Knapp eine Woche ist seit der Wahl vergangen und das Internet scheint sich nur langsam erholt zu haben. Ja, die Ergebnisse waren vorhersehbar und trotzdem waren sie schockierend. Richtig übel ist es, wenn man merkt, dass man sich über die Zahlen der CDU freut, bis man realisiert, dass diese Partei in Sachsen die konservativste aller Ausrichtungen hat. Mit Sicherheit geht uns Politik alle etwas an, tatsächlich kann sie aber nicht alle in ihrer Existenz aktiv gefährden. Als ich am Sonntag die Tagesschau einschaltete, wurde mir vor allem um marginalisierte Menschen in Brandenburg und Sachsen Angst und Bange. Für nicht-weiße Menschen bedeutet das Erstarken einer rassistischen Partei nämlich eine tatsächliche Veränderung in ihrer Lebenswelt. Das ist dann mehr als eine ungute Überraschung.
Die politische Stimmung in Deutschland geht alle etwas an, weil es wichtig ist, darüber nachzudenken, wen sie akut angreift. Noch wichtiger ist es aber, darüber nachzudenken, wer dazu verpflichtet ist, sich zu engagieren und sich aktiv zu positionieren. So bin ich immer häufiger damit konfrontiert, dass sich Menschen nicht mehr als der Überzeugung hingegeben, in den vergangenen Wahlperioden das Kreuz an der richtigen Stelle gesetzt zu haben.
Grün, Links, piratisch sollte es sein, möglichst eindeutig in der politischen Agenda, ein Hauch von Revolution, ein bisschen gegen das System. In Bubble-artigen Gesellschaftsgebilden, wie auch meinem sozialen Umfeld, gibt es einen klaren linkspolitischen Konsens, der allerdings nicht über das Kreuz auf dem Wahlzettel hinausgeht. Wir leben in einer Zeit, in der das Gefühl der Sicherheit für nicht-weiße Menschen von rechtsterroristischen Tendenzen und rassistischen Übergriffen massiv erschüttert wird. Was soll uns noch alarmieren, wenn es die aktuelle Faktenlage nicht tut?
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Der Raa Sachsen meldete im März 2019 317 rassistische Angriffe mit insgesamt 481 Betroffenen im Jahr 2018. Eine sicherlich unvollständige Zahl, die sowohl verbale als auch physische Übergriffe zusammenfassen soll. Nichts Neues sind auch die Todeslisten mehrerer rechtsradikaler Verbindungen, auf denen nebst Lokalpolitiker*innen und Journalist*innen auch Personen des öffentlichen Lebens vertreten sind − am 2. Juni ist Walter Lübcke ermordet worden. Wer wiegt sich akut also in welcher Sicherheit? Möglicherweise nur diejenigen, die sich bisweilen so sehr aus der Debatte heraushalten, dass es den Anschein macht, als würden gesellschaftliche Veränderungen sie nichts angehen. Ist es die Hoffnung, dass alles allmählich von selbst vorbeigehen wird? Oder die Tatsache, dass die wenigsten weißen – oder andere, nicht von Rassismus oder sonstigen Diskriminierungsformen betroffene – Menschen oft nur partiell Kontakt mit Menschen haben, die von selbigen berichten? Es ist so unglaublich leicht, nicht aufzuhorchen oder nicht hinzusehen, wenn man nicht betroffen ist. Es ist so leicht für diejenigen, die sich in ihrer Heimat − einem Land, das vor patriotischen Fehlinterpretationen und Angst vor Unbekanntem nur so strotzt − nicht akut bedroht sehen.
„Eine rechtsradikale Partei bekommt in Deutschland seit Jahren immer mehr Zuspruch. Es ist von einem Erfolg die Rede, weil die AfD in Sachsen und Brandenburg nur die zweitstärkste Partei geworden ist. Ach so, nur zweitstärkste? Ja dann… Das beruhigt mich nicht mehr. Wenn man nicht von Rassismus betroffen ist, ist es leicht weiterhin Ruhe zu bewahren. So weiterzumachen wie immer. Sich nicht so viele Gedanken und nicht so viele Sorgen zu machen. Ich versuche das auch. Aber es fällt mir sehr schwer. Solidaritätsbekundungen als Reaktion auf rassistische Taten beruhigen mich nicht mehr. Zeitungsartikel, die dann doch wieder rassistische Sprache reproduzieren und Autor*innen, die immer noch Begriffe wie „Fremdenfeindlichkeit“ verwenden, obwohl „Rassismus“ nun mal die einzig richtige Bezeichnung für Rassismus ist, beruhigen mich nicht mehr. #wirsindmehr-Sticker beruhigen mich nicht mehr. Die Grenzen des Denkbaren und Sagbaren haben sich deutlich verschoben und das spüre ich in meinem Alltag. Aber immer noch sind weiße Menschen überrascht, wenn sie auch mal direkt damit konfrontiert werden, oder ich sie damit konfrontiere. Wie könnt ihr euch noch darüber wundern, wenn die AfD einen Erfolg nach dem anderen einfährt? Mal ganz abgesehen davon, dass wir in einer Gesellschaft leben, die ihren strukturellen und institutionellen Rassismus weitestgehend leugnet und in der die große Mehrheit 2019 immer noch davon ausgeht, dass nur rassistisch ist, was auch rassistisch gemeint ist. „Das sind Protestwähler!“, beruhigt mich nicht mehr. Denn wie viele wählen die AfD wohl aus Zustimmung? „Nicht jeder AfD-Wähler ist ein Nazi!“, beruhigt mich nicht mehr. Denn jeder AfD-Wähler ist ein Tropfen ins Fass meiner Verunsicherung darüber, ob ich in diesem Land auch in Zukunft zu Hause sein kann. Jedes Prozent Wählerstimmen steht ganz klar gegen mein Dasein in diesem Land. Jedes Prozent steht für das Erstarken einer Partei, die mir und so vielen anderen in diesem Land nicht nur unsere Heimat, sondern unsere Menschlichkeit abspricht. Es beunruhigt mich. Ich versuche mir nicht so viele Sorgen zu machen, aber es fällt mir sehr schwer.“ |
Oft habe ich wahrgenommen, dass Menschen nicht wussten, wohin mit ihrem politischen Ich. Auch eine gewisse Unwissenheit ist mir nicht neu, schockiert mich aber dennoch jedes Mal aufs Neue zutiefst. Denn wann, wenn nicht jetzt, sollte der Moment sein, um sich mit einem politischen Wandel in seiner Heimat auseinanderzusetzen? Wann, wenn nicht jetzt, waren die Enthaltung und ein unpolitisches Leben so problematisch wie heute? Dabei ist es ein Leichtes, sich zu informieren und Stellung zu beziehen: Vom Parteieintritt über das antirassistische Engagement bis hin zu Geldspenden − ansprechende Institutionen gibt es unglaublich viele. Auch durch Angebote wie Youtube und diverse Mediatheken können wir uns jederzeit Berichte, Recherchen und Einschätzungen der politischen Lage einholen. Angebote, die jede*r wahrnehmen sollte, denn genau so wenig, wie Deutschland rassistisches Gedankengut verträgt, verträgt es das Verschwinden von kultureller Diversität, ganz unabhängig vom Einzugsgebiet oder Bundesland. Wer zulässt, dass sich seine Mitmenschen unsicher und ängstlich fühlen, hat in der Gestaltung unserer Zukunft genau so versagt wie diverse Instanzen, die am längeren Hebel sitzen.