Kolumne // „Das Verhältnis zwischen dieser Haut, in der ich wohne, und mir, es ist ganz offensichtlich gestört.“

18.12.2018 Leben, box1, Beauty

Letzte Woche bin ich in der Apotheke fast in Tränen ausgebrochen. Ich reichte der Apothekerin mein Rezept und sie sagte: „Mh, die Creme müssen wir anmischen. Aber meine Kollegin, die das macht, ist gerade nicht da. Es wird also bis nächste Woche dauern.“ Ich schluckte. „Bis nächste Woche?“, fragte ich nach und merkte, wie meine Stimme zitterte. „Geht das nicht schneller?“ Die Apothekerin verneinte, ich nahm mein Rezept, verließ die Apotheke und blinzelte ein paar Tränen weg. Was, wenn es auch in anderen Apotheken so lange dauern würde? Was würde ich dann machen? Ich kann nicht so lange warten, dachte ich.

 

Außer Kontrolle

Ich neige normalerweise nicht zu Tränenausbrüchen in Apotheken und halte mich selbst für einen Menschen, der sich gefühlsmäßig ganz gut im Griff hat. Es sei denn, es geht um meine Haut. Wochenlang hatte sich die Haut rund um meinen Mund, am Kinn, zwischen Nase und Oberlippe in eine pickelige, stellenweise trockene und rötliche Landschaft verwandelt. Langsam, aber stetig. Am Anfang dachte ich, dass das schnell wieder weggehen würde: viel trinken, mehr schlafen, weniger Alkohol. Schließlich war ich mit meinem Buch viel unterwegs gewesen, was meine Haut brauchte, war wahrscheinlich nur Ruhe und die vertraute Berliner Umgebung.

Meine Haut sah das anders. Sie verharrte in ihrem pickeligen, trockenen und rötlichen Zustand – und ich verfiel in Verhaltensweisen, die ich eigentlich schon vor Jahren abgelegt hatte. Jeden Morgen, noch vor dem Tee-Kochen, kontrollierte ich vor dem Spiegel den Zustand meiner Haut: Hatte sie sich über Nacht gebessert? Verschlechtert? Wie schlimm sah sie aus? Ich trug Cortison-Salbe auf, denn wenn nichts mehr hilft, hilft immer noch Cortison. Oder? Bevor ich das Haus verließ schminkte ich mich sorgfältig und benutzte Foundation, fast jeden Tag. „Man sieht ja gar nichts“, sagte eine Freundin, der ich von meinen Hautproblemen erzählte. Ja, man sah nichts – aber ich wusste schließlich, wie es um meine Haut unter der Schminke bestellt war.

Zurück in die Pubertät

 

 
 
 
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Plötzlich fühlte ich mich so, wie ich mich schon sehr lange nicht mehr gefühlt habe: hilflos, hässlich, meinem Körper und seinen Launen ausgeliefert. Ich fühlte mich wie als Teenagerin, als alle meine Freundinnen ihre Pfirsichhaut zur Schau trugen und ich meine zahlreichen Pickel mit Clearasil-Abdeckstift bearbeitete. Ich fühlte mich wie mit Anfang 20, als meine Gesichtshaut nur noch aus Pickelchen, nässenden Stellen und Poren zu bestehen schien. Damals sah ich, wie heute, auch irgendwann ein, dass das Ganze nicht einfach nur schlechte Haut war, sondern etwas anderes. Ich ging zum Arzt – und bekam die Diagnose „Schuppenflechte“. Aber halt, Schuppenflechte kannte ich doch nur von meinen Beinen, warum war die jetzt in meinem Gesicht?

Nie werde ich den Augenblick vergessen, als ich mitsamt meiner furchtbaren Haut im Behandlungszimmer meines damaligen Arztes Platz nahm, er mich anschaute, die Augen zusammenkniff und sagte: „Ja, schlimm, weiß man nicht, was das sein könnte.“ Ich kam mir vor wie ein Alien, wie jemand, der eine so dermaßen rätselhafte Haut hatte, dass nicht einmal ein Dermatologe das schon mal gesehen hatte. Es folgten zahlreiche Allergietests (alle negativ), die Verschreibung einer Cortison-Salbe (was sonst) sowie eine Handvoll Hautprodukt-Proben, die auf den Tisch geworfen wurden („Ausprobieren“). Die Cortison-Salbe half, zum ersten Mal seit langem war meine Haut nicht mehr dauerempört. Pflichtschuldig testete ich einige der Proben und fand etwas, das für mich funktionierte. Zeitgleich ließ ich mir den NuvaRing verschreiben (Kommentar der Gynäkologin: „Bei Ihren Hautproblemen würde ich die Spirale eher nicht empfehlen“) – und hatte seitdem nie wieder größere Probleme mit meiner Haut.

 

[typedjs]"Das Verhältnis zwischen dieser Haut, in der ich wohne, und mir, es ist ganz offensichtlich gestört."[/typedjs]

Unangenehme Erkenntnis

Bis jetzt. Wenn ich in den Spiegel sah, war ich wieder die unsichere Teenagerin, die überforderte Studentin. Die junge Frau, die mit depressiven Verstimmungen kämpfte, immer wieder. Die nach Bestätigung suchte, nach Anerkennung, nach diesem Punkt, an dem man merkt: So wie ich bin, bin ich okay. Die darauf wartete, dass irgendwann dieses Zeichen kommt, dass sie normal ist, so wie alle anderen. Jahre meines Lebens, wie ausgewischt. Es ging um meine Haut, und dann doch wieder nicht. Mehr noch als meine nun wieder furchtbare Haut schockierte mich diese Erkenntnis: Vielleicht bin in Sachen Selbstwertgefühl und -akzeptanz doch gar nicht so weit gekommen, wie ich immer dachte. Es ist eine Erkenntnis, die mir nicht besonders gefiel.

 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Niña Lerch (@ninalerch.illustration) am

Mittlerweile wirkt die Creme (tatsächlich fand ich eine Apotheke, die die Creme bis zum nächsten Tag herstellen konnte). Mein Gesicht sieht wieder annähernd so aus wie das Gesicht, das ich kenne und mag (eigentlich) und ich traue mich auch ohne dicke Make-up-Schicht aus dem Haus. Das ist toll und ich könnte nicht erleichterter sein. Trotzdem bleibt die Feststellung: Das Verhältnis zwischen dieser Haut, in der ich wohne, und mir, es ist ganz offensichtlich gestört. Manche Probleme können wir mit Cremes behandeln, mit Medikamenten. Aber manche Probleme gehen doch tiefer. Unter die Haut.

10 Kommentare

  1. Franziska

    Hach, ich weiß was du meinst.
    Seit ich die Pille abgesetzt habe ist meine Haut wieder bei meinem 15-jährigen Ich angekommen. Hallo Akne!
    Vorher bin ich immer ohne Make-Up und Tralala raus gegangen und nun geht das echt gar nicht mehr.
    Mit 30 nochmal Akne zu haben ist echt grausam. Und nach fast einem Jahr ist keine Besserung in Sicht.
    Danke liebe Hormone. Danke lieber Körper. Nicht.

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  2. Melanie

    „Das Verhältnis zwischen dieser Haut, in der ich wohne, und mir, es ist ganz offensichtlich gestört. Manche Probleme können wir mit Cremes behandeln, mit Medikamenten. Aber manche Probleme gehen doch tiefer. Unter die Haut.“ – So eine ehrliche und wichtige Erkenntnis. Auch ich bin ein Mensch, dem man Stress, seelisches Ungleichgewicht, aber auch so etwas banales wie den Wechsel der Jahreszeit sofort ansieht (Neurodermitits hallohoooo). Diese Unsicherheit, die entsteht, wenn man sich im wahrsten Sinne des Wortes in der eigenen Haut nicht wohl fühlt, alles spannt und nach Aufmerksamkeit schreit, kenne ich nur zu gut.

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  3. Vera

    Liebe Julia, ich glaube, die meisten von uns können sich mit diesem Text identifizieren… Leider. Ich hätte mich auch immer als eher weniger „oberflächlichen“ Mensch bezeichnet und mochte mich ganz gut, ob geschminkt oder ungeschminkt oder frisch frisiert oder ein paar Kilo mehr oder weniger. Aber als ich dann plötzlich einen Ausschlag im Gesicht bekam (sah sehr ähnlich aus, wie du es beschreibst) und mir niemand sagen konnte, weshalb und wie man das wieder wegbekommt, hätte ich mich am liebsten in der dunkelsten Ecke des Zimmers verkrochen. Ich hatte Glück und die erste Crème hat angeschlagen und seither ist das Problem gebannt, aber es hat mich schockiert wie wenig es braucht, um mein sonst gesundes Selbstbewusstsein zu zerstören… So sehr man versucht, sich selbst über die inneren Werte zu definieren und sich derentwegen zu schätzen und nicht wegen Äusserlichkeiten, Hautprobleme im Gesicht können alles über den Haufen werfen. Ich wünsche dir, dass sich die Sache ein für alle mal legt <3

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  4. Lisa

    Ich kann das gut nachvollziehen! Hier auch: Akne mit 30, nach der Absetzung der Pille. Ich kenne viele, die das gleiche Problem haben.

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  5. Annie

    Hi Julia! Kenn‘ ich, hab ich auch. Gerade jetzt im Winter ist meine Haut oft außer Kontrolle. Vor einigen Wochen hab ich eine Creme für mich entdeckt, die wahre Wunder wirkt: Egyptian Magic. Kein Witz. Habe sie schon mehrfach Problemhaut-Freunden empfohlen und alle sind begeistert. Mein Gesicht war schon nach wenigen Tagen rötungs- und spannungsfrei. Für mich gibt’s nix anderes mehr.

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  6. Ani

    Ach ja, die liebe Haut… Da könnte ich echt Bücher drüber schreiben.
    Ich habe leider auch das (vererbte) Psoriasis-Gen in mir. Meistens auf der Kopfhaut und so, dass man es noch nicht allzu sehr sieht. Ich bekomme aber auch immer mal wieder Schübe am Bauch oder an den Beinen (da war es im Sommer ziemlich schlimm, was bei kurzer Kleidung und Badeausflügen doppelt doof ist – jetzt im Winter ist es fast weg).
    Vor ein paar Jahren hatte ich dann genau das, was du im Text beschreibst, liebe Julia. Ich bin von Hautarzt zu Hautarzt gerannt, mir wurden Cremes angerührt usw. Immer mit kurzfristigem Erfolg und danach umso schlimmerer Phase.
    Als es dann so schlimm war, dass meine Haut mit Make-Up um Mund und Nase aussah wie die einer bröckelnden Statue und ohne als hätte ich einen dicken knallroten Bart, habe ich endlich eine Hautärztin gefunden, die mein Problem erkannt hat: Periorale Dermatitis.
    Leider etwas, das von vielen Ärzten eben nicht richtig diagnostiziert wird, vielleicht auch, weil es nicht profitabel ist, aber da möchte ich natürlich niemandem was unterstellen. Das einzige, was da hilft ist nämlich die absolute Nulltherapie.
    Meine Ärztin hat mir alles ganz genau erklärt (konnte als Ursache auch eine längere Kortison-Anwendung auf der Kopfhaut ausmachen) und hat mich vorgewarnt, dass es erstmal schlimmer wird, ich aber durchhalten muss.
    Es war sehr schwer und manchmal zum verzweifeln: waschen nur mit lauwarmen Wasser, keine Creme, kein Make-Up. Es hat ganze sechs Monate gedauert, aber dann wurde es langsam besser.
    Bis heute kann ich nur ganz wenige Apotheken-Produkte verwenden, die für Allergikerinnen und überempfindliche Haut geeignet sein müssen.
    Mal eben was neues aus der Drogerie ausprobieren? Geht nicht mehr. Am besten sieht meine Haut aus, wenn ich so wenig wie möglich verwende und nur in ganz trockenen Phasen eben meine erprobten Sachen, die ich ganz gut vertrage.
    Da aber auch meine Psoriasis-Haut am ganzen Körper recht empfindlich ist und ich auch dort nur bestimmte Produkte verwenden kann, geht das alles ganz schön ins Geld.
    Aber ich brauche die Sachen immer auf und kaufe kein unnötiges Zeug mehr. Mein Bad sieht auch weitaus überschaubarer aus als früher. 🙂
    Ich wünsche dir und allen anderen jedenfalls alles Gute und die richtige Diagnose. Hautsachen können der Horror sein und der Leidensdruck für Betroffene sehr groß!

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    1. Hannah M

      Vielen Dank für deinen Kommentar. Bei mir das gleiche traurige Spiel mit der gleichen nervigen Diagnose. Selbst nach einem Jahr Nulltherapie der Perioralen Dermatitits merkt meine Haut, sobald ich ein bisschen ‚schummle‘ und sich doch wieder etwas Creme auf die Partien um Mund und Nase verirrt hat.
      Die Nulltherapie lohnt sich bei entsprechender Diagnose jedoch ungemein, auch wenn die ersten 2-3 Monate ganz furchtbar hart -im Sinne von schmerzhaft und entstellend – sind.

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  7. Ziri

    Danke, dass das Thema Haut hier angesprochen wird. Neurodermitis habe ich seit meiner Kindheit und seit 10 Jahren vor allem im Gesicht. Das ist manchmal sehr belastend, sodass ich auch mal nicht raus gehe. Denn mit Make Up kenne ich mich gar nicht aus. Demnächst stehen (hoffentlich) Bewerbungsgespräche an und ich überlege nun, mir doch noch das Schminken beizubringen, um die Neurodermitis und das Alter für den Berufseinstieg abzudecken. Ich benutze leider regelmäßig Kortison Cremes, eigentlich schon seit immer und trotz des Wissens um den Schaden dieser. Ohne geht es aber auch nicht, das hab ich schon probiert. Die Hoffnung ist, dass es irgendwann besser wird, wie bei meiner Mutter. Oder dass ich irgendwann mal ans Meer ziehe.

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  8. Sandra

    Liebe Julia,

    vielen Dank für den tollen Text und Einblick in deine Gefühlswelt. Mir ging es mit Ü30 nach Absetzen der Pille ähnlich – Haut wie zu besten Teeniezeiten, einfach furchtbar …

    Ich melde mich hier aber gar nicht zu Wort, um über mich zu reden, sondern weil mich deine Beschreibung „eine pickelige, stellenweise trockene und rötliche Landschaft“ sofort an etwas erinnert hat, über das ich an anderer Stelle einiges gelesen habe und zwar die „trockene Fetthaut (Seborrhoea Sicca)“. Die liebe „reingeschlüpft“ hat viel darüber in ihrem mittlerweile leider stillgelegten Blog geschrieben, zum Beispiel hier: https://reingeschluepft.wordpress.com/2018/01/09/sieg-gegen-die-seborrhoea-sicca-1/
    Vielleicht hast du ganz was anderes, vielleicht hilft es dir aber auch weiter … vorenthalten wollte ich es dir auf jeden Fall nicht 😉

    Viele liebe Grüße
    Sandra

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