Konservative missfällt mir auch sehr.

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  4. Kitty

    Liebe Nike,
    auch wenn ich deiner Meinung in diesem Fall – und eigentlich so gut wie immer – im Prinzip gut zustimmen kann, stößt mir eine Sache leicht auf: „Wer die klassische Familie lebt, bekommt beim Lesen des Artikels Mitleid. Der könnte sogar schockiert reagieren und mit allerhand Vorurteilen raus gehen aus der Nummer.“ Ist eventuell gar nicht so gemeint, aber es schwingt doch der Tenor mit, dass eine klassische Familie automatisch kleingeistige, intolerante und arg konservative Menschen beinhaltet. Das kann bestimmt auch so sein, ist es aber sicherlich nicht immer. Man ahnt es vielleicht: ich bewohne auf dem Papier nämlich auch eine super klassische Familie, erst haben wird geheiratet, jetzt haben wir einen Sohnemann, aber spießig sind wird dennoch nicht.
    Da gab’s schon einmal einen Artikel über Helikopter-Mamis, die ihre Kinder mit Apfelstückchen auf dem Spielplatz verfolgen, da hatte ich ein ähnliches Gefühl. Die sind nämlich auch nicht alle doof, wenn auch vielleicht augenscheinlich (!) überkorrekt und ja, spießig. (Man ahnt es vielleicht: ich bin so eine!)
    Was ich sagen möchte ist: wenn man nicht möchte, dass dem eher alternativen Lebensstil mit Intoleranz begegnet wird, sollte man dem vermeintlich klassischen Lebensstil a) ebenfalls nicht mit Intoleranz begegnen und b) nicht unterstellen, dass Menschen, die diesen leben, per se intolerant gegenüber der Alternative sind. Im Grunde machst da das ja auch gar nicht, aber es schwingt meinem Gefühl nach eben manchmal so mit…

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    1. Julia

      Ich muss mal zur Verteidigung sagen – den Tenor, den du hier herausgelesen hast, hab ich im Gegenzug überhaupt nicht mitschwingen hören. Wirklich null. Ich bin selber aus einer sehr glücklichen Nicht-Patchwork Familie und hab mich in keinster Weise angegriffen gefühlt.

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      1. Kitty

        Ich habe mir schon gedacht, dass man das auch ganz anders lesen kann, deshalb gut, dass du das bestätigst.
        Deshalb hab ich auch versucht, ganz bei mir und meinem Gefühl zu bleiben. Vielleicht als frisch gebackene Jungmutti einfach ein Thema, das mich gerade triggert…

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    2. Nike Jane Artikelautorin

      Liebe Kitty, ich wollte auf keinen Fall, dass man es so lesen kann, um Gottes Willen! Alle meine Freunde und Freundinnen, die Kinder haben, leben exakt dieses klassische Modell, das ich ganz bewundernswert und wunderbar finde. Siehst du mal, wie persönliche Erfahrungen uns beeinflussen, mir wäre deine Auslegung nämlich tatsächlich gar nicht in den Sinn gekommen, deshalb gut, dass du diese andere Sichtweise auf meinen Text ansprichst. Ich meine „Wer die klassische Familie lebt, bekommt beim Lesen des Artikels Mitleid. Der könnte sogar schockiert reagieren und mit allerhand Vorurteilen raus gehen aus der Nummer“ wirklich wortwörtlich, ohne fiesen Unterton. Ich lebe ja selbst (noch) kein Patchwork, deshalb sehe ich mich lustiger Weise bisweilen eher auf der „klassischen Seite“ und da ist mir aufgefallen, dass jede*r, der das Konstrukt Patchwork selbst vielleicht nicht als Positiv-Beispiel aus der eigenen Kindheit kennt, doch nach dem Lesen des ZEIT-Artikels denken muss: Die armen Schweine. So war’s gemeint, nicht anders. Alle Familien dieser Welt können schön, anstrengend, richtig scheiße oder wunderbar sein, da gibt es ja ohnehin keine Regel.

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  5. Valerie

    Liebe Nike, ich habe mich sehr auf diesen Kommentar von Dir gefreut. Super stark! Aber bei all der gelungenen Kritik, fehlt mir dennoch ein wichtiger Teil der Reflexion. Die Frags: Wer entscheidet über die neuen und abgebrochen Strukturen? Wer will durch diese in erster Linie „glücklicher“ oder was auch immer mehr sein? Sicher kann „Patchwork“ (ein Unwort an sich) ein „Versuch sein wieder auf die Beine zu kommen“. Nur eben in erster Linie für die Eltern, die (Zeit)-lesenden, die bestimmenden Akteure. Und der Schluss dass glückliche Eltern automatisch gleichbedeutend mit glücklichen Kindern sind, ist einfach zu kurz gefasst.
    Selbst bin ich Teil eines Patchwork-Geflechts, als ein „nicht-Bestimmer“, als Kind. Diverse Beziehungen meiner Eltern, eine Heirat und zwei Stiefgeschwister später kann ich nur sagen: what a mess! Denn Partner*Innen kommen und gehen vor allem nicht nur aus dem Leben der Eltern, sondern auch aus dem der Kinder.
    Versteh mich nicht falsch, das soll kein Plädoyer gegen „Trennungen und Neuanfänge“ sein.
    Auf keinen Fall. Wenn Eltern – welchen Konzepts von Familie auch immer – nicht mehr mit einander sein wollen, dann soll das so sein.
    Jedoch kann man die Verantwortung den Kindern gegenüber auch nicht einfach abstreifen. Die stecken mit drin in jedem Neuanfang und jedem Abbruch und können sich das eben nicht aussuchen. Und das ist nicht besonders lässig oder fortschrittlich und fokussiert häufig eben vor allem auf die Bedürfnisse der Eltern.

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    1. Julia

      Aber meinst du nicht, dass es eben gerade WEGEN der Verantwortung, die man den eigenen Kindern gegenüber hat, oftmals einfach die bessere Lösung – langfristig gesehen! – ist, wenn Mama und Papa anstatt als ewig Streitende zuhause die Kinder unglücklich machen, lieber getrennte Wege gehen, jedes Elternteil für sich wieder zu sich findet (und vielleicht auch zu einem neuen Partner, der ihn/sie glücklicher macht)? Ich glaube auf längere Sicht betrachtet ist das schon die bessere Lösung, weil, auch wenn noch so viele Stiefmamas oder -papas danach in’s Haus kommen, die werden sowieso nie die „echte“ Mama und den „echten“ Papa gefühlsmäßig ersetzen – Gott sei Dank. Mama bleibt eben Mama, und Papa bleibt Papa. Und das wird sich auch nie ändern.

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      1. Valerie

        Julia, absolut! Dennoch habe ich den einzig annehmbaren Teil des Zeit-Artikels in der Kritik der Patchwork-Lobes-Hymnen in Bezug auf die Auswirkungen der neuen Beziehungen der Eltern (wenn man mal beim „patchen“bleibt: das neu Zusammenstellen von Bezugspersonen und Famileinkonstrukten durch die Eltern, als Prozess von Addition sowie Subtraktion), auf die Kinder gesehen. Die können positiv sein, keine Frage: one big and happy family! Aber eben auch negativ. So oder so sind sie von den Kindern nicht frei gewählt und trotzdem müssen sie immer mit im Boot sitzen. Immer wieder.Wenn Nike das Patchwork Konzept dann als „Befreiung von patriarchalen Strukturen“ betitelt und den Egoismus und vor allem die Macht der Eltern über das Kind oder die Kinder darin ignoriert, empfinde ich das als zu kurz gedacht.

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  6. Anna

    Manche Kommentare hier machen mich sehr stutzig. Erst mal Danke, Nike, für Deine Kritik, die mir aus dem Herzen spricht – über den zunehmend krass rückständigen Ton der ZEIT kann man nur noch staunen. Und in Richtung der „unglücklücklichen Kinder“ von Patchwork-Eltern: es macht mich sehr traurig, immer wieder zu beobachten, wie Menschen, und das ist jetzt mein voller Ernst, mit so einem Kram in erster Linie höchstselbst die Unbeschwertheit des eigenen Lebens vermasseln. Leute, hört auf ständig die Schuld für irgendwas bei euren Eltern, in eurer Kindheit und überhaupt immer bei den anderen zu suchen! Oh ihr seid ein Scheidungskind? Und?!! Im Ernst – und wenn eure Geschichte euch noch so verkorkst erscheint und ihr euch als Opfer der unglücklichen Familiengeschte seht, da draussen gibt es Tausende von Menschen, deren Geschichte NOCH verkorkster und NOCH krasser ist und die – oh Wunder- trotzdem wunderbar normale glückliche Menschen sind. Also warum nicht auch ihr?!! Focus on your own shit. Seid mal bitte nicht so streng mit euren Eltern und überhaupt allen Mitmenschen. Hört auf mit dieser ewigen Anspruchshaltung. Noone owes you shit. Blame it on yourself. Keine Opferhaltung. Ihr allein habt die Kontrolle über euer Leben. Und wenn ein Elternteil jung stibt oder einfach nur weggeht und sich der andere neu verliebt – ja, und?! Ihr könnt dafür niemanden haftbar machen. Als Ursache für euer ‚stabiles‘ Gedeihen oder ‚verkorkstes’ Erwachsenwerden kann das nicht herhalten. Rückt bitte eure Perspektive zurecht: ihr SEID am Leben, ihr habt das große Los gezogen, fangt was damit an und macht was aus eurem Leben. Hört auf in der Vergangenheit zu wühlen und anderen Leuten die Schuld zu geben. Sorry für die Emotionen, aber macht mich einfach traurig so eine Haltung.

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    1. Nina

      Naja du stellst es eben aber auch sehr einfach da. Schön, wenn du alles easy und gut abstreifen und sortieren kannst. Das kann aber eben nicht jeder Mensch von Haus aus. Und dass die Eltern, deren Verhalten und Gefühle (bewusst oder unbewusst, egal ob sie alles gegeben oder sich einfach bei irgendwelchen Dingen nichts gedacht haben) Kinder sehr beeinflussen, ist nun mal nicht von der Hand zu weisen.
      Ich gebe dir allerdings Recht, dass jeder sein eigenes selbst in der Hand hat und nicht sagen kann, meine Eltern sind Schuld, deswegen bin ich eben so. Jeder ist für sich selbst verantwortlich und kann Prägungen etc umkehren und glücklich werden.
      Allerdings ist es -für eben diese Einsicht- unabdingbar sich damit auseinander zu setzen, woher die Prägungen kommen (Stichwort Bindungsängste/Verlustängste etc). Nur so, kann man sie lösen und sich wirklich um sein eigenes Leben kümmern. Und wie gesagt, das fällt einigen Menschen von Natur aus leichter, manche brauchen dafür Jahre, manche schaffen es nie…

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      1. Julia

        Danke! Du sprichst mir Seele…so einfach ist es nämlich dann leider wirklich nicht auch wenn es nichts daran ändert, dass wir als erwachsende Menschen selbst für unser Leben verantwortlich sind – unabhängig davon, was wir erlebt haben. Aber der Kommentar von Anna ignoriert die Tatsache, dass Menschen unterschiedliche Fähigkeiten und Kapazitäten mit schwerwiegenden Erlebnissen umzugehen. Und Menschen, die in Ihrer Kindheit ernsthafte Vernachlässigung, sexuelle Gewalt, anderweitige körperliche oder psychische Gewalt erlebt haben vorzuwerfen, man solle nicht so streng mit den Eltern sein, klingt dann eher zynisch. U Nicht immer hat man die volle Kontrolle über sein Leben – das ist schlichtweg Unsinn. Man sich nur immer bemühen, die Kontrolle wieder zugewinnen und hierfür ist unter Umständen eine tiefere Auseinandersetzung mit Vergangenem unabdingbar.

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  7. Mel

    Danke!!!
    Genau so erging es mir auch Sonntag- als ich die ZEIT las… und ich eine Woche schönes Patchwork Familien Getümmel hinter mir hatte.
    Jetzt bin ich gerade mal allein- was selten vor kommt und finde deinen Artikel! Großartig

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  8. Katja

    Ich kenne den Zeitartikel nicht, aber dafür so einige Patchworkfamilien, in denen es tatsächlich nur Stress und Streit gibt, insbesondere Urlaube und Feiertage bieten erhebliches Konfliktpotential. Schön, wenn es harmonische Patchworkfamilien gibt, es gibt aber leider auch eine ganze Menge von den anderen Familien. Also ganz so aus der Luft gegriffen ist die Problematik, die die Zeit offenbar anspricht, nicht. Insbesondere wenn die Kinder bei der Trennung älter als 12 sind, wird es dann doch schwieriger…

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  9. Kirsten

    Danke, das ist ein schönes, erleichterndes Gefühl, deinen Artikel zu lesen und zu sehen: Der ging’s bei der Lektüre so wie mir. Ich hab die ZEIT lange nicht gelesen – früher regelmäßig, irgendwann nach einem Artikel zuviel, der sich irgendwie schwer tat mit nicht heterosexuellen Familienkonstellationen, hab ich dann die Pausetaste gedrückt. Jetzt brachte der Mitbewohner die aktuelle Ausgabe mit. Und der Patchworkfamilienartikel hat mich gleich wieder reinkatapultiert in Enttäuschung. Und leise Wut. Dass dieser Artikel so tut, als ob es in klassischen Familien keine Probleme, Traumata, Schmerz geben kann und dies allein Patchworkkonstellationen vorbehalten sei, finde ich unglaublich arrogant und anmaßend. Bin sehr froh, dass nicht allein scheiße zu finden. Tschüss, ZEIT, das war’s dann endgültig für mich.

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  10. Carolin

    Toller und wichtiger Artikel! Ich habe die Zeit seit mehreren Jahren abonniert und ertappe mich in den letzten Wochen immer wieder bei dem Gedanken, ob das noch „meine“ Zeitung ist oder ob ich mir eine neue suchen sollte.
    Meine Eltern haben sich getrennt als ich 8 war und ich soll damals gesagt haben, dass das das schönste Weihnachts-, Geburtstags- und Ostergeschenk ist, das man mir machen kann. Es kann also durchaus besser für die Kinder sein, sich zu trennen, als auf Teufel komm raus ein Paar zu bleiben und die Kinder einer unerträglichen Atmosphäre zuhause auszusetzen. Heute (21 Jahre später) sind meine Eltern beste Freunde, die sich schätzen und respektieren und mit den neuen Partnern meiner Eltern kommen mein Bruder und ich bestens klar.

    Liebe Grüße

    Liebe Grüße

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  11. Stephanie

    Leider ist der Artikel online nur als Plus-Artikel verfügbar, daher konnte ich ihn leider nicht lesen. Aber die Überschrift hat mich sofort angesprochen, da wir in einer Patchworksituation leben und ich die glückliche Patchworkfamilie aus meiner eigenen Situation heraus als Illusion sehe. Ich habe vor ein paar Jahren auf einer Internetseite über Stiefmütter,-väter und -familien gelesen, wie viele Frauen sagten, im Rückblick würden sie nie wieder einen Mann mit Kind nehmen – und nach nun fast 6 Jahren mit „Bonussohn“ kann ich sagen, ich kann es verstehen und würde auch einer Freundin raten, dass sie den Mann schon sehr lieben muss. Mir ist klar, dass es auch anders gehen kann, aber es spielen eben in diesen Konstellationen verdammt viele Gefühle mit, das ist meiner Meinung nach das Hauptproblem. Da muss es nur eine kleine Meinungsverschiedenheit geben und das ganze Konstrukt fällt in sich zusammen. Außerdem gibt es bei uns sehr unterschiedliche Ansichten, was den Umgang miteinander und damit auch die Erziehung angeht, was ich solange ich selbst kein Kind hatte, vielleicht noch in einem gewissen Maß ignorieren oder ertragen konnte. Da ich nun aber eben einem kleinen Menschen gewisse Werte vermitteln will, muss ich da eben auch konsequent sein und so rappelt es eben öfters mal.

    Was für mich persönlich die größte Schwierigkeit darstellt, ist der Einfluss, den ein anderer Mensch nehmen kann, in dem ständig Pläne geändert werden und man sich mit seinem eingespielten Familienleben darauf einstellen muss.

    Ich bewundere jede Patchworkfamilie, in der alles (oder jedenfalls vieles) wunderbar läuft – und würde mir eine einfache, spießige Kleinfamilie wünschen.

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    1. Anna

      Danke für die Anmerkung, Stephanie! Ich erlebe es genauso: So lange es kein gemeinsames Kind gab, konnte ich ganz ok damit leben, dass wir im Wechsel eine Woche Paarzeit und eine Woche Patchwork (mit dem Kind meines Lebensgefährten) hatten – und das in letzterer eben nicht alles so lief, wie ich mir das für meine Familie gewünscht hätte. Wenn dann aber ein gemeinsames Kind dazukommt, das fest im Haushalt lebt, wird es schwierig: Mich strengt dieser ständig Wechsel zwischen zu-dritt/zu-viert an – wie soll man ein Gefühl für Familie bekommen, wenn sich deren Zusammensetzung andauernd ändert? Wie soll man sich wohl fühlen, wenn man die Spielregeln nur teilweise mitbestimmt? Wenn Terminplanung anderer Menschen (andere Mutter) plötzlich über dem eigenen Wochenverlauf entscheiden? Und nicht zuletzt: Was macht es mit dem gemeinsamen Kind, dass das Geschwisterkind mal da und mal weg ist und dass es, wenn es da ist, ständig im Mittelpunkt steht, weil es eben eine Ausnahme trotz aller Regelmäßigkeit ist? Ich denke, dass Patchwork funktionieren kann, aber eher in Ausnahmen – prozentual eben noch deutlich weniger als klassische Kleinfamilien. Und es ist eben auch eine Frage de Perspektive, denn es wird oft in ungleichen Teilen zurückgesteckt…

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      1. Sina

        „Und es ist eben auch eine Frage de Perspektive, denn es wird oft in ungleichen Teilen zurückgesteckt“ … diesen Satz finde ich sehr klug und treffend.

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      2. Mila

        Supergut dargelegt. Und unter Umständen wird’s sogar noch komplizierter: Meine Schwester lebt mit Mann und Kind zusammen. Dieser Mann hat eine Ex mit zwei Kindern, die natürlich auch (Teilzeit)-Teil ihrer Familie sind. Der neue Mann der Ex hat aber auch noch einen Sohn aus einer anderen Beziehung … Die Planungen von Wochenenden und Ferien füllen da – bildlich gesprochen – ganze Whiteboards, Spontanänderungen führen zu Konflikten und Groll. Und die Kinder kommen untereinander leider auch nicht so gut miteinander klar, was die Sache halt noch mal verschärft. Das ist megaanstrengend, allein schon vom Zuhören. Und natürlich ist es so, wie es ist, und alle wollen ja auch, dass es gelingt. Dennoch ist es oft ein echter Kraftakt, bei dem dann die Leichtigkeit und der Goodwill leider auch schnell mal auf der Strecke bleibt.
        Alles Gute für euch!

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        1. Suzie

          Sehe ich auch so – und kenne ich auch so. Patchwork entsteht, weil Partner sich getrennt haben. Die Trennung ist nicht immer gemeinsame Entscheidung, sondern wird vielleicht nur von einem Teil gewollt. Der andere grollt, legt Steine in den Weg… Und das Kind erlebt die Streitereien weiterhin. Eventuell nicht mehr so öffentlich ausgetragen, aber schwelend vorhanden.
          Dazu dann Schuldgefühle seitens des Kindes, ob es nicht selber irgendwie daran Schuld hat, weil es zu laut war, nicht sein Zimmer aufgeräumt hat oder was auch immer. Und selbst wenn man als Eltern versucht zu erklären, dass das Kind keine Schuld trifft – Zweifel können bleiben.

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  12. Sabrina

    Nike, Nike, Nike – ich stimme bei allem nickend zu und bin froh, dass du so treffend in Worte fassen kannst, was ich mir schon seit einer ganzen Weile zu diversen ZEIT-Artikel denke.

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  13. Hirndiva

    Als mich meine Mutter mit 16 Jahren, 1962 auf die Welt brachte,mein Vater war 20…wurde der Spruch geboren : “ nicht geplant aber gewünscht „.
    Als ich nach einer gescheiterten Ehe,mit einer Tochter,geplant und gewünscht, einen Witwer mit zwei kleinen Söhnen, 2 und 5, geheiratet habe, deren Mutter mit 27 an einem Aneurysma im Gehirn verstarb, ihr jüngstes Kind war 3 Monate alt, verzeiht den Sarkasmus, nicht geplant und gewünscht, hatten wir eine ungeheurerliche Anstregung und Liebe und Stärke nötig, um ein individuelles Model für uns zu realisieren. Heiraten noch ohne zusammen zu wohnen, daß Bekenntnis war wichtig, der passende Wohnraum noch nicht gefunden. Alle 3 Kinder haben auf dem Standesamt mit unterschrieben, der kleinste hat eine Sonne ins große Buch gemalt…
    Auch diese Ehe hielt wunderbare, anstrengende und widersprüchliche 17 Jahre, mit und trotz Plan und Wunsch.
    Jetzt mit 56 stehe ich staunend und glücklich vor meinem Hochzeitsdatum im Dezember…und Blicke vor und zurück auf ein Mosaik was sich Leben nennt…und bin unendlich dankbar für das was ich geben und annehmen konnte und durfte.
    Punkt

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  14. Peter Frahm

    Tja, da kann ich ihnen nur einen Sohn wie den meiner Mutter wünschen.
    Ich hoffe wir kriegen euch alle!

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