Kolumne // Von Menstruationsdruck & anderen Alltagsphänomenen

Ohne Verhaltensregeln und Manifeste funktioniert heute nichts mehr. Es gibt Codes, verkomplizierte Prozesse und verpflichtende Angewohnheiten, die uns verklickern, wie wir zu leben haben, wie es richtig läuft, richtig gut sogar. Kurzum: Alle wissen, was das Beste für mich ist und was das Gesündeste überhaupt. Und klar: den Drang, nach diesen Gesichtspunkten zu entscheiden, gibt es für viele schließlich seit langem. Nur wer hätte gedacht, dass die eigene Körperlichkeit, der Körper mit seinen Funktionen, einen am Ende unterdrückt, ja fast manipuliert und verzweifeln lässt, wenn er nicht so funktionieren will, wie es gerade sozial erwünscht und angemessen erscheint. Ich spreche aus eigener Erfahrung, denn auch ich stolperte schon so oft über mir aufgelegte Müssens.

Und so erleben wir zurzeit eine Prozessierung von einfach allem. Da geht’s nicht länger nur ums Essen, sondern um eine Keto-Ernährung. Da sprechen sie nicht mehr nur von Wellness, nein, ein Schweigekloster muss es sein. Entspannen? Wir wollen ein inneres Zen, direkt aus dem Onlineshop, der neben Palo Santo auch eine Aszendenten Beratung sowie magische Kristalle anbietet. Haare waschen? Mit Roggenmehl ist es besser für die Umwelt. Wie, du benutzt noch Tampons und die Pille?

Die letzten Jahre im Zentrum eines großstädtisch-akademischen Menschen-Agglomerats standen im Zeichen der Natürlichkeit. Hoch lebe die Zelebration der weiblichen Körperlichkeit, ja der Selbstliebe und der Ablehnung gegenüber Chemikeulen und Hormonbomben, Baumwolltampons und Rasierern. Lasst es fließen und kommen und müffeln und sprießen und seid glücklich dabei, heißt es heute. Genau. Nur dabei neigen alle, die so tapfer predigten, dazu, die Selbstbestimmtheit zu vergessen, in der es doch jeder selbst obliegt, wie und wo sie rasiert blutet und verhütet.

[typedjs]Es scheint fast so, als hätten Frauen* über den Kampf für Selbstbestimmung, den ihrer Mitstreiterinnen vergessen.[/typedjs]

Es scheint fast so, als hätten Frauen* über den Kampf für ihre eigene Selbstbestimmung, den ihrer Mitstreiterinnen vergessen. Als sich vor einiger Zeit alle Menschen über Veganismus und die damit verbundene Moralkeulen aufregten, haben sie noch nicht gewusst, dass es bald noch intensiver wird. Während sich die also noch für Ihre Pommes-Schranke am Hermannplatz schämt, schimpft die andere schon erbost mit der Apothekerin und versteht nicht, wie sie der Kundin vor ihr denn überhaupt eine Antibabypille aushändigen konnte.

Das Paradoxe ist, dass für Mündigkeit und eine identitätsstiftende Selbstbestimmung in einer semifeministischen Lebenswelt gekämpft wird, während doch so viele versuchen, die eigenen Ideale auf die Frau von Welt von nebenan zu übertragen. Diese verhütet schon lange nicht mehr hormonell, Tampons wurden gegen Tassen und Schwämme ausgetauscht und der Rasierhobel kommt nur noch in der Bikinizone zum Einsatz: Femibusch light, oder wie kann man das nennen? Ach nee. Wir machen Sugaring.

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Endlich sind wir da angekommen, wo wir (dazu neigen zu) hinterfragen, was denn nun wirklich das beste Verhütungs- oder Menstruationsprodukt sein könnte. Wir können froh sein, glattrasierte Dogmen und das Schamgefühl der Mehrheitsgesellschaft langsam hinter uns gelassen zu haben. Eine erfrischende Wendung für diejenigen, die es sich erlauben können.

Aber Obacht: Das ist nicht der Regelfall, denn nicht jeder Frau ist es uneingeschränkt möglich, sich abseits von Schönheits-, Verhütungs- aber auch Hygienestandards zu bewegen, auf der Welt schon gar nicht, aber auch nicht hier. Schlanke Frauen, die fröhlich ihre unrasierten Beine präsentieren, begegnen einer anderen Akzeptanz als dickere. Freebleeding wäre in vielen Berufsfeldern undenkbar und würde sogar als unhygienisch erachtet werden und gegen die Pille zu schimpfen, erfordert das Privileg, andere Verhütungsmethoden für seine Beziehung und seinen Körper in Betracht ziehen zu können, außerdem nicht unter hormonellen Dysfunktionen zu leiden oder schlichtweg das nötige Kleingeld zu haben, um sich für eine Kupferspirale oder ähnliches zu entscheiden. Und dann hab‘ einer erstmal die Zeit, sich mit all dem Wisch auseinanderzusetzen.

 

 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von ☀︎ (@groovetrendz) am

Warum ich heute mal wieder so wutentbrannt durch die Gegend laufe? Ich verrate es euch: Meine Mutter begutachtete letztens neidisch die Menstruationstasse, die ich mit im Gepäck hatte. Seit Montanen versuche ich dieses Ding zu benutzen. Ich will weniger Müll produzieren, sehen, wie viel Blut rauskommt und keine trockene Scheide mehr mit mir rumtragen. Geht aber nicht. Weil es nicht passt und irgendwie nicht will und irgendwie nervt. Ich erklärte meiner Mutter also die Funktion und die (theoretische) Handhabe und sie war begeistert von der Möglichkeit, die ich eigentlich haben könnte – und doch nicht nutze. „Mit einer sehr starken Menstruation hätte mir solch eine Tasse sehr geholfen“, hat sie gesagt – und ich weiß, dass das stimmt. Und genau das macht mich dann noch trauriger, weil ich weiß, wie sehr sie unter Schmerzen und Sturzbächen von Blut gelitten hat. Für sie waren Tampons einfach schwierig.

 

 

Und klar fände ich weniger Müll wunderbar und auch eine gesündere Scheidenflora, aber erstmal kann ich froh sein, dass ich seit Monaten der Abstinenz überhaupt endlich wieder im Menstruationsclub sitze und endlich wieder Bett beziehen, endlich wieder Schlüpper waschen kann. Tampons funktionieren für mich also derzeit am besten, zumal meine Blutmenge kalkulierbar ist, mich nicht überrennt und mich nicht daran hindert, meinen Alltag normal weiterzuführen. Ich habe also Glück, dass mir ein Produkt, das ich mir leisten kann, das auf dem deutschen Markt (leider steuerpflichtig) verfügbar ist und für mich funktioniert, zur Verfügung steht. Ohne schlechtes Gewissen, weil ich jeden Monat einen kleinen blutgetränkten Müllhaufen in die Tonne gebe. Das ist gerade mein Weg. Meine Menstruation und mein Müllhaufen. Ist ok so.

Die gesellschaftsrelevante Auseinandersetzung mit dem Thema Menstruation, Periodenprodukt, aber auch Verhütung geht mir also an die Nieren. Weil ich gemerkt habe, wie sehr auch ich natürlich leben wollte, wie gerne ich meinen Alltag ohne Pille und ohne Tampons im Mülleimer bestreiten würde, meine körperlichen Bedingungen es aber trotz Biegen und Brechen einfach nicht zugelassen haben.

Bevor ich also jemanden schräg anschaue, weil sie* 2019 die Antibabypille als Verhütungsprodukt ihrer Wahl schluckt oder eben schlucken muss, will ich sie* lieber in ihrer Fähigkeit empowern, selbstbestimmt über ihre Verhütung entscheiden und sich dieses Mittelchen überhaupt leisten zu können – und ihr für ihre stärkeren Tage einen Tampon in die Hand zu drücken. Das kann schließlich jede Mal gebrauchen, oder nicht? Ob nun im Regel- oder im Sonderfall.

6 Kommentare

  1. leo

    Ja und Amen zu dem Inhalt des Artikels, aber auch eine kleine Kritik: es wäre cool, wenn ihr vielleicht darauf achten könntet, das „Frauen*“-Sternchen nicht mehr zu verwenden, auch wenn es bestimmt gut gemeint ist. Unter trans- und nichtbinären Leuten ist die Mehrheitsmeinung dazu, dass das es zwei Möglichkeiten gibt, wie es zu interpretieren ist, die beide nicht so ganz toll sind: a) es sind „Frauen und trans-Frauen“ gemeint, was irgendwie suggeriert, dass trans-Frauen keine Frauen sind oder b) es sind Frauen und – ja was? – nichtbinäre Menschen? oder sogar Transmänner gemeint (in dem Artikel meintest du ja bestimmt einfach Leute, die menstruieren können, also potenziell auch Transmänner!). In dem Fall wird die Personengruppe dann misgendered. Ich glaube, am einfachsten wäre es hier gewesen, Menschen, die menstruieren, anzusprechen?

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    1. Fabienne Sand Artikelautorin

      Hallo Leo,
      du hast zu 100% recht. Danke dir für deinen Aufmerksamen Kommentar. Das ist auf jeden Fall etwas, was sich sowohl in meinen Texten, als auch in meiner Alltagssprache etablieren muss. Selbstverständlich sind menstruierende Menschen / Menstruierende gemeint. In Zukunft werde ich in meiner Arbeit verstärkt darauf achten.

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  2. Nora

    Liebe Fabienne,

    ich finde du sprichst viele wichtige Punkte an, wie z.B. die Privilegien und Gegebenheiten, die manche Praktiken für manche Leute einfacher machen als für andere. Das fängt bei Natürlicher Familienplanung an, die einen sehr regelmäßigen Alltag und Rythmus erfordert und auch die Option, in einer Beziehung am bestimmten Tagen ’nein‘ zu unverhütetem Sex zu sagen. Es geht weiter mit Körperbehaarung, die an sogenannten normschönen Menschen leider oft mehr gefeiert wird als an denen, die der Norm weniger entsprechen. Und dass Menstruationstassen nicht für alle sind, stimmt natürlich auch.

    Gleichzeitig bewege ich mich wohl in diesen Kreisen, die du hier beschreibst, und mir persönlich ist es noch nie untergekommen, dass Frauen dafür plädieren, dass es nur einen Weg gibt. Viel mehr nehme ich es so wahr, dass viele durch einen langen Prozess der Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper (und ja, die Zeit und Energie muss man haben) zu Praktien gekommen sind, die für sie passen, und das auch so kommunizieren. Dass über andere Frauen und deren Arten der Verhütung/Menstruationshandhabung etc. geurteilt wird, habe zumindest ich in meinem Freundeskreis und auch auf sozialen Medien so noch nicht erlebt.

    Die oben beschriebene Situation in der Apotheke klingt natürlich absolut absurd. Ich glaube meine Frage ist, ob es sonst noch konkrete Momente gab, in denen dir oder anderen solche herablassenden Beurteilungen passiert sind. Denn so wie es gerade steht, finde ich, dass der Artikel doch ein paar Sachen ein bisschen durcheinanderwirft, die eigentlich einer genaueren Betrachtung bedürften. Da ist einerseits der Diskurs, der zurzeit tatsächlich „Natürlichkeit“ (was auch immer das ist), und auch so wichtige Dinge wie die Entstigmatisierung des weiblichen Körpers und seiner Funktionen favorisiert; und andererseits das angebliche Beurteilen von Einzelpersonen über die Handlungen anderer, und diesen Eindruck teile ich persönlich zumindest wesentlich weniger.

    Vielleicht kannst du ein wenig Klarheit schaffen. Danke jedenfalls mal wieder für ein wichtiges Thema!

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    1. Fabienne Sand Artikelautorin

      Liebe Nora,
      danke für deinen Kommentar. Meine Kolumne ist natürlich subjektiv und meine Empfindungen lassen sich nicht auf jede Lebensrealität übertragen. Viele Gefühle wie zB der „Menstruationsdruck“, also das Bedürfnis, endlich wieder einen regelmäßigen Zyklus zu haben, der nach der Pille lange Zeit durcheinander war, sowie die Benutzung des Cups, sind Gedanken und Stressmomente, die vor allem mich persönlich und meine Periode in den letzten Monaten begleitet haben.

      Tatsächlich muss ich aber sagen, dass auch ich mich nicht davon freimachen kann, in den letzten drei Jahren ab und an Frauen in meinem Umfeld bezüglich non-hormonelle Verhütung missioniert zu haben, weil das Absetzen der Pille für mich eine riesiger Umbruch war und es mir danach viel besser ging. In dieser Zeit, in der sich auch viele mediale Diskurse um Hormonelle Verhütung auftaten, habe ich mitbekommen mit diesem Bekehrungsgedanken nicht alleine zu sein, dass viele ihre FreundInnen aufklären wollen, ihnen helfen wollen oder Hormone generell verschreien, sich lauthals über Tampon- und Bindenmüll aufregen oder verkünden, wie viel besser ihr Leben jetzt ohne Hormone ist (mich mit eingeschlossen).
      Das damit verbundene Stigma hatte auf mich letztendlich den Effekt, nicht auf meinen Körper zu hören sondern dann am Ende in den 3. Menstruationscup zu investieren der immer noch nicht funktioniert, wobei ich mir selber tierischen Stress mache, obwohl Tampons für mich quasi optimal sind. Ähnlich kompliziert ist es für mich heute, einen guten Weg zu finden zu verhüten.

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  3. Mila

    Ich bin ja nun schon etwas älter und in der Vor-Internet, Vor-Smartphone, Vor-Soziale-Medien-Zeit großgeworden (und darüber ehrlich gesagt auch ganz froh). Du sprichst hier ein Grundthema an, das mich seit einiger Zeit wirklich sehr stark beschäftigt, da ich eine Tochter im zarten Teeniealter habe und an ihr live die Auswirkungen an der derzeitigen neuen Form der „Normenentwicklung“ beobachten kann (und darüber wahnsinnig viel mit ihr spreche). ich finde es echt erschreckend, wie ausgeprägt das Bedürfnis des Bewertens mittlerweile geworden ist. Klar, das gab es schon immer, aber doch kein Vergleich zu heute. Beinah jedes Thema scheint ein Minenfeld zu sein, durch das man sich wie auf Eiern bewegen muss, um keine Kritikexplosion zu erleben. Jeder und jede hat wirklich zu allem, was der Mitmensch tut, eine Meinung – ein Like oder ein Dislike, sozusagen. Es wird munter drauflos kommentiert, meist in völliger Unkenntnis des Kontextes oder des Hintergrunds (so wie bei neulich an der Supermarktschlange, als ich meine Einkäufe auf das Band legte, darunter auch Süßigkeiten „Ganz schön viel Zucker, oder?“ sagte da plötzlich die Mittzwanzigerin hinter mir – WTF!!!) Und meine Tochter, die gerade in die Pubertät kommt und viele Unsicherheiten mit sich herumträgt, macht das wirklich richtig fertig! Ich finde das auch aus Elternperspektive eine große Herausforderung.

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  4. Tülay

    Liebe Fabienne, du bist manchen unbequem, frei heraus und stark- dafür liebe ich dich, auch wenn du nicht immer 100 % meine Meinung triffst, hier hast du mich voll auf deine Seite gezogen, DANKE! Weiter so <3

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