Kolumne // Mein Leben – eine Pirouette, Ende September

25.09.2018 Leben, Kolumne

Ich würde mich derzeit nur um mich selbst drehen, merkte neulich eine Zuhörerin unseres Podcasts an und das stimmt womöglich, mir ist nämlich schon ganz schwindelig von all dem Leben, das da momentan noch an mir dran hängt. Mal ist mir deshalb ganz übel, mal kribbelt es im Bauch, erst das eine, dann das andere und schließlich alles kreuz und quer. Wenn man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist, kann man sich immerhin sicher sein, dass man noch nicht ersoffen ist und das ist besser als am Ende. Das bin ich nämlich nicht. Nur körperlich vielleicht, weil ich mich ja nicht nur permanent um mich allein drehen muss, sondern außerdem um meinen Sohn, vorgestern zum Beispiel, auf seinem Geburtstag, mindestens vierundfünfzig Mal. Da habe ich außerdem die gefräßige Tiefseetaucherin inklusive wasserdichter Brille gemimt, was mich zu der Erkenntnis brachte, dass mein „Forever Young“ Tattoo nicht mehr als ein schlechter Scherz ist. Fast umgekommen wäre ich, nachdem ich sieben volle Runden durch die Wohnung gejagt war um Kinder zu fangen. Weshalb das Saftglas, das mir schließlich hinunter gereicht wurde, mit einem dumpfen Dong gegen die in Plastik gehüllte Nase und dann auf den Boden knallte. Erst dreißig Minuten später hatte sich meine Gesichtshaut außerdem von den Druckstellen erholt und entknittert, ich meine sogar, die Stirnfalte blieb noch bis zum Abendbrot. Das ich übrigens bis heute noch nicht vom Boden weg gesaugt habe. Die weiße Jeans, die ich gerade trage, ist also nur ein weiteres Anzeichen dafür, dass ich dazu neige, die Dinge zu verharmlosen. Überarbeitung zum Beispiel. So ein Spagat mit vier Beinen, die man eigentlich ja gar nicht hat, zwischen Freizeit, Freund, Familie und kaum eintretenden Feierabenden, ist nämlich machbar, aber scheiße kräftezehrend. Wo wir wieder bei der zu Beginn erwähnten Pirouette angelangt wären. 

 

In der spitzfindigen Dokumentation „She’s beautiful when she’s angry“ zitiert jemand den einen wichtigen Satz, der mich vor langer Zeit zum Schreiben von Kolumnen und ebenjenen textlichen Pirouetten gebracht hat: „Das Private ist politisch.“ Das Persönliche auch. Und genau deshalb erzähle ich voller Wonne und immer wieder von meinen eigenen Männersalaten, von Patchworkgurken und auch von Abtreibungstraumata. Von meinem Leben, von Gefühlen und Erfahrungen, fast ungefiltert, aber stets wohl durchdacht. Weil ich kapiert habe, dass wir nie alleine sind mit unseren Gedanken. Und dass es zusammen viel besser geht. Erfunden habe ich diese Politik der ersten Person aber keineswegs. Zu verdanken haben wir diese Phänomen, das sich heute etwa in Form von aufgeschriebenen Worten mit Identifikationspotenzial zeigt, einzig und allein der zweiten Welle der Frauenbewegung, die um die 70er Jahre herum aufkeimte, oder eher: Seit Ende der 60er.

 

 
 
 
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Ein von @nayyirah.waheed geteilter Beitrag am

[typedjs]"Gemeinsam wachsen. Sich aufbäumen. Etwas verändern."[/typedjs]

Da trafen sich plötzlich ganze consciousness-raising Gruppen von Frauen, um in geschützten Räumen über ihre Leben zu reden. Es gab nämlich kein Internet, das ist klar, und deshalb glich die Erkenntnis, dass andere ähnlich fühlten, einer Mondlandung. Man konnte plötzlich Sorgen und Ängste teilen, aber auch Mut machen. Über Sexualität, Erziehung, die Ehe und Gewalt sprechen. Über das Patriarchat und Chancen. Gemeinsam wachsen. Sich aufbäumen. Etwas verändern.

Nun bin ich zwar meistens eine Banane, aber nicht blöd. Mir ist durchaus bewusst, dass das mühsam erkämpfte Wahlrecht von damals tonnenweise mehr Gewicht hat als all meine gescheiterten Beziehungen und Wehwehchen zusammen. Die Hoffnung, nicht gegen Wände anzuschreiben bleibt aber trotzdem bestehen. Denn wenn ich über eine Bratpfanne auf dem Kopf wegen all der Kindererziehung schreibe, dann meine ich nicht: Habt Mitleid. Sondern: Lasst uns alle viel ehrlicher sein, damit Eltern nicht ständig das Gefühl haben müssen, Raben zu sein. Wenn ich sage: Mein Kind ist vier und seit seiner Geburt war ich mit drei Männern zusammen, dann meine ich nicht: Her mit den High Fives. Sondern: Kann passieren. Ist kompliziert. Aber kein Weltuntergang. Wir schaffen das. Wenn ich über meinen Schwangerschaftsabbruch schreibe, dann meine ich nicht: Seht her, ich bin eine tolle Feministin. Sondern: Schaut hin, da läuft noch so viel schief. Wenn ich über Anfangsängste in Beziehungen spreche, dann meine ich nicht: Geil, endlich kein Single mehr! Sondern: Erwachsenwerden ist komisch, aber es auszuprobieren lohnt sich trotzdem.

 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Recovery Warriors™ (@recovrywarriors) am

Ja, wirklich. Ich denke durchaus, dass viele von uns gut daran täten, viel offener zu sein. Dass es keinen Grund zum Verkriechen gibt. Dass es ok ist, auch vor anderen über das zu sprechen, was einem so in den Alltag grätscht, ob nun Taucherbrillen oder Tragödien. Dass das Wahren des schönen Scheins krank machen und sogar gefährlich sein kann. Und dass rein gar nichts verkehrt daran ist, zu sagen: So fühle ich mich gerade. Mal gut und mal gar nicht. Klingt im Grunde logisch, gestern aber wurde mir klar, dass es auch eine Menge Mut erfordert, sich verletzlich oder fehlbar zu zeigen – nämlich als einer, der immer lacht, plötzlich vor meinen Füßen zusammen sackte, wegen allem, was nie raus durfte. Bis jetzt. Zum Glück, denn es geht gleich schon viel, viel besser. Ich werde es ihm jetzt übrigens gleich tun und mich in der nächsten Zeit noch ein bisschen schneller um mich drehen – um zu schauen, was alles raus kommt, wenn ich mich am Ende vor Erschöpfung einfach fallen lasse. Hoffentlich einiges. Denn wer viel los wird, fühlt sich danach im besten Fall viel leichter. 

7 Kommentare

  1. Sara

    Hallo liebe Nike, danke für deine offenen Sätze. Danke, dass du deine Trauer, Angst und deine schönen, sowie kuriosen Momente mit uns teilst. DANKE FÜR DAS ALLES!
    Du bist so stark, es tut so gut, dass zu lesen und zu merken, man ist nicht allein. Lass dich nicht von schwachen Menschen irritieren. Die gibt es immer, die sich im Grund darüber ärgern, nicht so offen, wie du sein zu können.

    Bitte mach weiter so, all deine offenen Texte in der letzten Zeit sind das was Eure Seite so besonders macht und deshalb bin ich bei Euch! Ein bisschen Mode hier und da und auch gerne gaaanz viel Einrichtung und schöne Dinge ist toll, aber was wirklich zählt ist, dass was du dich in deinen offenen Texten traust. Gefühle und Erfahrungen teilen.

    DANKE! MACH WEITER SO!

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  2. Katja

    Gerade weil und wie ihr so viel über euch selbst redet, ist euer Podcast so wahnsinnig hörenswert, so lustig, berührend und besonders. Hört bloss nicht auf damit!

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  3. frauke

    toll. danke! erst dachte ich kurz: warum rechtfertigen oder erklären für das, was du schreibst. aber dann: es ist doch wichtig, für alle, die es eben nicht auf anhieb verstehen. ich finde das mutig und stark und doch schaffe ich es selbst kaum, mal wirkich ehrlich zu sein über mein leben. zwei kinder von zwei männern mit zweitem mann zusammen, sogar verheiratet, ganz unromantisch, dazu noch zwei patchworkkinder, also zu sechst in einer zu kleinen wohnung, viel arbeit, wenig geld, weil der mann brotloser künstler und aktuell extrem unzufrieden mit meinem leben und last but not least: chronisch krank. das also der anfang der ehrlichkeit. nochmal tausend dank für den impuls. ich versuche es weiter!

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  4. Jojo

    Liebe Nike,
    Ich bin dir super dankbar für deine offene Art inneres zu teilen. Vor allem wenn man an einem Punkt ist an dem Freund*innen die eigenen Kopf Chaose nicht mehr verstehen hilft das Lesen über ander Laut’s auf und ab. Auch gerade weil du so tolle Sachen beruflichen machst und ich immer dachte irgendwann kommt man dann an, Aber so langsam beschleicht mich die Vermutung das dieses auf und ab unser Leben ist.
    Ganz warme Grüße

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