Was ist feminin? – Von maskuliner Weiblichkeit inklusive Stimmbruch

Als ich gerade 15 Jahre alt war, hatten alle einen Freund. Nur ich, ich hatte keinen. Und daran geglaubt habe ich auch nicht. Dass da überhaupt irgendwann mal etwas passieren würde. Dass da einer kommen könnte, der mich so mag, wie ich bin. Und wie das nunmal so ist, in der Blüte der Pubertät und am Rande der Verzweiflung mit allen großen und kleinen Sorgen des Alltags, waren da noch allerhand anderer Dinge, die das Selbstbewusstsein schmälerten, den eigenen Körper infrage stellten und das noch so junge Selbst dazu brachten, sich mehr denn je mit seinen Freundinnen zu vergleichen. Brüste, die einfach nicht so aussehen mochten wie jene der Victoria’s Secret Models zum Beispiel. Haare an Körperpartien, die man da absolut nicht haben wollte und ja, ein Stimmbruch. Aber huch? Passt Letzteres in die Riege der weiblichen Errungenschaften auf dem Weg ins Erwachsenwerden? In meiner Lebenswelt ja, begleitet von wenig geschätzten Nebenerscheinungen, wie dem Kampf für eine ganz persönliche und individuelle Weiblichkeit, die es in dem Maße erst einmal galt, verstehen zu lernen. Vor allem, wenn es bei einem Selbst ein Stück weit anders verläuft, als bei „den anderen“.  Aber zurück zum Anfang. Und ganz langsam.

Vor gar nicht langer Zeit schrieb ich bereits über das Phänomen der Angry Black Women. Und als ich da so schrieb und vieles reflektierte, was mir einst selbst zugestoßen oder passiert war und noch heute meine Lebensrealität bestimmt, passierte etwas in meinem Oberstübchen, das bis heute nachhallt, mich unglaublich viel gelehrt hat und mein Verständnis von Femininität noch immer maßgeblich bestimmt. Fraulichkeit also. Weiblichkeit. Sozial auferlegte Richtlinien und Normen, unter denen Frauen nicht nur regelmäßig ihre Identität als solche unter Beweis stellen müssen, sondern die für mich auch andauernd ein niemals erfüllbarer Maßstab sind, an dem ich mich, auch wenn ich es so viel besser weiß, insgeheim messen will und nicht selten sogar muss.

Alles nur, um eine im Grunde unerreichbare Art von Glückseligkeit zu erreichen, die einzig in meinem Kopf existiert. Manifestiert hat sich als Idealbild eine zierliche Gestalt mit schmalen Schultern und runden, perfekten Brüsten, einer hohe Stimme und dieses sanfte und angenehme Gebaren, begleitet von langem Haar, kleinen Füßen und vielen Kleidern im Schrank. Nichts Neues, ist klar. „Bist du ein Junge oder ein Mädchen?“, wurde ich als Kind schon so unheimlich oft gefragt, dass die Konfrontation mit ebendieser Frage später als Teenager zwar nicht sehr überraschend, dafür aber jedes Mal ein doppelter Stich ins Herz war.

Im Stimmbruch war ich mindestens ein Jahr lang. Ich krächzte nur so vor mich hin, konnte weder singen noch lange Reden schwingen, bekam dann immer wieder und bis heute ein paar dicke schwarze am Kinn. Bis zum heutigen Tage trage ich außerdem Schultern mit mir umher, die denen meiner männlichen Freunde in Sachen Breite in nichts nachstehen. Und während wir heute so viel über Gender reden und gegebene Normen neu denken und leben wollen, stellt sich für mich die Frage, ob ich denn eigentlich selbst damit aufhören kann, mich für die Norm, die ich nicht erfülle, zu zieren. Ich sehe im Spiegel noch immer die subjektiv zu breit geratene Silhouette oder schäme mich gelegentlich für meine Stimme, wenn mich am Telefon mal wieder jemand mit Herr Sand anspricht.

Kindliche Hänseleien sind in meinem Fall mit Mitte zwanzig vergeben und vergessen. Schwanmm drüber, wir alle lernen dazu. Irgendwann fiel es mir sogar etwas leichter, mich zu mögen, weil mich eben auch andere mochten. Mein Freund zum Beispiel. Ein unerwünschtes Barthaar lässt sich inzwischen schnell und beinahe unkommentiert ausrupfen – ohne großes Drama. Was allerdings bleibt, ist diese gigantische gesellschaftliche Vorgabe, die großen Frauen ebenso wie solchen, die dick sind oder besonders stark sind, auferlegt wird: 

Nämlich die gesellschaftliche Verknüpfung von Femininität und Zartheit, von Weiblichkeit mit Sanftheit oder gar Schwäche, die es ja grundsätzlich in vielerlei Hinsicht zu hinterfragen gilt, die ich aber, und so ehrlich muss ich an dieser Stelle sein, in manchen Lebensbereichen noch nicht einmal selbst ablegen kann, weshalb ich mir jedes Mal wünsche, ich könne anders. Ich wäre freier. Und gänzlich ohne diese Zweifel, Erwartungen und Rollenbilder im Kopf. Fakt ist aber, dass die immer wiederkehrende Aberkennung meiner Weiblichkeit, oftmals durch Dritte, unheimlich schmerzt. Ich fühle mich nämlich sehr wohl weiblich, auf meine ganz eigene Art und Weise.

Dass mein Partner größer sein muss als ich, schwerer auch und stärker, und dass mir das irgendwie wichtig ist, genau wie das, was bloß die Leute denken könnten, wenn ich auf einem Bild mal etwas höher gewachsen aussehe als er – das ist einfach da, aber ich arbeite dran. Denn mit der rauchigen Stimme lebt es sich mittlerweile schon recht gut, das sei ebenfalls gesagt. Und auch damit, dass sich meine Freundinnen heute rege mit mir gemeinsam über unerwünschte Körperhaare austauschen,  damit, dass es mal hier, mal da zwickt und mal mehr, mal weniger nervt. Es ist nicht schön, dass mich diese Härchen gelegentlich noch ein bisschen mehr nerven, weil mir obenrum die Wallemähne fehlt, um meine Weiblichkeit auf offener Straße zu demonstrieren, so in klassischer und veraltetenr aber doch noch funktionierender Klischee-Manier eben. Aber meistens stehe ich heute ganz einfach drüber. In solchen Momenten mag ich es sogar, dass bei mir die Dinge entgegen irgendwelcher auferlegten Erwartungen funktionieren.

Denn genau diese Freiheit wünsche ich mir für alle. Trotz allem, was es heute noch zu beanstanden gibt, in feministischer Hinsicht, bin ich heute, eben nicht mehr 15 Jahre alt, glücklicher denn je darüber, dass das Nonkonforme eben auch Spaß machen kann und darf. Und darüber, dass viele von uns längst aufgehört haben, mit anderen um ihre Identität streitend ins Gericht zu gehen. Während ich mich nur noch selten rechtfertigen oder anderen gar erklären muss, wieso meine Stimme denn nun so tief klingt, geht es jetzt vor allem darum, mich selbst weiter zu öffnen – für eine neue Definition von Weiblichkeit etwa. Würden mehr Menschen dabei mitmachen, und auch die Medien, die Filme und Bilder in den Magazinen, dann fiele es Frauen wie mir sicher noch ein bisschen leichter. Leicht ist dieses Freisein nämlich noch immer nicht. Es gibt sie, die schwachen Momente. Aber auch in denen will ich künftig stark sein. Nicht nur für mich. Sondern auch für all die anderen, die noch ganz am Anfang ihrer Reise zu sich selbst stehen.

5 Kommentare

  1. Josephine

    Danke für diesen wunderbaren Artikel. Ich kenne diese Gedanken, die den eigenen Körper an diesem „zierlich, verspielt, langhaarig, dünn, süß“ Ideal messen nur zu gut. Sie sind leiser geworden mit den Jahren, als Reaktion auf die Auseinandersetzung mit Feminismus, mit der Frage woher meine Definiton von Schönheit kommt, mit alternativen Vorbildern. Und trotzdem sind sie da- und erschrecken mich vorallem an grauen Tagen ganz schön.
    Was ich jedoch wunderbar an mir selber feststellen konnte- umso mehr ich meine Schönheitsbegriff erweitere, umso schöner wird meine Umgebung, umso wunderbarer nehme ich Menschen als Individuen wahr. Und umso wenig bleibt mein Blick an vermeitlichen „perfektem“ hängen.

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  2. Sara

    Vielen Dank für den wunderbaren Artikel.
    Ich versuche immer wieder meine Definition von Schönheit zu hinterfragen und mein Bild von Schönheit zu erweitern.
    Doch was mir in meiner Umgebung so leicht fällt und überall Schönheit zu sehen, ist an einem selbst oft das härteste. Viel zu oft vergleiche ich mich mit dem „Perfekten“ und stelle dies über meinen eigenen Körper. An manchen Tagen mehr und an anderen weniger.
    Aber es geht in die richtige Richtung.

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