Das hier ist ein ehrlicher Bericht über die ersten beiden Tage der Fashion Week New York. Über das Dasein als Moderedakteur, über teure Hotels, große Städte und grelle Farben, die manch einem in den Augen weh tun und für andere die Erleuchtung sind.
#1 – Gewöhnung
Schon zum dritten Mal durfte ich in diesem Jahr nach New York fliegen. Beim ersten Mal schlackerten mir die Beine. Beim weiten Mal bebte das Herz. Und jetzt? Genau das gleiche Spiel. Bloß anders. Dankbarkeit, Jauchzen, Aufregung. Und dann: New York! Endlich wieder da. Hallo Manhattan, hallo Brooklyn, hallo alle. Aber beim ersten Spaziergang vergesse ich, zu staunen. Alles ist groß, aber nicht überwältigend. Eher heimelig. Ich bin ein bisschen sauer auf mich selbst, nenne mich „verwöhnte Göre“, frage mich, wann das Kribbeln im Bauch wieder einsetzt. Und dann hält neben mir ein gelbes Taxi, fährt die Fenster runter und pumpt Jay-Zs „Holy Grail“ durch die Straße und meine Adern. Gänsehaut und Euphorie – man kann sich also doch nicht an diese Stadt gewöhnen, weil jeden Tag alles anders ist. Weil Dinge passieren, die aus gewöhnlichen Momenten Erinnerungen machen, die noch ein paar mal im Bauch explodieren werden. Danke, big city of dreams.
#2 – Hotel-Dekadenz
Das Dream Downtown Hotel in New York City ist super fancy und super teuer. Wie kann es also sein, dass beinahe ausschließlich junge Leute dort herum lungern und in der Lobby zu den Red Hot Chili Peppers mit dem Kopf wippen? Ich fürchte, hier hat so gut wie niemand selbst gezahlt – sondern der jeweilige Chef. Und hier wären wir wohl am zwiespaltigsten Zweispalt der Modewelt angelangt: Leisten können sich den ganzen Klimbim nämlich nur die Allerwenigsten. Man lebt also immer wieder temporär über seine Verhältnisse. Anfangs findet man das noch ein wenig verwerflich. Aber mit der Zeit kehrt Ruhe in’s eigene Gewissen ein: Wenn man sich schon das ganze Jahr über für viel zu wenig Kröten den Allerwertesten aufreißt, um all seine Arbeitgeber glücklich zu stimmen und der Leidenschaft zu folgen, statt Geld zu schöffeln, dann darf man auch mal genießen und den Kopf ausschalten, Einladungen annehmen und Danke sagen.
#3 – Fashion Week Zelt bleibt Fashion Week Zelt
Ich wurde irgendwann einmal auf ziemlich gemeine Art und Weise in der Berliner Morgenpost zitiert: „Das Fashion Week Zelt hat einen gewissen Muff“. Man ließ diese Aussage zusammenhangslos so stehen, was dazu führte, dass die Macher des Ganzen mir wohl am liebsten an die Gurgel gegangen wären. Ein Jahr später finde ich mich also im New Yorker Zelt wieder und schäme mich selbst ein wenig für meine Aussage von damals. Hier sieht’s nämlich auch nicht anders aus. Es ist ein bisschen so wie mit Fußball-Stadien oder Konzerthallen: Von Außen betrachtet glitzert alles und sieht so furchtbar unerreichbar und gigantisch aus. Am Ende wird aber überall nur mit Wasser gekocht. Menschen bleiben Menschen. Und grauer Teppichboden sieht eben nirgends richtig schön aus.
#3 – Modemenschen können furchtbar sein – aber Ausnahmen bestätigen die Regel
Fast immer, wenn ich auf andere Moderedakteure treffe, landen wir beim selben leidigen Thema: Wie geht man mit Modemädchen um, wenn man selbst eins ist? Und wieso müssen die alle bloß so furchtbar elitär, verblendet und hochnäsig sein, wo ist denn bloß der Spaß geblieben? Sagen wir’s so: Es gibt sie, die Furien. Die Mademoiselles, die sich wohl nur in teure Kleider betten, weil der Charakter allein offensichtlich nicht genügend Strahlkraft besitzt. Aber: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Und während wir so vor uns hin lamentieren, uns in den Armen liegen und von zukünftigen Karrieren als Kindergärtnerinnen träumen, fällt uns auf, dass wir eigentlich ganz ok sind. Dass wir immerhin uns haben, die Anker im Meer der tausend grässlichen Ursulas:
Miriam von der Grazia und Fashionmafiadaily.com (Cardigan: Desigual!): Die legendäre Lisa Buys van Houtem (Brigitte Online):
Fotografin Joanna Lutynska:
# 4 – Streetstyles
Mit werden auf Ewig jene am liebsten sein, die den eigenen Charakter über alles stellen, statt den Menschen in der Kleidung im Trend-Moor zu ertränken:
#5 – Desigual, die Marke, an der sich die Geister scheiden
Wer hat mich eigentlich nach New York gebracht? Die Auflösung: DESIGUAL, das spanische Brand, dessen Farbvielfalt manch einem in den Augen brennt. Während ich demnach ziemlich lange überlegte, ob man eine Reise überhaupt antreten darf, obwohl man eben nicht einhundert Prozent hinter dem Veranstalter steht, erinnerte mich Sarah Jane an unseren Vorsatz: Vorurteile sind Banane, get over it. Und: Geschmäcker sind verschieden und wir sind keineswegs das Maß der Dinge. Ich befragte also meine Freundinnen – Hin da, oder lieber absagen?
Auffällig war, dass es beim Thema Desigual keine Mitte zu geben scheint. Nur Schwarz und Weiß. Liebe oder Abtörn. „Alter Falter, das ist wirklich ganz furchtbar“ gegen „Boah, ich liebe all die Muster und Farben, da schwingt dieses spanische Flair mit, mega!“. Dann schaute ich mir die Kampagnenbilder an und geriet in Schockstarre. Das. ist. wirklich. nicht. mein Geschmack. „Hmm, also ich find’s toll, du musst dich mal ein bisschen von deinen Assoziationen im Kopf befreien, dieses Kleid letztens, das du an mir so schön fandest, das war tatsächlich Desigual – die Kirschen rauspicken, das weißt du doch eigentlich!“, maunzte meine Schwester am Telefon. Und schon wieder: Geschmäcker sind eben verschieden. Na gut. Recht hat sie. Desigual boomt, daran besteht kein Zweifel. Jetzt heißt es nur noch verstehen, wieso. Irgend etwas muss dort doch zu holen sein – Schließlich sollte Desigual als erstes europäisches Brand die New York Fashion Week eröffnen.
Das erste Model (Amber Le Bon & Tali Lennox liefen!) betrat also den Laufsteg, aus den Boxen dröhnte ein ziemlich lebensbejahender Track, alle wippten, die Mädchen auf den Catwalk strahlten. Diese Südländer, von denen sollten wir morbiden Deutschen uns mal eine Scheibe abschneiden, dachte ich. Ich begriff, dass es sich mit der Mode ein bisschen wie bei Musik verhält: Auf den Kontext kommt es an und eben auch auf das Gefühl. Und plötzlich konnte ich also doch verstehen, weshalb man dieses Brand so gern hat.
Ich muss euch nicht anflunkern: Desigual wird niemals zu meinen Lieblings-Brands zählen, wirklich nicht. Was ich aber mit ziemlicher Sicherheit sagen kann: Ich bin nun kein Skeptiker mehr, kein Nörgler oder Nichtsblicker. Miriam von der Grazia kombinierte ihren Desigual-Cardigan (siehe oben) am kommenden Tag nämlich beispielsweise so geschickt zur Lala Berlin-Bluse, dass selbst die Verkäuferinnen bei Chanel in’s Schwärmen gerieten, kein Scherz. Ich hingegen verlor mein Herz an ein rotes Babycord-Hemd aus der Herrenabteilung und eine Elle-Redakteurin saß blumig betucht in der Frontrow.
#6 – Second Row Gossip
Jap. Wo wir wieder bei der allgemein bekannten Zwei-Klassen-Gesellschaft angelangt wären. Man beteuerte zwar, es handle sich keinesfalls um ein persönliches Problem, sondern um ein Prinzipien-Ding, aber nun ja. Weltuntergang, ist ja ganz klar. #fremdschämen
#6 – Der Touri-Bus
Beim Touri-Bus-Fahren sollte man den Kopf einziehen und für bessre Bilder auf keinen Fall die Arme gen Himmel recken – ganz knappe Kiste.
#7 Basics sind die besseren Hingucker
Neues Dreamteam von &otherstories: Blauer Rock + oranges Shirt = große Liebe.
#7 – Love is all you need
Merkt man, weil man an jeder Ecke New Yorks an seine Lieblingsmenschen erinnert wird und dann ab und an das Herz ein bisschen weh tut.
#8 – Freisein, Spontansein
Verrückt sein macht Spaß und gemeinsam verrückt sein macht doppelt Spaß. Vor sechs Jahren ließ ich mir mein allererstes Tattoo während einer Nacht und Nebel Aktion in Seattle stechen (es ist damals ein Herz geworden), am Wochenende folgte auf dem Broadway das inzwischen dritte. Miniklitzeklein, superpersönlich und zauberschön. Ich finde ja, solche kleinen Sünden sollte man niemals bereuen – solange kein Arschgeweih dabei heraus kommt.
#8 – Schuh-Neid
Lisa, ich sage das hier noch einmal ganz offiziell: Ich könnte mir – auf Deutsch gesagt – in den Arsch beißen. Nachdem ich nämlich tausend Mal über den Kauf eines Paar Vans samt Kenzo-Druck gegrübelt hatte, entschied ich mich fälschlicherweise dagegen. Sollte irgendwer die gelb/blauen Slip-Ons verkaufen wollen – hallöchen!
#9 – Im Cupcake Himmel
Mit Miriam und Johanna, bei Billy’s. Ich bin überhaupt kein Kuchenfan, aber Cupcakes vernebeln mir das Hirn.
#10 – Danke sagen
Liebes Desigual Team, liebe CLY-Familie, liebe Vice, liebe Joanna, liebe Miriam, liebe Johanna und liebe Lisa: Es war mir ein inneres Blumenpflücken! Tausend Dank, von Herzen. <3