Ein Kommentar zum Sonntagskrimi: 2019 ist, wenn im Tatort schwarze Frauen austeilen

04.02.2019 Film, Gesellschaft, box2

Sich über die mangelnde Qualität des beliebtesten Sonntagskrimis aufregen? Als Küchengespräch pünktlich zum Montagmorgen und für zwischenmenschliche Kontakte ohne richtige Gesprächsthemen, das Beste, was einem passieren kann. Ritual vor der heimischen Mattscheibe, heute Schoßcomputer, für tausende Krimifans in Deutschland. Wer hätte gedacht, dass die Öffentlich-Rechtlichen im Jahre 2019 die Hauptrolle des Göttinger (ehem. Hannoveraner) Tatorts mit einer Schwarzen Frau besetzen. Florence Kasumba spielt Anais Schmitz. Nicht kleckern, sondern klotzen zur besten Sendezeit, denn immerhin hat die Wahlberlinerin erfolgreiche Referenzen wie Black Panther und Mute vorzuweisen. Und was haben wir uns gefreut über etwas mehr Intersektionalität in den Hauptrollen der deutschesten Produktion, die die TV Spielfilm-Welt zu bieten hat. Anfänglich. Am Ende war der Tatort „Das Verschwundenen Kind“, neben blutig, übertrieben und verquer, vor allem eines: Ein reproduzierter Stereotyp in 90 Minuten. Schade, Schokolade.

Da ist man dabei, dem Fernsehkrimi der Woche etwas wirklich gut gemeintes abzugewinnen – und wird ab Stunde Null auch gleich schon enttäuscht. Wer sich auf einen standardisierten Tatort mit besserer Besetzung gefreut hat, ist hier leider fehl am Platz. Das erste Auftreten der Neuen kommt nämlich ohne „Sie müssen die Putzfrau sein“-Attitüde nicht aus – und genau die hält auch no die verbleibenden 78 Minuten an. Schmitz und Lindholm (Maria Furtwängler) haben einen harten Start: Am Tatort ist viel Blut, Anais trägt Handschuhe, ist Schwarz und das Team um Regisseurin und Autorin Franziska Buch konnte sich eine alte Rassismus Leier nicht sparen. Was als Aufhänger für die fortwährend eisige Stimmung zwischen beiden Kolleginnen dienen soll, bleibt ein lausiger Vorwand, um den stark überzeichneten Stereotypen zu rechtfertigen, den Kasumba mimt. Gewaltbereite Kommissarin? Überemotionale Frau? Kontrollverlust?

Klar. Alles kommt zusammen und mischt sich zu einem kochend heißen, feurigen Gemüts-Agglomerat. Einer wahren Powerfrau. Energie, Hitze und Temperament, aber von allem ein bisschen zu viel. Nachdem man schon in der ersten Begegnung eine vor Wut schnaubende Anais Schmitz erlebt, baut sich für die Zuschauer*innen über die gesamte Sendezeit ein Charakter voller Bossyness und Platzhirschmanier auf. Und nicht nur das. Minute 28 holt aus und legt mit einer Ohrfeige an die weiße Kollegin nach. Eine kurze Erklärungen über die eigene emotionale Instabilität und dem Hang zur Körperverletzung in beruflichen Kontexten folgt. Schläge an Kolleg*innen austeilen, wirklich jetzt? Anais ist nicht nur aufbrausend und unkontrolliert, aggro und schnippisch, stark und schön, nein, gefährlich soll sie sein. So sehr, dass sie in den darauffolgenden 60 Minuten fast einen Zeugen verhaut, gar so emotional wird, dass sie mehrfach weint, in Wut ausbricht und Türen knallt. Auf dem Silbertablett: Der Tatort hat uns eine Angry Black Woman serviert.

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[typedjs]Denn wer frohlockt und die Charakterzeichnung nicht hinterfragt, bleibt angeschmiert. Das Problem ist, dass TV-Formate damit ringen, rassistische Stereotype über Bord zu werfen oder sie gar als solche zu entlarven. [/typedjs]

2019 und eine Schwarze Frau im Tatort. Das ist wichtig, ja das ist ein richtiges High Five an die Verantwortlichen. Bloß mit einem Aber. Denn wer frohlockt und die Charakterzeichnung nicht hinterfragt, bleibt angeschmiert. Das Problem ist, dass TV-Formate damit ringen, rassistische Stereotype über Bord zu werfen oder sie gar als solche zu entlarven. Nicht nur, dass der Tatort vom 03. Februar so ganz ohne semi-rassistischen Witz nicht auskommen mag, so reproduziert er Schwarze Frauen auch als emotionale, temperamentvolle und aggressive Emanzen, die zwar gerne ihr Umfeld kontrollieren aber sich selbst alles andere als zu beherrschen wissen. Und natürlich bleibt dieses Bild nicht nur in audiovisuellen Formaten, in unseren Röhren und Rechnern kleben. Es projiziert sich auf BWOC, auf ihre gesellschaftliche Rezeption, auf den Umgang mit ihnen, auf die Assoziationen mit ihrem Charakter. Dies macht vor Kindergarten und Schule, Studium und Lehre, Job und Partnerschaft nicht halt und ist vor allem eines: problematisch. Und natürlich ist Franziska Buchs Werk (Das verschwundene Kind) nicht das Erste, das ins stereotype Fettnäpfchen tritt. Wir kennen es schon lange. Aus Produktionen wie Honey, Everybody Hartes Chris, Greys Anatomy, How To Get Away With Murder, den Simpsons oder Southpark. Keiner hat’s gemerkt? Klar. Weil es irgendwie dazugehört, ein bisschen normal geworden ist und sich dann klammheimlich in unseren Alltag schleicht, versprochen.

So viel Potenzial die Besetzung auch hatte, was für einen Meilenstein sie auch darstellt; die Inszenierung der schnaubenden Anais bleibt eine bittere Enttäuschung für jene, die um 20:14 schon händereibend auf das Ende der Tagesschau gewartet haben. Es besteht Luft nach oben. Dicke Luft und viel davon. Kritisch bleiben kann wütend machen. 

15 Kommentare

  1. Toni

    Danke! Genau das hab ich mir gestern auch gedacht nur konnte ich mein Gefühl nicht so gut kontextualisieren.

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  2. Christina

    Danke für diesen Artikel! Natürlich muss die einzige schwarze Frau wieder die sein, die Probleme mit ihrer Aggressivität und ihren Emotionen hat. Vom Putzfrauen-Cliché mal ganz abgsehen. Long way to go..

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  3. Tine

    War auch sehr irritiert, vor allem da die von mir sehr geschätzte Maria Furtwängler mit der Malisa-Stiftung genau gegen solche Stereotype im Filmbusiness kämpft … alles sehr seltsam …

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  4. Tee

    Super treffender Kommentar. Ich habe mich beim Schauen so sehr geärgert, allerdings zum großen Teil auch über Florence Kasumba selbst, dass sie die Rolle in der Form angenommen bzw. verkörpert hat…

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  5. Nina

    Danke! Endlich ein Kommentar, der es auf den Punkt trifft! Den Begriff „Angry Black Woman“ kannte ich nicht, Deine Artikel sind wirklich immer sehr bereichernd! Das einzige, was ich noch ganz tröstlich fand war, dass Anais mit dem hübschen Arzt verheiratet war, den die Lindholm auch interessant fand.

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  6. Dami

    Tja, willkommen in der guten, alten deutschen Schauspielbranche. Habe den Tatort nicht gesehen, bin aber keineswegs überrascht von deinem Artikel. Wenn sich im Vorhinein die Meldungen überschlagen, wie fortschrittlich und super es ist, dass die schwarze Frau mal im Tatort mitwirken darf – und das nicht in erster Linie als Opfer – bin ich raus.
    Wieso sollte sie’s nicht können? Ist schließlich ne renommierte Schauspielerin. Nur halt nicht weiß.
    Ich glaube, btw, leider, dass die Kulturbranche ihren Rassismus nur selten mitkriegt, weil das ja alles „nicht so gemeint ist“ und man ja auch, per se, nichts gegen Ausländer hat. So ein Theaterprojekt mit Flüchtlingen, die von Zuhause erzählen, macht sich in jedem Spielplan gut! Aber dann tatsächlich Menschen mit Migrationshintergrund im Ensemble? No thanks! Habe übrigens als Nachwuchsschauspielerin und Halbtürkin auch schon Sätze gehört wie, dass man nicht einfach so Türken besetzen könne, weil das ja die Handlung komplett verändern würde oder, dass ich schon Türkisch sprechen müsse, man würde mich schließlich niemals als Deutsche besetzen. Einfach so, ganz ohne Scham.

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  7. Berthold Bricht

    Vielleicht könnte man mal eine erfundene Geschichte bei dem belassen was sie ist, nämlich eine erfundene Geschichte.
    Wäre die Dame jetzt weiss gewesen, oder gar ein weißer alter Mann, dann wäre alles in bester Ordnung. Wenn die eigenen Stereotypen bedient werden, fällt ess der Klientel nicht auf, sobald aber die Hautfarbe wechselt, ist alles anders und es wird von vertanen Chancen geredet und wie weit das reicht, ja sogar bis in die eigene Familie….
    Zum Schluß wird noch die Entscheidung der dkl. häutigen Schauspielerin in Zweifel gezogen, warum sie sich dafür überhaupt hergibt.
    Unglaublich was in diesem Volk langsam los ist…

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    1. Luzie

      Ein weißer alter Mann, der für eine Putzfrau gehalten wird… interessanter Ansatz, den du da hast!

      Schöne Grüße an das aufgescheuchte Volk.

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  8. Rebecca

    Berthold Bricht spricht vom Volk – herrje, ich glaub es hackt.
    Und inhaltlich zu deinem Kommentar: Weiße haben eine riesige Bandbreite von Rollen. Von wütend bis lieblich, von niedlich bis soziopathisch. Wenn bei POC-Rollen aber immer wieder dieselben Klischees bemüht werden, ist das sehr wohl ein Problem.

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    1. Kerstin

      Ich glaube es hakt – nicht hackt.

      Selbst, wenn sich diese falsche Version inzwischen durch einen Liedtext eingebürgert hat: es tut mir in den Augen weh und macht keinen Sinn.

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  9. anton

    Die Tatort Schauspielern kann gar keine Angry Black woman sein, da Sie Afrikanerin ist und keine Schwarze.
    Schwarz ist in den Usa ein Synonym für Afroamerikaner und hat nichts mit Afrikanern zu tun, genausowenig wie „die schwarzen“ in Russland „schwarz“ sind sondern kaukasier gemeint sind.
    Das ist einfach ein semantische Unschärfe wodurch man den Begriff „schwarz“ bei Afroamerikanern fälschlicherweise
    generalisiert, währen man bei „den schwarzen“ im russischen Sinne augenscheinlich Bescheid weiß.
    Die „afrikanische“ Tatortschauspielerin kann unbeschwert genauso agressiv spielen wie eine Geena Davis, denn Sie ist ja keine „schwarze“
    Ein Indischer oder Persischer Schauspieler wird ja auch nicht angehalten kein“Zigeuner“ Klischees zu reproduzieren. Ein völlig anderer Kontext.
    Und Brooks ist doch halb deutsche, oder?
    Dieses ganze „Sehen“ durch angloamerikanische Perspektiven zeugt mehr von Gehirnwäsche als von Kritik

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  10. anton

    Völlig klar sollte das werden, wenn man sich vergengwärtigt, dass es weder im französischen noch im portugiesischen das heißt in den Ex Sklaverei Gesellschaften der Karibik oder Portugals in Brasilien ein Pendant für „Angry black woman“
    Es handelt sich dabei um einen rein angloamerikanischen Topos derin der dortigen Sklavenhaltergesellschaft aufgekommem ist.

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