Buchtipps: Die Frauen der griechischen Mythologie. Diese Bücher widmen sich den Heldinnen der Zeit.

07.10.2019 Buch, box2

Als junges Mädchen fand ich kaum etwas spannender als die griechischen Mythen. Als meine Mutter mir eines Tages die gesammelten griechischen Sagen in einer schönen Reclam-Ausgabe schenkte, fiel ich ihr um den Hals. Was mir damals nicht auffiel war, dass diese Sagen hauptsächlich von Männern handeln: Männer ziehen in die Welt hinaus und in den Krieg, sie bekämpfen Monster und vollbringen andere Heldentaten. Frauen sind in der griechischen Mythologie entweder Göttinnen und damit im wahrsten Sinne des Wortes allem Irdischen entrückt, auf die Rückkehr ihrer Männer wartende Ehefrauen, schöne Helferinnen, Musen, Mörderinnen. Manchmal auch alles zusammen. So gibt es in den griechischen Mythen zwar diverse Frauenfiguren, aber sie stehen nie im Zentrum des Geschehens. Ihre Stimmen werden von denen der männlichen Figuren und Erzähler überlagert, überdeckt. Gleich mehrere Autorinnen haben es sich nun zum Ziel gemacht, diese weiblichen Stimmen freizulegen und hörbar zu machen. Sie lassen die Zauberin Circe lebendig werden, die Sklavin Briseis, sie erzählen den Trojanischen Krieg und dessen Auswirkungen aus Sicht der Frauen. Die griechischen Mythen werden für immer einen Ehrenplatz in meinem Regal haben – aber diese Bücher sind nicht nur eine gute, sondern eine notwendige Ergänzung dazu.

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Madeline Miller: Circe (dt. Ich bin Circe)

Circe (oder auch: Kirke) ist die Tochter des Sonnengotts Helios und der Nymphe Perse – und doch ist sie irgendwie anders. Nicht nur fühlt sie sich in der Gesellschaft der Sterblichen wohler als bei ihrer göttlichen Verwandtschaft, sie versteht auch das Lieben und Leiden der Menschen. Noch schlimmer: Circes Stimme klingt wie die einer Sterblichen, brüchig und schwach. Wegen ihres aufrührerischen und unabhängigen Charakters auf eine einsame Insel verbannt, entdeckt Circe die Magie und wird zu einer mächtigen Zauberin. Sie lebt im Einklang mit der Natur, mit Tieren und Pflanzen. Doch immer wieder wird sie in Ereignisse hineingezogen, begegnet Odysseus und Medea, erlebt Liebe, Leidenschaft, Freundschaft, Angst und Sehnsucht. Am Ende muss Circe sich entscheiden: Will sie göttlich sein – oder menschlich?

Mit Circe hat sich US-Autorin Madeline Miller eine der weniger bekannten Frauenfiguren der griechischen Mythen vorgenommen. Sie macht aus der Zauberin, die Odysseus‚ Männer in Schweine verwandelte, eine komplexe und faszinierende Persönlichkeit, mit eigenen Sehnsüchten und Ängsten.

[typedjs]For me, there was nothing. I would go on through the countless millennia, while everyone I met ran through my fingers and I was left with only those who were like me. The Olympians and Titans. My sister and brothers. My father.[/typedjs]

Pat Barker: The Silence of the Girls

Der Krieg um Troia, der Krieg zwischen zwei Völkern, er ist ein Krieg der Männer. Ein Krieg, der vorgeblich durch eine Frau ausgelöst wurde: Helena, die von Prinz Paris ihrem Mann Menelaos geraubt und nach Troia gebracht wurde. Auch um eine andere Frau gibt es Streit: Briseis, als Kriegsbeute erst Achilles, dann Agamemnon zugesprochen. Die britische Autorin Pat Barker erzählt die Ereignisse aus Briseis‘ Sicht The Silence of the Girls: Bevor ihre Stadt eingenommen und zerstört wurde, war Briseis eine Königin. Jetzt ist sie Achilles‘ Sklavin, Sklavin des Mannes, der ihre Familie umgebracht hat. Sie ist traumatisiert und traurig, gefangen in einer Welt der Männer – und doch entschlossen, ihre Geschichte selbst zu schreiben, zur Erzählerin ihres Lebens zu werden.

[typedjs]My only real duty was to wait on Achilles and his captains at dinner. So I was on public view – not even veiled – every night, and that shocked me because I’d been used to leading a secluded life, away from the gaze of men. At first, I couldn’t understand why he wanted me there, but then I remembered I was his prize of honour, his reward for killing sixty men in one day, so of course he wanted to show me off to his guests. Nobody wins a trophy and hides it at the back of a cupboard. You want it where it can be seen, so that other men will envy you.[/typedjs]

Natalie Haynes: A Thousand Ships

Der Krieg ist vorbei, am Ende siegen die Griechen, es fällt Troia. Und dann? Natalie Haynes lässt die Frauen, Griechinnen und Troianerinnen, zu Wort kommen. Frauen, die Männer und Kinder, die alles verloren haben, Frauen, die nun Sklavinnen sind, Frauen, die auf Rache sinnen. Ehefrauen, Mütter, Seherinnen, Musen, Göttinnen. Da ist Penelope, die zunehmend verärgerte Briefe an ihren Mann Odysseus schreibt. Da ist Klytaimnestra, die den Mord an Agamemnon plant. Da ist Andromache, deren kleiner Sohn von der Stadtmauer geworfen wurde. Da ist Gaia, die unter dem Gewicht der vielen vielen Menschen ächzt. Die Geschichte vom troianischen Krieg wird so zu einer Geschichte der Frauen, eine Geschichte, in der Vergangenheit und Zukunft, das individuelle und kollektive Schicksal miteinander verwoben werden.

Natalie Haynes: A Thousand Ships

[typedjs]If he tells me to sing one more time, I think I might bite him. The presumption of these men is extraordinary. Does he believe I have nothing else to do with my time than sit around being his muse? His. When did poets forget that they serve the muses, and not the other way around?[/typedjs]

Christa Wolf: Kassandra und Medea. Stimmen

Dass gleich drei aktuelle Bücher, geschrieben von Frauen, griechische Mythen aus weiblicher Sicht erzählen, mag neu sein – die Idee an sich ist es nicht. Christa Wolfs Erzählung Kassandra erschien bereits 1983 und konzentriert sich, wie der Name sagt, auf die Seherin Kassandra. Nach Ende des Kriegs wird sie, eine troianische Prinzessin, als Sklavin dem Herrscher Agamemnon zugesprochen. Kassandra weiß bereits, dass sie am Ende der Reise nach Griechenland sterben wird. Sie lässt ihr Leben Revue passieren – ein Leben, das stets ein Ringen um Autonomie und Gehörtwerden war.

Christa Wolf: Kassandra.

[typedjs]Das habe ich lange nicht begriffen: dass nicht alle sehen konnten, was ich sah. Dass sie die nackte bedeutungslose Gestalt der Ereignisse nicht wahrnahmen. Ich dachte, sie hielten mich zum Narren. Aber sie glaubten sich ja.[/typedjs]

Nach Kassandra widmete sich Christa Wolf 1996 einer weiteren mythischen Frauenfigur: Medea. Aus ihrer Heimat Kolchis folgt Medea ihrem Mann, dem Argonauten Jason, nach Korinth und gerät dort in ein Spiel aus Verleumdungen, Macht, Intrigen und Lügen. Am Ende steht sie als Kindsmörderin und Barbarin da. Wolf erzählt die Geschichte der Medea stattdessen als Geschichte einer ungewöhnlichen Frau, die zum Spielball mächtiger Männerinteressen wurde.

Christa Wolf: Medea. Stimmen.

Marion Zimmer Bradley: Die Feuer von Troia

Ebenfalls schon etwas älter ist Marion Zimmer Bradleys Die Feuer von Troja, das 1993 erschien und, wie Christa Wolfs Kassandra, das Leben der verfluchten Seherin imaginiert. Der Gott Apollo verliebt sich in Kassandra und verleiht ihr als Zeichen seiner Gunst die Gabe, in die Zukunft zu sehen. Doch Kassandra wehrt sich gegen die Avancen des Gotts – und wird von ihm verflucht. Ihre Gabe behält sie, doch nun glaubt Kassandra niemand mehr, wenn sie vor einem nahenden Krieg warnt. Marion Zimmer Bradley gestaltet Kassandra als eigensinnige, kluge Frau, die ihr Leben nach eigenen Maßstäben und Regeln leben möchte. Autonom, frei, unabhängig. Und die deshalb den Zorn eines Gottes auf sich zieht.

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