Verliebt in Berlin – wer hätte das gedacht?

10.12.2018 Kolumne, Berlin, Leben

Berlin und ich, das war keine Liebe auf den ersten Blick. Auch keine auf den zweiten. Berlin fand ich ganz lange nicht so richtig anziehend – die Stadt war für mich eher notwendiges Übel als Traum-Zuhause. Und das war mir unangenehm. Schließlich stehen alle anderen auf Berlin, was lief bei mir falsch? Wenn Freund*innen meiner Eltern danach fragten, wie es denn in der großen Stadt laufe, und ich gerade antworten wollte („Also, gestern fuhr die S-Bahn mal wieder nicht, vor meiner Haustür ist eine riesige Baustelle…“), wurde ich von meinem Gegenüber schon unterbrochen: „Das muss toll sein! Berlin!“ Ich traute mich dann nicht, etwas anderes zu sagen als: „Ja, das ist schon eine tolle Stadt. So groß, so viele Möglichkeiten.“

Berlin? Nee, muss nicht

Das erste Mal nach Berlin kam ich mit 16, als Teilnehmerin des Jugendpressetages im Kanzleramt. Ich besuchte zahlreiche Workshops, fand eine Freundin fürs Leben und verbrachte meine Zeit hauptsächlich im Regierungsviertel, welches weder besonders ansprechend noch besonders beeindruckend war. Berlin? Nee, muss nicht. Das nächste Mal kam ich mit Anfang 20 nach Berlin, um in den Semesterferien eine meiner besten Freundinnen, eine wachechte Berlinerin, zu besuchen. Zu diesem Zeitpunkt absolvierte ich ein Praktikum in Schwerin und konnte es kaum erwarten, Meckpomm für ein Wochenende zu entkommen. Es war ein tolles Wochenende, mit Ausstellungen, Pizza und Flohmarktbesuchen. Aber so richtig beeindrucken konnte Berlin mich auch da nicht. Ganz anders meine französischen Kommiliton*innen: Die sprachen ständig von „le Kotti“ und ihren Berliner Partynächten – ich rollte genervt mit den Augen. Anfang 2012 kam ich für ein dreimonatiges Praktikum in die Hauptstadt, das letzte Praktikum, das ich für mein deutsch-französisches Doppeldiplom brauchte. Im Februar 2012 packte ich einen Koffer, zog von Frankreich nach Deutschland, von Lille nach Berlin – fast sieben Jahre später bin ich immer noch da.

Das war so nicht geplant und hätte man mir das damals so vorausgesagt, hätte ich energisch protestiert. Mein erster Berliner Winter war furchtbar. Eisig kalt, grau und unendlich. Als ich einmal nachts mit meinem damaligen Freund unterwegs war, rutschte ich aus und legte mich hin, knallte mit dem Kinn auf den Gehweg. Es tat weh, mein Unterkiefer pochte, und ich konnte plötzlich nicht mehr aufhören zu heulen. Der Sturz, er fühlte sich an wie eine Metapher auf diese ganze verdammte Stadt mit ihrem blöden Winter, ihrem blöden Grau, ihren blöden Menschen. Dabei waren die Menschen, die ich kennenlernte, gar nicht blöd: Ein paar Freund*innen aus dem Studium wohnten mittlerweile in Berlin oder waren dorthin zurückgekehrt, in der Redaktion arbeitete ich mit lustigen und interessanten Leuten zusammen. Aber die Berliner*innen an sich… oft genauso kalt wie dieser verdammte Winter.

[typedjs]Ich hatte sie schon immer gehabt, diese kleinen Berlin-Momente, in denen ich merkte, dass die Stadt doch gar nicht so furchtbar ist[/typedjs]

Auch als dann irgendwann endlich der Frühling kam, der Sommer, als klar war, dass ich erstmal bleiben würde, wurden Berlin und ich nicht warm miteinander. Es fühlte sich an, als würde diese Stadt nicht zu mir passen, als würde etwas Grundlegendes fehlen. Ich haderte damit, dass ich mich – so sah ich es – nie aktiv für Berlin entschieden hatte, sondern hier mehr oder weniger hängengeblieben war. So wie viele andere. „Naja, es gibt schlimmere Städte, um da hängenzubleiben, oder?“, sagten Bekannte. Klar. Aber eigentlich wollte ich doch nochmal weg, zurück nach Frankreich vielleicht. Berlin, das war doch nur für den Übergang, eine Zwischenstation auf dem Weg nach… ja, wohin eigentlich? Das wusste ich nicht so genau, aber was ich wusste, war: Berlin ist okay, mehr nicht. Eine Stadt, in der sich gut leben lässt, aber eben nicht meine Traumstadt.

So dachte ich sechs Jahre lang. Sechs Jahre, in denen ich in Berlin lebte, liebte, arbeitete, immer mit diesem Fragezeichen im Kopf, wohin es mich wohl als nächstes ziehen würde. Doch dann begann sich etwas zu ändern, langsam, fast unmerklich. Vielleicht war es der unglaubliche Sommer, vielleicht waren es die vielen Reisen, das ständige Unterwegssein, vielleicht waren es die vielen tollen Menschen, die ich kennenlernte, vielleicht war es auch diese grundlegende Klarheit, die sich nach und nach in mir ausbreitete. Sehr wahrscheinlich waren es verschiedene Faktoren, die langsam, ganz langsam dafür sorgten, dass bei mir etwas „Klick“ machte. Ich hatte sie schon immer gehabt, diese kleinen Berlin-Momente, in denen ich merkte,

dass die Stadt doch gar nicht so furchtbar ist: Wenn ich mit meinem Rad den Berg von Kreuzberg nach Schöneberg hinabsauste, die Hauptstraße sah und dachte „Zu Hause!“; wenn ich nach einem tollen Interview beschwingt die Straße entlanglief; wenn ich mit anderen zusammen im Park saß; wenn ich auf dem Potsdamer Platz stand und hochschaute zur Skyline. In diesem Jahr kamen viele dieser kleinen Berlin-Momente zusammen – oder vielleicht bin ich in all den Jahren einfach besser darin geworden, sie zu erkennen und zu genießen. Letztens stand ich am Ostkreuz und wartete auf die S-Bahn, es passierte nichts Besonderes, außer dass ich dachte: „Hach“. Und direkt danach: „Ähm, geht’s noch?“

Stabile Langzeitbeziehung statt amour fou

Eines habe ich 2018 verstanden: Berlin ist das, was ich draus mache. Jahrelang hatte ich das Gefühl, Berlin irgendwie falsch zu erleben. Andere schienen lauter krasse Geschichten zum Besten geben zu können, von Nächten im Berghain, Drogen, kollektivem Ausrasten. Und ich? Ich habe andere Berlin-Geschichten, weniger wilde – aber dafür sind es meine. Berlin ist in den fast sieben Jahren, die ich nun hier wohne, zu meiner Heimat geworden, einer von mehreren. Ich will immer noch mal weg, ins Ausland, für ein paar Monate. Doch mittlerweile will ich danach eben zurück nach Berlin. Denn Berlin ist die Home Base, der Ort, wo ich gut leben und arbeiten kann. Ich werde nie zu den Menschen gehören, die von Berlin schwärmen. Ich werde immer die Augen verdrehen, wenn europäische Freund*innen mir erzählen, ich wohnte in der „coolsten Stadt Europas“. Und wenn meine Mama mich danach fragt, was sich geändert hat, warum ich jetzt plötzlich doch so zufrieden in Berlin bin, dann kann ich das nicht genau sagen. Vieles in und an dieser Stadt nervt mich und manchmal möchte ich Berlin ein wütendes „Fuck you!“ entgegenschleudern. Berlin kann sich sehr einsam anfühlen, sehr oberflächlich, sehr grob. Und doch. Ich habe mich für Berlin entschieden, bewusst und gerne. Berlin und ich haben zueinander gefunden, irgendwie. Es ist kein amour fou, sondern eher eine halbwegs stabile Langzeitbeziehung. Aber die Liebe auf den ersten Blick, das ist doch sowieso ein Mythos, oder?

4 Kommentare

  1. Romy

    Toller Text & Teile spiegeln auch mein Berlin-Gefühl wieder – ganz ohne Berghain. Neben der Stadt gerade etwas verliebt in Deine Worte, Julia!

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  2. Leonie

    Wow,
    das ist toll formuliert und gedacht -und ich finde mich (überraschend) wieder in deinen Worten -obwohl ich erst nächstes Jahr nach Berlin ziehe. Aber diese Differenz zwischen Statements zu Familie& Freunden und dieser Hass-Liebe andererseits, die kenn ich bereits.
    Chapeau, Julia, und danke 🙂

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  3. Mila

    Liest sich sehr schön und berührt. Und ist für mich als absolutes Urberliner Gestein in 4. Generation eine interessante Perspektive. Auch wenn es für mich (natürlich ?) ganz anders ist: Ich liebe, liebe, liebe diese Stadt – auch jetzt noch, wo sie sich so krass verändert. Ich habe immer wieder im Ausland gelebt und bin jedes Mal zurückgekommen – hier wohnt mein Herz (so schwulstig das auch klingt). Für mich gibt’s keinen bessren Ort zum Leben. Und ich bin saufroh, dass auch meine Kinder hier aufgewachsen können – mittendrin.

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