Kolumne // Mitte November – Früher war’s ja gar nicht besser.

19.11.2018 Leben, box1, Kolumne

Oh Wunder, ich werde älter. Das merke ich zum Beispiel daran, dass mir neue LPs in letzter Zeit ausschließlich von Spotify vorgeschlagen werden, irgendwann eben. Aber immerhin. Weil ich so brav meine digitalen Spuren hinterlasse und mich zumindest im passiven Füttern von Algorithmen übe. Früher, da habe ich noch aktiv Ausschau gehalten, mit meinen eigenen Augen. Heute fehlt mir dazu die Zeit – so entschuldige ich meine fehlende Muße am liebsten. Aus gleichem Grund werden per Zufall ausfindig gemachte Alben außerdem höchstens ruckzuck auf dem Weg zur Arbeit durchgehört –  aus Sicherheitsgründen einohrig, statt genussvoll und leichtsinnig im Schoß des einstigen WG-Schaukelstuhls hin und her kippelnd.

Ich erzähle euch das vor allem deshalb, weil ich musikalisch desinteressierte Leute stets verachtet und für extrem vergreist gehalten habe, die eigene Nase dabei spitz gen Himmel gerichtet. Meine Eltern zum Beispiel. Die saßen immer mit den Steuern, statt mit Kopfhörern da. So werde ich nie, schwor ich mir – bis ich spätestens mit dem Erscheinen der jüngsten Smashing Pumpkins Platte „Shiny and Oh So Bright“ von einem Sack Realität so schwer wie 100 Kilo Kartoffeln getroffen wurde. Auch von diesem Wurf habe ich nämlich zu spät etwas spitzgekriegt, diesmal aber bloß mit einem Tag Verzögerung. Stolz war ich da. Aber nur kurz, denn schnell stellte ich fest, dass die Smashing Pumpkins sich inzwischen anhören wie eine erstklassige Smashing Pumpkings Coverband. Ein fixes achtliedriges Album ist das, wie gemacht für (große) vielbeschäftigte Leute. Für Fans von früher, die eigentlich auch gar nichts Neues wollen und stattdessen Melissa Auf der Maur am Bass vermissen. Es ist, wie es ist: Delikatessen kann man schlecht aufwärmen. In etwa so wie die Vergangenheit. Die kann man höchstens benutzen.

Als besagter Sack Einsicht mich jedenfalls platt machte, ließ ich ihn also endlich los, den Zug, der sowieso längst abgefahren war. Den der Jugend zum Beispiel. Und mein Gott, was bin ich plötzlich froh darüber. Es besteht nämlich ein gewaltiger Unterschied zwischen dem zum Scheitern verdammten Versuch des Festhaltens an der Vergangenheit und dem sehnsuchtsvollen und zugleich versöhnlichen Gedenken an alles Vergangene. Ersteres funktioniert gerne mal als Bremsblock und nicht zuletzt auch als Legitimation für andauerndes Motzen, letzteres hingegen kann, wenn man es denn richtig anstellt, zum Schmieröl der Gegenwärtigkeit werden. Es ist demnach nicht wichtig, ob die Smashing Pumpkins inzwischen scheiße sind. Was zählt ist, dass die Begeisterung für Musik, Menschen oder Dinge von damals bis ins Jetzt nachhallt und dafür sorgt, eines nicht zu vergessen: Dass da eine Leidenschaft in uns brodelt, die nicht totzukriegen ist. Und von der wir immer wieder zehren können, wenn wir einzuschlafen oder im Alltagstrott zu ersaufen drohen. Das ist doch prima. Dass wir uns mit 30 das Haar gelb färben oder mit 40 auf einem Rave stehen oder mit 50 kopflos verliebt sein können. Wenn wir nur wollen. Es gibt ja niemanden, der uns diesen Schabernack verbietet –  eine Erkenntnis, um die auch ich mich, scheinschwanger mit schmerzender Nostalgie, permanent herum gewunden habe.

Ich glaube, dass wir, immer dann, wenn wir traurig werden ob des neuen Erwachsenseins, vor allem ein bisschen sauer auf uns selbst sind – weil wir Vieles von dem, was wir bis gestern noch für unabdingbar oder gar für einen Teil unserer Persönlichkeit hielten, tatsächlich gar nicht mehr so andauernd und doll wollen. Andernfalls wäre es vermutlich gar nicht so weit gekommen. Echte Lieben verliert man nämlich nicht so leicht. Es ist sogar tendenziell sehr schwierig, sie loszuwerden. Und umso leichter, das Gefühl von Leerstellen und unerfülltem Verlangen mit Gespenstern aus der Vergangenheit zu stopfen. Weil wir dann im Heute ja sowieso nichts ändern könnten. Wie bequem. Dieses Herumreiten auf wilderen Zeiten andererseits. Dieses „früher war alles besser“. Diese Kapitulation. Ist doch aber Quatsch. Was wir wirklich (noch) wollen, können wir (meistens) auch haben. Zwar nicht gänzlich ohne Opfer zu erbringen, aber mit denen lässt sich zumindest temporär leben. 

Am Wochenende zum Beispiel, da fand ich mich morgens um fünf auf einer Geburtstagsparty wieder, im Wohnzimmer erst zu Techno und dann zu Weezer wippend. Scheiße, habe ich da gedacht, ich bin ja Mutter, was mache ich hier nur. Und: Wann soll ich bloß schlafen, das überlebe ich nicht. Ich hätte natürlich gehen und vernünftig sein können, um katerlos dem Sonntag zu frönen. Stattdessen habe ich an früher gedacht und daran, wie ich es geschafft habe, Präsentationen in müder Trance zu halten. Nicht wie eine Eins, aber wie eine Dreieinhalb. Das reicht manchmal. Es muss sogar – Wenn die Augenblicke davor es wert sind. Am Mittag danach habe ich mich schließlich leicht lädiert aus dem Bett geschält, um beim Plattenladen endlich ein wirklich gutes neues Album auszugraben. Wieder hätte ich noch ein bisschen schlafen können. Stattdessen habe ich in meiner verbleibenden freien Zeit mit voller Absicht Dinge gemacht, von denen ich mir bis Mitte November noch einredete, sie nicht mehr zu brauchen. Und falls doch, fehlte mir ja die Zeit. Was für eine lahme Ausrede und blinde Vergackeierung meiner Bedürfnisse, welch ein Trugschluss. Einer, dem ich ohne diese neue und versöhnliche Freundschaft zur Vergangenheit vielleicht auch im Dezember noch nicht auf die Schliche gekommen wäre. Ich hätte mich dann weiterhin gefragt, warum ich so große Angst vor dem Erwachsenwerden habe und weshalb mir die Jugend in der Retrospektive so viel leuchtender vorkommt, obwohl heute doch das Meiste viel, viel besser ist. Ich hätte mich schon wieder gefragt, wieso ich ständig irgendetwas vermisse und so häufig motze. Dabei war und ist die Antwort fast unverschämt simpel: Weil ich viel zu lange nicht einfach mal gemacht habe, was ich so gern vermisse, ungeachtet der eventuell damit verbundenen Anstrengung. Und daran ist weder das Gestern noch das Heute Schuld – sondern ich ganz allein. Was wiederum klasse ist. Denn das bedeutet auch: Früher war’s gar nicht besser. Früher gab’s bloß weniger Ausreden. 

(Und hier noch schnell der superflauschige Softpop für Erwachsene:)

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3 Kommentare

  1. Leonie

    Liebe Nike,

    ich mag ja deine sonst so „rotzigen“ und eher provokanten Texte, aber das hier – dieses etwas weichere, versöhnliche – das steht dir auch richtig gut. Vielleicht sogar noch viel besser! 🙂

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  2. Flo

    Uah, ich bin so begeistert! So so oft habe ich schon bei euren, speziell deinen, Beitraegen gedacht „Mensch, warum soll den Erwachsensein das Equivalent von langweilig und vernuenftig, wer sagt das denn?“ Wollte dann aber nie einen griesgraemigen Kommentar hier lassen. Es kam mir zumindest so vor, als waere oft ein Tenor durchzuhoeren so a la „Na ja, zum Glueck sind wir ja noch frei, und wild, und abenteuerlustig und eigentlich noch gar nicht erwachsen“, dabei ist Erwachsensein doch kein Schimpfwort, und ganz was man daraus macht. Und tolles Erwachsensein ist auch nicht notwendigerweise erwachsen und gleichzeit „jung“ zu sein, sondern kann meiner Meinung nach auch ganz gut allein dastehen 🙂 Ich bin nicht mehr jung, aber ich liebe es erwachsen zu sein!

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  3. nani

    Vielleicht ist es auch keine altersbedingte Musikmüdigkeit sondern der „Tod des Indierocks“, liebe Nike?!
    So versuche ich es mir jedenfalls zu erklären (früher: passionierte Musikliebhaberin, unterwegs auf Blogs, in Magazinen, auf Konzerten, am Mikrofon, immer auf der Suche nach neuen Bands; heute: „früher-war-alles-besser“-Gelegenheitsmusikhörerin, deren Konsum sich auf das Hören von vermeintlich Kleinkind-gerechten Platten von „früher“ beschränkt)

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