Editor’s Letter // Krumme Bananen wachsen auch der Sonne entgegen

Liebe LeserInnen, 

vielleicht kennt ihr das ja, dieses vollgestopft sein mit Gefühlen und zwar bis oben hin; man wartet quasi nur darauf, dass sie einem zu den Ohren heraus kommen, die eine Hälfte aus dem linken, alle anderen aus dem rechten Ohr, wie kleine Geister, die dich mit ihren kurzen Armen abwechselnd kuscheln und würgen wollen, weil ja alles dabei ist, Gutes und Schlechtes, Euphorie, aber auch ein bisschen Panik. So in etwa lässt sich mein derzeitiger Gemütszustand wohl am besten beschreiben. Ich wache auf und bin wütend, auf Nazis und die Welt, dann trinke ich einen Kaffee und bin glücklich, wegen der Schönheit des Planeten und des Seins, dann bekomme ich Angst, wegen der Liebe, und dann lache ich mir fast wieder ein bisschen Pipi in die Hose über genau diese Liebesangst, weil der Mensch, der da noch mit dran hängt, eine Knalltüte und gar kein Kacka ist. Oder während der Arbeit, da frage ich mich derzeit häufig, warum die Menschen überhaupt arbeiten müssen. Weil gerade wirklich alles sehr sauviel ist: Telefonklingeln hier, Termine da, aber viel zu wenig Texte, New York, neue Projekte und null Stillstand. Was zum Gegenteil führen kann: Bewegungslos wie ein Seestern hänge ich dieser Tage nicht selten am Schreibtisch rum und starre einfach nur, lange. Hilft das alles nicht, setze ich mich vielleicht auf die Bank vor dem Büro, vielleicht auch einfach auf den Boden, wegen der fehlenden Kraft, und dann vermisse ich sie auch schon wieder, nach etwa zehn Minuten, die Tatstatur meine ich, weil das Arbeiten vor allem so sauviel Freude bringt. Es ist, ihr seht, ein Hin und Her, ein Drahtseilakt und Spagat, den ich noch immer nicht beherrsche. Zwischen diesen ganzen Nuancen des Frauseins auch, gepflastert mit komischen Begriffen, die da etwa lauten: Working Mum und Single Mum – ich bin beides, hurra! Aber man will ja gern noch so viel mehr sein. Freundin, Tochter, Patentante, Partnerin, eine Tausendsassarin, lustig, politisch, nicht allzu kompliziert, raketenstark und klug. Am Ende ist man jedoch oft nur: Banane. Aber eine, die im Turnbeutel verloren gegangen ist, ihr versteht. 

Gestern zum Beispiel, da habe ich mich morgens neben meinen Sohn vor das Tipi im Wohnzimmer gesetzt, nach einer wahrhaft atemlosen Woche, zum Lego bauen, irgendwann habe ich mich dann lang gemacht und im Liegen versucht, ein paar Reifen zu montieren. Hat wieder nicht geklappt und zwar, so war das wirklich, weil ich dabei wohl sekundenkurz eingenickt bin, während Hildegard Knef im Hintergrund von Sommersprossen sang. Das Kind hat meine Augen dann schnell wieder aufgeklappt und aufgehalten mit Fingern wie vier Streichhölzer. Besser raus an die frische Luft, habe ich dann gesagt. Später, im Technikmuseum, ist mir der kleine Spielzeugzug von ganz oben, ich glaube, das sind fünf hochhaushohe Etagen, nach ganz unten gefallen und in dreiundsiebzig Teile zersprungen, aber ohne jemanden zu erschlagen, zum Glück. Ich hatte noch eine Notfall-Polizeikelle in der Jackentasche – Laune gerettet. Bis sie in den Kanal fiel, lautlos, beim Enten beobachten, und für immer versank. Da halfen nur noch Kaiserschmarrn mit Puderzucker und viele Dino-Aufkleber im Gesicht. Heute ist wirklich ein Verlier-Tag, hat Lio da gesagt. Aber kein Verlierer-Tag! Stimmte beides. Abends haben wir es nämlich tatsächlich noch geschafft, die Thermik zu bezwingen, weil wir wie der Teufel in die Fahrrad-Pedale getreten und es deshalb geschafft haben, einen Drachen drei volle Runden um das Tempelhofer Feld fliegen zu lassen, ganz ohne Wind und entgegen aller Zweifel und komischer Blicke. 

So ist das ja eigentlich immer. Dass man unbeeindruckt von dem, was die anderen Leute denken könnten, stets versuchen sollte, einfach zu machen und weiter zu träumen und zu scheitern und zu glauben, an sich selbst zum Beispiel, und immer wieder aufzustehen. Nur allzu streng mit sich selbst sollte man dabei nicht sein. Perfekt ist doch panne. Wenn man nämlich vieles mag und vieles will und noch mehr muss, passieren Fehler, dann geht auch mal was schief. Das ist aber nicht schlimm, das ist vor allem besser als öde – denn, da kann man sich sicher sein, auch die krummste Banane wächst  immerzu der Sonne entgegen. 

Auf wunderbare Bananentage, ihr besten LeserInnen der Welt.

 

14 Kommentare

  1. Esra

    Respekt Respekt Respekt!!! Echt beeindruckend wie du das schaffst – und der tolle Text liest sich in einem Atemzug. Ganz viel Liebe
    Lg
    Esra

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  2. Carolin

    Genau das, was ich heute gebraucht habe. Dankeschön! Und die Idee mit dem Drachen und dem Fahrrad finde ich ganz wunderbar.

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  3. Lisa

    Ganz genau das, was ich gerade unbedingt gebraucht habe. Tausend dank liebe Nike, und so schön geschrieben!

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  4. Pingu

    Ich muss ehrlich sagen, die Mode auf der Seite ist mir in meinem Menocore-Dasein mittlerweile schnurzpiepe aber für Bücher, Politisches und Nikes Herzesangelegengeiten komme ich immer wieder ❤️ Danke dafür!

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  5. Romy

    Nach morgendlichem Grauschleier, schwankt nach dem Lesen des Textes ins leuchtende Bananengelb – Merci!

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  6. Nele

    Deine Zeilen lassen mich tief durchatmen und daran glauben, dass die kleinen feinen Dinge des Lebens jeden noch so großen Schmerz lindern können. Danke Nike!

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  7. Hanna

    Danke auch für diese worte. Du hast genau ausgedrückt wie ich mich seid ein paar Wochen fühle. Und das es in Ordnung ist so. Auch wenn es verdammt verdammt anstrengend ist.
    Die Umstände sind andere aber die situation ist gleich. Bleib stark und machs gut.

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