GIRLS TALK // Thinx „Period Underwear“ – ein feministisches Unternehmen, das frauenfeindlich agiert?

29.03.2017 Feminismus

Unterhosen, die Menstruationsblut einfach aufsaugen: Das ist die Idee hinter Thinx – ein Unternehmen, das auf feministische Botschaften und empowernde Haltung setzt. Jetzt stellt sich heraus, dass die Arbeitsverhältnisse bei Thinx alles andere als frauenfreundlich sind.

Das Ganze klingt wie ein modernes Märchen: Junge Frau hat eine bahnbrechende Idee, junge Frau gründet ihr eigenes Unternehmen, junge Frau verbessert mit der bahnbrechenden Idee das Leben von Mädchen und Frauen weltweit. So in etwa lautet die Geschichte von Thinx, dem US-Unternehmen, das sogenannte „period underwear“ herstellt – also saugfeste Unterwäsche, die Tampons und Binden überflüssig machen soll. Gegründet wurde es 2015 von Miki Agrawal, die seitdem als feministisches Vorbild gilt. Agrawal verbreitet ihre empowernden Botschaften auf Konferenzen und in Interviews: Die Menstruation ist nichts, wofür man sich schämen muss! Neben Unterhosen stellt Thinx mittlerweile auch Bio-Tampons und wiederverwendbare Tampon-Einführhilfen her und hat eine Partnerschaft mit dem ugandischen Unternehmen Afripads etabliert: Dieses produziert wiederverwendbare Binden und verteilt sie an die dortigen Mädchen und Frauen. So weit, so inspirierend.

Doch offenbar ist Thinx nicht ganz das feministische Traumunternehmen, als welches Agrawal es darstellt. Ja, Thinx will das Leben von Mädchen und Frauen weltweit verbessern – das der eigenen (überwiegend weiblichen) Angestellten aber eher nicht. In den letzten Tagen sind mehrere Thinx-Angestellte an die Öffentlichkeit gegangen: Sie berichten von einem vergifteten Arbeitsumfeld und einer Chefin, die ihren Teil dazu beiträgt. Eine Angestellte erinnert sich: „Es war wirklich wie in einer Missbrauchs-Beziehung. Und ich benutze diesen Vergleich nicht leichtfertig… (…) Jeden Morgen aufzuwachen und nicht zu wissen, wie du an diesem Tag behandelt werden wirst, das ist wirklich ziemlich schrecklich.“

Und auch sonst ist das Arbeitsumfeld bei Thinx nicht unbedingt das, was man „arbeitnehmerfreundlich“ nennen könnte. Die vom Unternehmen vorgeschlagene Krankenversicherung ist teuer, so etwas wie Mutterschaftsurlaub existierte bis vor kurzem nicht. Hinzu kommen schlechte Bezahlung und schlechtes Personalmanagement. Wer sich beschwert, wird eben gefeuert. Die Vorwürfe stehen schon länger im Raum und im Februar 2017 wurde publik, dass Miki Agrawal nicht mehr CEO des von ihr gegründeten Unternehmens ist – Agrawal selbst betont, immer noch „SHE-EO“ zu sein und für Thinx zu arbeiten. Auf die Vorwürfe antwortete sie in einem Blogpost auf Medium: Es habe eben niemanden gegeben, der sich um das Personalmanagement gekümmert habe. Thinx sei ein schnell wachsendes Start-up und Dinge wie Mutterschaftsurlaub seien da einfach in den Hintergrund geraten. Die ganze Kontroverse nennt sie „eine Gelegenheit, zu lernen und zu wachsen.“ Also alles kein großes Ding, oder?

Passen Feminismus und Konsum doch zusammen?

Oder eben doch. Eine ehemalige Thinx-Angestellte hat nun bei der New Yorker Kommission für Menschenrechte eine Klage gegen Agrawal eingereicht – wegen sexueller Belästigung. Agrawal soll die Brüste ihrer Angestellten angegrapscht, vor ihr und anderen Angestellten ausführlich ihr Sexleben diskutiert und mit ihnen per Face Time gesprochen haben, während sie auf der Toilette saß oder nackt im Bett lag. Zahlreiche Angestellte haben in den letzten Monaten das Unternehmen verlassen. Gegenüber Racked, Jezebel und dem New York-Magazin berichteten sie von einem Klima der Angst, in dem sie sich nicht getraut hätten, ihre Meinung zu sagen oder sich zu beschweren. Und: Sie waren von ihrer Arbeit überzeugt, sie wollten Thinx und dessen Mission unterstützen. Schließlich ging es um so etwas Wichtiges: Das Stigma rund um Menstruation aufzubrechen, mit frechen Kampagnen und tollen Produkten.

Der Widerspruch zwischen der feministischen Haltung, die Thinx und insbesondere Miki Agrawal vertritt, und der Arbeitsrealität im Unternehmen könnte nicht größer sein. Thinx präsentiert sich selbst als frauenfreundliches Unternehmen, das es anders macht als die typischen von Männern geführten Start-ups. Agrawal gilt als mutige Pionierin, die zeigt: Feminismus und Konsum passen sehr wohl zusammen. Der Erfolg gab ihr Recht: Thinx-Produkte kommen gut an, das Unternehmen erhält jede Menge Aufmerksamkeit. Doch zu welchem Preis? Der Fall Agrawal erinnert an den von Sophia Amoruso, die als Gründerin von Nasty Gal eine ähnliche empowernd-feministische Haltung vertrat – und deren Geschäftspraxis ebenfalls nicht mit dieser Haltung übereinstimmte. Amoruso soll Angestellte schlecht behandelt und drei Angestellte kurz vor oder während ihres Mutterschaftsurlaubs gefeuert haben. Geschadet hat es ihr nicht: Ihr Buch #Girlboss ist ein Bestseller und demnächst startet die gleichnamige Serie auf Netflix.

Gegenentwurf zu den typischen „tech bros“

Sowohl Amoruso als auch Agrawal haben ihre Marken auf einer bestimmten Form des Feminismus‘ aufgebaut, dem Verbraucher*innen- oder Marktplatz-Feminismus. Feminismus ist dort vor allem ein Tool, um Produkte zu verkaufen. Das Versprechen: Der Erwerb der Produkte ist an sich schon eine feministische Handlung, weil schließlich ein von Frauen geführtes Unternehmen sowie empowernde Botschaften dahinter stehen. Amoruso und Agrawal sind Frauen, denen man automatisch die Daumen drücken will – sie sind jung, ambitioniert, charismatisch und setzen sich für feministische Angelegenheiten ein. Sie bieten einen Gegenentwurf zu den ganzen „tech bros“, die üblicherweise Start-ups leiten und die Unternehmenskultur bestimmen. Doch dann stellt sich heraus, dass Feminismus für diese jungen Frauen nicht viel mehr als ein Marketinginstrument ist. In einem Porträt von Miki Agrawal im New York-Magazine heißt es denn auch, Agrawal habe sich selbst nicht als Feministin gesehen, bis sie ihr Unternehmen gründete: „Jedes Mal, wenn ich an das Wort Feministin dachte, dachte ich an ein wütendes, zeterndes… Mädchen. (…) Was ich meinem Team jeden Tag sage ist, dass wir zugänglich sein müssen. Wir müssen eine Brücke bilden zu einer Neudefinition davon, was Feminismus ist (…).“ Sprich, Feminismus ist eigentlich irgendwie uncool und nervig, aber wenn man ihn neu „brandet“ kann er ganz schön nützlich sein. An anderer Stelle schreibt die Journalistin über Agrawal: „Sie ist ein tech bro – nur dass sie eine Frau ist, die Unterwäsche verkaufen will.“

Frauen wie Miki Agrawal und Sophia Amoruso haben vielleicht eins nicht begriffen: Dass sie, indem sie Feminismus als Marketingstrategie nutzen, damit rechnen müssen, selber nach feministischen Maßstäben beurteilt zu werden. Es wird von ihnen erwartet, dass sie ihren eigenen Idealen gerecht werden. Natürlich kann man darüber diskutieren, wie fair oder unfair das Ganze ist, darüber, ob die Erwartungen an Unternehmerinnen generell höher sind als an Unternehmer, ob sie sich mehr beweisen müssen. Das ändert aber nichts daran, dass Feminismus mehr ist und mehr sein sollte als ein bloßes Mittel zum Zweck. Da können die Produkte noch so toll, die Geschichte dahinter noch so inspirierend sein.

3 Kommentare

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  2. Anna

    Liebste Janes,
    Toll, dass ihr das Thema aufgreift und so ausführlich dargestellt habt.

    Ich lasse selten kritische, oder nennen wir’s eher „unwohle“ Gedanken da.
    Diesmal möchte ich aber Anmerken, dass ich ein wenig meine Probleme damit habe, nicht dass, sondern wie zum Großteil über den Fall Nasty Gal und nun auch Thinkkx gesprochen wird. Geht es um Angestellten Rechte in unserer eigenen Seifenblase schreien alle Feministinnen plötzlich auf. Dass aber Mode die sich als feministisch betitelt, sei’s Slogans, Fotoästhetik, Body Positivity, undunund, generell ein ganz tiefliegendes Problem mit Frauenrechten in der längeren Produktionskette und entsprechend auch mit einem intersektionalen Feminismus hat, das wird dabei gerne übersehen.

    Ich hab auf die Schnelle von euch zum Thema nichts finden können – wie ich euch kenne, habt ihr sicher auch dazu schon mal geschrieben. Ansonsten leg ich ganz doll den Text von Lamia Arslan und Caren Miesenberger ans Herz, der vor kurzem auf Trust the Girls erschienen ist: http://trustthegirls.org/2017/03/angezogen-und-angelogen/

    Wie gesagt: Schön, das ihr berichtet. <3 Aber vielleicht, wenn ihr schon "nach einem feministischen Unternehmen, das frauenfeindlich agiert" fragt, dann auch mit einem kleinen Fingerzeig in jene andere Richtung der Produktionskette?

    Viele Dank für eure tollen Texte, jeden Tag auf's Neue! Anna

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