BLACK GIRL CONFESSIONS //
„WOW, HAST DU FARBE BEKOMMEN“

05.06.2017 Wir, Leben, Kolumne

Alle Jahre wieder bricht sie pünktlich zum Frühling über uns herein, diese Zeit, in der schon im Kopf die imaginären Liegen durchgegangen werden, um sie mit einem Handtuch zu besetzen und bloß nicht zu kurz zu kommen beim kollektiven Sonnenbad, beim Wettlauf um den eindeutigsten Bikiniabdruck und den dunkelsten Sommersonnen-Ton auf einer Skala von Kreide bis Kokosnuss. Wir wollen braune Haut und das am besten potzblitzschnell. Lange halten soll der Anstrich auch. Koste es, was es wolle. Die Mehrheit der westlichen Welt verlangt nach einem dunkelgoldenen Antlitz, dafür ist kein Tan Maximizer, kein Öl, kein Selbstbräuner und auch kein Solariumbesuch zu schade – aber warum? Welcher mitunter sogar unvernünftige und ungesunde Teufel reitet uns denn da? Wieso ist uns allen einmal im Jahr schlagartig nach einem knusprigen Sommerteint zumute? Und warum spiele ich da eigentlich mit?

Ich fange einfach mal bei mir selbst an. Ich selbst betrachte mich nämlich als Afrodeutsche. Also als schwarze Frau. Weil das für mich weniger mit meiner tatsächlichen Hautfarbe (die farblich gar nicht schwarz ist), sondern mit einer Zugehörigkeit, mit einem sich mit einer Gruppe identifizieren zu tun hat. Ich bin, wenn man so will, quasi eine weiße Schwarze. Und jeden Sommer plagt es auch mich aufs Neue: Och nö, ich bin ja so blass, du bist ja schon so braun, oh – in der Drogerie gibt es ein neues Sonnenöl mit LSF 15, nehm ich mal mit. Ab Anfang April haue ich mich ernsthaft bei jeder noch so kleinen Gelegenheit in die pralle Sonne und hoffe mit jedem Tag auf eine noch intensivere Bräune. Was ist da los?

Nachdem eine edle Blässe und nahezu weiße Haut früher als Schönheitsideal und Zeichen von Wohlstand galten (sonnengegerbte Haut war den Arbeitern und Bauern überlassen), strömen die Menschen nun schon seit mehr als in 100 Jahren in Sommerbäder oder auf den Parkrasen, um den Sonnengott anzubeten. Ganz aufs Wesentliche herunter gebrochen ist das pralle Bräunen an sich ja aber schon irgendwie verkehrt, im Sinne von schlecht, also ungesund. Egal, es geht ja ums Äußerliche. Wer gebräunt ist, schaut gesund aus, erholt auch und vor allem nach all dem, wonach wir uns sehnen – nach Urlaub und Sonnenstunden und Sommer und Leichtigkeit. Mit den Privilegien ändern sich also auch Ideale. Ist es so einfach? Für viele schon, für mich aber nicht ganz.

Schon ganz früh habe ich doch eigentlich gelernt, dass meine dunklere Hautfarbe ein Nachteil ist und in der Geschichte ja auch schon einer immer war. Ich weiß es also eigentlich besser, auch, weil ich Erfahrungen mache, die mir genau das auf die Nase binden, immer wieder. Ich verstehe, wie es sich anfühlt, von Natur aus ein kleines bisschen dunkler zu sein als die breite Masse um einen herum – oder sich zumindest ein kleines bisschen anders zu fühlen. Und dennoch: Wer weiß ist, der will braun sein – je doller desto besser. Das ist längst kein Trend mehr, sondern ein Phänomen. Ein uraltes westliches, wenn man genau sein will. Ein Ritual. Eines, das doch irgendwie ein wenig sonderbar ist.

Kommentare über meine eigene Hautfarbe höre ich super oft: Du wirst sicherlich schnell braun oder deine Hautfarbe hätte ich gern, Eigentlich ganz lieb gemeint, aber hin und wieder bleibt ein bitterer Beigeschmack. Ob mein Gegenüber überhaupt weiß, was es bedeutet, sich eine andere Hautfarbe zu wünschen? Denn nun könnte man ja beides gegenüber stellen: Die Gier nach dunkler Haut auf der einen Seite und die eine ernst gemeinte Frage auf der anderen: Wer will wirklich dunkle Haut haben und demnach einer anderen ethnischen Gruppe angehören, wer will nicht mehr weiß sein, sondern schwarz und das für immer? Würde sich das tatsächlich jemand wünschen? Nee, ganz bestimmt nicht. Und natürlich geht es darum auch nicht. Aber dieser radikale Vergleich muss vielleicht sein sein, um mein Anliegen deutlich zu machen. Oder vielmehr die Fragen, die ich mir stelle.

(Anonymous Street Artist, 2012)

Ich muss mich jetzt kurz weit aus dem Fenster lehnen, ohne mich dabei klar positionieren zu können, denn ich will wirklich und wahrhaftig niemandem etwas Böses unterstellen. Fakt ist aber, dass körperliche Merkmale wie extrem lockiges Haar, volle Lippen oder eben dunkle bis sehr dunkle Hautfarben in der Vergangenheit und auch heute noch solche sind, die grundsätzlich nicht den westlichen Schönheitsidealen entsprechen und in westlichen Sphären noch immer wenig bis gar nicht repräsentiert werden. Und dann kommen plötzlich Leute daher und beschließen, dass ein ganz bestimmtes Feature im angemessenem Maße auch für weiße Europäerinnen schön und sogar begehrenswert sein sollte. Und dann strahlen sie einem entgegen, die braun gebrannten Schönheiten auf ihren Bikini-Plakaten. Und das, obwohl exakt die gleiche Hautfarbe für viele People of Colour einen echten Nachteil darstellt. Nur, weil sie eben mit genau dieser Hautfarbe geboren wurden und sich nicht bloß bewusst für sie entschieden haben. Dann gibt es also Tan Maximizer, die „Dark Chocolat“ heißen, oder „Caramel“. Und auf einmal fühle ich mich ganz schön spitzfindig und verletzt zugleich.

In so einem Fall aber von kultureller Aneignung zu sprechen oder gar zu behaupten, mit besagtem Thema würde hierzulande falsch umgegangen werden, geht für meinen Geschmack ein bisschen zu weit. Und trotzdem begebe ich mich immer wieder in einen Spagat zwischen eigenen mulmigen Gefühlen und der Vermutung, es mit meinen ausführlichen Gedanken über die Sommerbräune ein wenig zu übertreiben. Wahrscheinlich werde ich am Wochenende ohnehin wieder wieder die Erste am See sein, die sich mit Sonnennöl einschmiert, aller Vernunft und Skepsis zum Trotz, so viel Ehrlichkeit muss sein. In dem Moment, indem wir alle unsere Arme nebeneinander halten werden, um zum Vergleich anzurücken, werde ich mich trotzdem wieder über mich selbst und uns und alle wundern. 

Was ist das mit dem Bräunen?
Ist es richtig, ist es falsch? Ist es egal?
Und warum machen wir da mit?

6 Kommentare

  1. Laura

    Spannender Artikel, lieben Dank dafür, dass du uns an deinen Gedanken teilhaben lässt… auch und gerade wenn manche noch mit einem Fragezeichen.

    Schön, dass es solche Artikel hier gibt!

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  2. Sandra

    Um das reine Sonnenanbeten mal poetisch zu erklären. Ich selbst betrachte eine leichte Sommerbräune und meine Sommersprossen als ein kleines Souvenir der Jahreszeit. Dem wunderschönen Sommertag am See. Nächtliches Radfahren im Tshirt. Und auch als Tanken von Leichtigkeit. Lichtakkus aufladen für die grauen kalten Tage.
    Und so schau ich immer ziemlich wehmütig in den Spiegel, wenn ab Anfang Oktober die Sprossen immer mehr verblassen.

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  3. Jamina

    Ach ich dachte schon ich bin die einzige, die sich solche Gedanken macht wenn jemand sagt ,,deine Hautfarbe hätte ich gern“.
    Ich habe eine Freundin. Sehr weiß, sehr blond, blass, aber absolut dem Schönheitsideal entsprechend. Die erzählte mir mal sie würde sich wünschen meine Haut zu haben und ihr Kind hätte sie auch gerne in schwarz. Und ich frage mich: Sicher, dass du das willst? Ich schreie es vielleicht nicht herum, aber es ist anstrengend. Es ist anstrengend schwarz zu sein, es ist anstrengend anders zu sein.

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  4. Suzie

    Mir fiel gleich der Film „Get out“ ein. Der farbige Freund trifft die aufgeschlossenen, gebildeten Eltern seiner weißen Freundin. Alles sind wahnsinnig nett, freundlich, machen Komplimente – und die Komplimente sind rassistischer als jedes „böse“ gemeinte Wort.
    Und zum bräunen & zum Wunsch der dunkleren Hautfarbe: es wird halt als exotisch & etwas besonderes verkauft. Und – nun ja, es will ja jeder irgendwie besonders sein…

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  5. Tanya

    Jaja, alle wünschen sich eine schöne bräune. Doch nur während der warmen Sommermonate, danach siehts wieder anders aus. Ich als „Mixed-Girl“ habe mich sehr über deinen Artikel gefreut. Dieses Thema kommt leider kaum zur Sprache, sei es im Freundeskreis oder in den Medien. Deshalb: Toller Artikel – wichtiges Thema – bitte mehr davon!!

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  6. Sophie

    Toll! Als weiße Deutsche sollte man mehr reflektieren, was man so unüberlegt herauströtet. Warum gibt es hier eigentlich noch keine Beauty-Posts für krause Haare und dunkle Hauttöne? Mich würde das auch interessieren…

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