Kolumne //
Von Entscheidungsmimosen und der Liebe

04.11.2015 Leben, box3

scalamari kolumneWo Entscheidungsmimosen wuchern, wächst kein Liebesfarn mehr

Mitternacht im Prenzlauer Berg, Helmholzplatz, Hinterhaus – In meinem Bett tindere ich mich mal wieder in den Schlaf. Es ist wie Schafe zählen, irgendwann fallen beim monotonen Swipen die Augen dann zu. Nope, Nope, Nope, Nope – ah was mit Tieren – like – MATCH – gute Nacht. Getroffen habe ich mich noch nie mit einem, obwohl ich schon oft kurz davor war – aber kurz vor was? Kurz vor Kaffee? Kurz vor Sex? Kurz vor verlieben? Oder kurz vor kompletter Desillusionierung? Ich sage es euch, die Dating-Straßen der Stadt sind gepflastert mit Missverständnissen und Befindlichkeiten. Die Kunst Single-Berlin zu kapieren, ist so schwer wie sich beim Engtanz nicht vom Nachbarn vollschwitzen zu lassen. Also quasi unmöglich. Aber wem erzähle ich das. Zeit ein paar Regeln aufzustellen, Großstadt-Phänomene einzuordnen, alte Romantik-Zöpfe abzuschneiden und fehlkonstruierte Gefühls-Mauern niederzureißen. Und wofür? Für die Liebe! Die echte, motherfucking ewige Liebe – natürlich.

Heute erzähle ich euch von einem Un(möglichen)Kraut

Es macht sich seit einiger Zeit und vor allem im Single-Land Berlin ein beunruhigend stinkendes Gewächs breit: Die sogenannte Entscheidungsmimose. Charakteristisch sind ihre zarten, eingerollten Blätter und ihre Unfähigkeit sich auf Gefühlsböden und eigentlich auch überall sonst festzugraben, eine Meinung zu haben oder zu etwas Stellung zu beziehen. Sobald sie sich mit einer Entscheidungsfrage konfrontiert sieht, zuckt sie zusammen und macht sich klitzeklein – rollt sich ein und robbt davon. Sie wuchert überall da, wo Taten verlangt werden. „Komm, spring auf – wir fahren ans Meer!“ – hat jedenfalls noch nie eine Entscheidungsmimose jemals gesagt.

Neulich bin ich so einer Mimose begegnet. Ein unkompliziertes Wesen, offen für Neues, freundlich, aufgeregt und sensibel. Wir wurden sogar schnell lieb miteinander und säten Gefühle durch die ganze Stadt. Am Ende des Sommers zählte ich, etwas erschöpft zwar aber immer noch glücklichen Herzens, wie oft diese Pflanze schon etwas für uns bestimmt hatte und die Antwort war: nie. Mir dämmerte, ich bin zum unfreiwilligen Beziehungsleithammel geworden, hatte bis dahin jedes einzige Mal beschlossen wie unser Abendbrot, unser Sex, unsere Wochenenden, unsere Streitverläufe und unsere Versöhnungs-Playlists aussehen. Am Ende war auch ich es, die unsere Trennung in die Hand nahm.

Wo ist der Rock’n’Roll geblieben? Nur die Harten kommen in den Garten Eden, erinnert sich denn keiner?! Ich wate gern mit dir durch den Modder, solange wir das zusammen tun und mit Anlauf. „Liebe wird aus Mut gemacht“, setzt an dieser Stelle ein klebriger Nena-Song ein. Alles was ich sagen will: Ich danke dir, liebe Entscheidungsmimose, für so viel Raum zur eigenen Entfaltung, den du mir damit gibst. Das tut gut und lässt mich wachsen – macht auf Dauer aber auch furchtbar müde und irgendwie einsam. Manchmal geb ich die Gießkanne nämlich gern mal an dich ab. Also los, schalt auf Attackemodus und begeistere – mit dir! Sei spontan, seltsam, irre oder so langweilig wie du nur willst. Aber mit Überzeugung und lass mich dir nicht ständig sagen, dass du irgendwas davon sein sollst. „Ich fahr’ mit dir wohin du willst, ob ans Meer oder nur zum Falafelmann an der Ecke“, zirpst dabei schon wieder igendeine Nena-Stimme.

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17 Kommentare

  1. Cathi

    MEGA Text. Scalamari du bist heute meine Textkönigin! Und da kann es nicht mehr lange dauern bis der passende Prinz um die Ecke kommt.

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  2. Leonie Antonia

    So gut!!! Ich würde dir gern folgende Entscheidung abnehmen: deine Kolumne erscheint ab jetzt wöchentlich! 😉

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  3. Sassi

    Liebe Sarah, alles stimmt! Vor allem das „furchtbar müde und irgendwie einsam“. Und lass dir gesagt sein: Das sieht in Hamburch nicht anders aus… Kopf hoch du fabelhafte Frau und ich sage überaus gerne: „Komm, spring auf – wir fahren ans Meer!“ (auch wenn ich leider nur ein Mädchen bin…) <3

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  4. Andrea

    Die haben alle nur Angst diese schönen starken Frauen zu verlieren und etwas falsch zu machen und entscheidn dann lieber nix und sind einfach bei allem dabei.
    Ist aber auch nicht so leicht als Typ im Moment. Wenn ich die Mädels immer höre mit ihren überzogenen Erwartungen, „er soll mich überraschen und immer wieder neu gewinnen.“ Irgendwie auch nervig immer der Animateur zu sein..
    Dabei ist doch alles so einfach. Solange man zusammen und auch übereinander lachen kann und den andren nicht verändern möchte ist doch alles perfekt. Aber so einen muss man auch erstmal treffen.

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  5. blixa

    hi! ha! ho!
    scalamari du witzkanone!
    wenn auch mehr als traurig der inhalt. ich tindre seit einem monat in der weltgeschichte herum (ich sag nur 3-länder-eck) und könnte schon ein buch darüber schreiben. mei, viele männer sind halt etwas passiv und völlig perplex ob der vielen klugen, witzigen, gutaussehenden und interessanten frauen die auf diesem planeten herumschwirren – sie müssen jetzt halt ihre füße in ihre hoffentlich starken hände nehmen und ein bisschen gas geben. wird schon!

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  6. Lena

    Ich finds schön, den Ton anzugeben, aber natürlich muss die Balance stimmen….lustiger Text jedenfalls! Ich wünsch Dir, dass Du was Passendes findest männlicherseits!

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  7. Ina Nuvo

    Love is in the air! Echt lustiger Text, ich hab fast meinen Kaffee verschüttet 🙂
    Aber bei der Message hast du natürlich recht – wenn einer alleine alles entscheidet, wird´s ein bisschen fad mit der Zeit 🙂

    Liebe Grüße
    Ina Nuvo

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  8. Kat

    Scalamari, Du Geile! Welch gelungener Text. Diese Mimosen findet man auch ausserhalb der Beziehungsflora. Im Job und Bekanntenkreis sind diese mir auch schon laenger aufgefallen.

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  9. Kat

    Scalamari, Du Geile! Welch gelungener Text. Diese Mimosen findet man auch ausserhalb der Beziehungsflora. Im Job und Bekanntenkreis sind diese mir auch schon laenger aufgefallen.

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  10. Nina

    Was für ein Bombentext, inhaltlich, aber auch von der Schreibe!! <3 Ich habe schon früh feststellen müssen, dass mich Entscheidungsmimosen immer so schnell ermüden. Wie schlau der Satz von Nena eigentlich ist, das ist mir aber erst jetzt dank dir aufgefallen. Da ist schon sehr viel Wahres dran an der Sache mit dem Mut.

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  11. Nora

    Wahnsinns Text! Du findest die perfekten Worte für dieses Geschöpf. Macht sehr viel Spaß den Artikel zu lesen und du sprichst mir absolut aus der Seele. Entscheidungsmimosen sind nett, aber zerstörerisch – naja so wie Unkraut eben. Liebe Grüße.

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  12. Sabine

    Liebe Scalamari,
    vielen Dank für diesen Text!!! Du triffst den Nagel auf den Kopf, was mich aber irgendwie gleichzeitig auch noch trauriger macht. Eiskalte Wahrheit im so kalten Berlin. Ich spreche da auch aus Erfahrung. Lass uns umziehen, am besten an´s Meer. Da soll es noch echte Kerle geben, die nen Arsch in der Hose haben und nicht, sobald es ernst wird, weg laufen, oder sich an die ach so wilden freien Twens vegreifen. Poor life, nicht nur für uns.

    Liebe Grüße von einer starken, erfolgreichen aber einsamen Frau in Berlin.

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    1. Jonathan

      das liest sich bestens, ich hatte jedenfalls ein breites Grinsen im Gesicht! Eine geschätzte Bekannte hat diesen Schlag von Männern als „Honigsauger“ tituliert. Die nisten sich ein solange alles safe ist. Aber Wehe, man schreckt sie auf! Was aber auch bei den Damen zu wünschen übrig lässt, ist die erwähnte Spontanität. Ich als männlicher single vermisse genau das zu oft…laaangweilig…

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