KOLUMNE // Brauche ich ein Post-Beziehungs-Knigge?

10.12.2015 Leben

sclamari knigge kolumneWas passiert eigentlich wenn der Beziehungsdrops offiziell beidseitig aufgelutscht ist, die Scherben weggekehrt wurden und jeder wieder seine eigene Single-Suppe kocht, dabei immernoch mehr oder weniger stark aus kleinen oder großen hinterlassenen Fleischwunden am offenen Herzen blutet. Immerhin teilt man sich ja leider noch die gleiche Stadt, die gleichen Social Media Plattformen, den gleichen Freundeskreis und häufig sogar den gleichen Planeten. Ist es überhaupt möglich den guten alten „Schlussstrich“ unter das „uns“ zu ziehen – oder handelt es sich da eher um den ewigen Schlusskreis? Und geht das dann nur mit hochgezogener Mauer durchs ehemalige Liebesland? Oder kann man sich da irgendwie „arrangieren“ – und will ich das überhaupt? Mit Ende zwanzig kannst du ja schlecht im Morgengrauen mit dem Schlüssel an seinem Kia Picanto langratschen, nein, da benimmt man sich so erwachsen wie möglich. Richtig? Aber gibt es für die täglichen Post-Beziehungs-Konfrontationen eine offizielle Guideline, einen Knigge oder ein Tafelwerk woran man sich krallen und sich im Zweifel vor Gericht berufen kann? Was würde Drake tun, ist doch hier die Frage?

Ich denke manchmal, ich bräuchte dringend so ein Regelwerk. Denn mich beschlich schon mehrmals die Befürchtung, auf diesem Schlachtfeld jegliche Bildung versäumt zu haben – nichtmal Bauernschläue würde ich mir da zuschreiben. Vorgestern bin ich zum Beispiel meinen frisch gebackenen Exfreund auf Tinder begegnet – diese Situation glaubte ich fachmännisch mit Humor entkrampfen zu können: „Hej naaa, öfter hier? Was steht eigentlich in den AGB für diesen Fall?“ tippte ich in sein Fenster. Entgegen meiner Erwartungen blieb er stumm und verließ meinen Monolog mit dem „Entmatchungs-Button“ durch die Hintertür. Autsch.

Und wie verhält es sich mit Social Media? Folgt man sich da weiterhin, liked, kommentiert oder ignoriert die Alltagsbilder des Anderen mit erloschenem Herzen aber milder Menschlichkeit aka „Freundschaft“? Oder doch lieber gleich radikal alles wegblockieren, entfolgen und Schnittstellen mit wehenden Fahnen kappen (aber trotzdem weiter gucken)?

Oder Stichwort gemeinsame Stammpizzeria: Ist das jetzt Tabu da mit einem freundlichen Lückenbüßer von nebenan Burrata essen zu gehen, so wie ihr das sonst immer irre romantisch gemacht habt, oder gerade richtig angebracht um alte Erinnerungsschleifen mit neuen schönen Erlebnissen in Olivenöl zu ersaufen? Ich bin inzwischen sehr für die Überschreibernummer – denn einen heiligen Schrein für Orte, Musiken und Erinnerungen zu bauen, ruft nur unglückliches, bewegungsunfähiges Eremitenleben hervor.

Ich musste mir meine Stadt auch jedes verdammte Mal erst wieder zurückerobern. Es gab eine Zeit, in der konnte ich den Fernsehturm nicht mehr ertragen – bei seinem Anblick fing ich direkt an zu kotzen, weil er doch immer das erste war, was ich damals aus dem Schlafzimmer meiner damaligen großen Liebe sah – jeden Morgen. Und dann steht er da, der Kotzturm, vor mir am Alex, zeigt mit dem Finger auf mich und lacht wie ein ewiges Mahnmal unserer zerbrochenen Kack-Beziehung. Ich würde diesen Mast immernoch manchmal liebend gern absägen und ihm sonstwo hin rammen. Aber selbstverständlich passt das genau so wenig zu den unausgesprochenen Benimmregeln unter Exfreunden wie ihm nach vier Jahren eine Nachricht zu tippen in der steht „Hey du, stehe grade vorm Fernsehturm und musste an uns denken, weißt du noch?“.

Trotzdem, die Impulse die da ab und zu in uns hochbrodeln, finde ich berechtigt und richtig und manchmal auch ziemlich wichtig, ihnen (mit einigermaßenem Menschenverstand) nachzugehen – denn wer hat gesagt, dass man sich immer erwachsen und kontrolliert verhalten muss? Wer sagt, dass verloren hat wer sich zuerst meldet oder es ein Rückschritt auf dem Heilungsweg ist? Wer sagt, dass nicht auch Aua-Funken und Begegnungen manchmal noch ihren Sinn erfüllen können? Eben, niemand –  kein Post-Beziehungs-Knigge, kein Tafelwerk. Ich hab das damals eh nie zu benutzen gewusst. Love is a Battlefield und keine Formelsammlung.

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25 Kommentare

  1. Amelie

    Kotzturm <3
    richtig guter text, Sarah. Mit den nach-vier-Jahren-Gedanken kann ich mich allzu gut identifizieren – autsch! Aber nun, ohne Kotztürme, Kotzstädte, Kotzländer, und co wärs ja auch irgendwie langweilig, vor allem bleibt ja irgendwann auch nicht mehr viel übrig haha. Und ein großes YES zum Überschreiben!

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  2. Ana

    JA JA JA! Selbst ein weiteres Autsch, resultierend aus unkontrolliertem Verhalten, gehört halt manchmal einfach dazu – und kann so hilfreich sein den letzten Strich zu ziehen.

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  3. anvic

    Gibt kein Rezept außer das des allseitsbekannten Gericht namens „get over it“. Muss leider lange köcheln, schmeckt selten auf Anhieb lecker und aus irgendeinem Grund greift hier die oft zitierte Floskel „Übung macht den Meister“ leider irgendwie nicht.

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  4. Bina

    Hahaha! Was würde Drake tun,ist hier die Frage?! Mit diesem Post hast du meinen Tag erhellt und mich mächtig zum Schmunzeln gebracht. Auf jeden Fall die Orte behalten und mit einem Lückenbüßer füllen. Ich habe mal ein Date in eine Bar geschleppt, in der ich das erste Date mit meinem Ex hatte. Der kam witzigerweise auch mit einer neuen Schnitte da an. Haben uns beide den Ort schön-neu-gedatet und waren danach wieder zusammen. Also ich und der Ex. War trotzdem ne Kack-Beziehung, aber auch das geht vorbei!
    Liebst, Bina

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  5. mia

    ebenso in der misere. schön auch, wenn man sich nebst noch eine uni und ein benachbartes studio teilt. herrlich ist das. mit humor und freundlichkeit rannte ich bisher gegen wände. aber ignoranz als oberstes gesetz zu pflegen, nachdem man zuvor mit jubelherzen zahnbürsten und betten geteilt sowie wohnungsschlüssel getauscht hat, find ich halt richtig scheiße. problem: zum wohlgefühligen umgang gehörn halt wirklich immer zwei dazu. und mindestens einer davon wird sich immer wehren.
    solltest du ein regelwerk auftun, gib bescheid, mein liebster ex kriegt dann postwendend auch gleich eins zum bevorstehenden geburtstag und vielleicht kann man dann irgendwann wieder miteinander – irgendwie. schlimmer als so gehts nicht.

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  6. Jen

    Wie sooft kann man sich den guten alten Jazz-Standards zuwenden, wenn man Hilfe braucht:

    Schritt 1: I get along without you very well – of course I do. I’ve forgotten you just like I should
    Of course, I have. Except to hear your name. Or someone’s laugh that is the same. But I’ve forgotten you just like I should
    Schritt 2: Please don’t talk about me when I’m gone. Oh honey, though our friendship ceases from now on. And listen, if you can’t say anything real nice. It’s better not to talk at all is my advice
    Schritt 3: 1) Pick yourself up, dust yourself off and start all over again!

    Mir hat das immer geholfen. Profan gesagt ist allerdings kompletter Kontaktabbruch (inkl. nicht mehr heimlich stalken) der einfachste Weg. Pflaster schnell abreissen tut weniger weh!

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  7. Anastasia

    Wo bleiben die Knigge-Regeln? Ich könnte sie so gut gebrauchen !

    Der Post hat meinen Abend gerettet – Danke dafür!

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  8. Ifa

    „Mit Ende zwanzig kannst du ja schlecht im Morgengrauen mit dem Schlüssel an seinem Kia Picanto langratschen…“
    Hm. 🙂 Einander so gut wie es geht aus der Bahn gehn bis es nich mehr wehtut. Klappt manchmal, aber halt auch nur manchmal.

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  9. Anne

    Sehr gute Worte, schön zu lesen. Falls ich fragen darf: ist der Mister nun wieder zurück? Oder hast du zufällig ganz zackig einen neuen wunderbaren Menschen gefunden?

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