Meinung // Darum sollten sich große Beauty-Brands für mehr „Body Positivity“ einsetzen

Auf Instagram findet man unter #bodypositive mittlerweile zehn Millionen Einträge. Zudem haben sich der Bewegung bedeutende Celebrity-Befürworter angeschlossen, genauso wie einige Beauty-Marken, deren Produkte dadurch zum Verkaufsschlager wurden. Wir versuchen herauszufinden, warum so viele große Beauty-Marken trotz allem weiterhin an veralteten Idealen festhalten.

Alle Bilder im Artikel © Monki Underwear 2019

Body Positivity sollte mehr als nur eine Bewegung sein

Im Augenblick findet man auf Instagram zehn Millionen Einträge unter dem Hashtag #bodypositive. Zudem gibt es eine ganze Reihe an Befürwortern – von Hollywood-Stars über Reality-TV-Darsteller bis hin zur breiteren Online-Community –, die für das Konzept einstehen, welches eine willkommene Veränderung bewirkt.

Die weltweite Neubewertung konventioneller Beauty-Standards ist eine Reaktion auf die gleichbleibende und beschränkte Definition von körperlicher Perfektion, welche sich zu lange durchgesetzt hat. Wir als Konsumenten verstehen bereits, worum es geht. Wir glauben daran, unbewusste Vorurteile aufzudecken und wir selbst sein zu dürfen. Und das sollte das Ende dieser Diskussion sein. Ungefähr drei Jahre, nachdem die Bewegung weltweiten Anklang gefunden hat, ist sie noch immer allgegenwärtig in den sozialen Medien. Auffällig ist jedoch, dass sie in den großen Kampagnen kaum aufgegriffen wird.

Es ist nicht so, dass Marken diesen Wandel komplett ignorieren. Ganz im Gegenteil: Es gibt kaum ein Beauty- oder Wellness-Unternehmen, das sich nicht zu körperlicher Vielfalt bekennt, Frauen „aller Formen und Größen“ feiert und für „Körperbewusstsein“ wirbt. Das Problem aber ist, dass es so scheint, als würde sich diese Auffassung nicht in in ihren Bildern und der Wahl der Models, mit denen sie zusammenarbeiten, widerspiegeln. Zumindest bis jetzt scheint es so, als wäre dieser Schritt noch zu gewagt.

Diese Marken setzen das Konzept von Body Positivity richtig um

Es gibt jedoch auch Ausnahmen. Zu ihnen gehört beispielsweise Glossier, das seine Körperpflegeserie erstmals im Oktober 2017 auf den Markt gebracht hat. Die dazugehörige Kampagne wurde von der amerikanischen Fotografin Peggy Sirota aufgenommen und zeigt fünf Frauen mit sehr unterschiedlichen Körpern: von durchtrainiert über kurvig bis hin zu hochschwanger. Entscheidend ist, dass die Aufmerksamkeit zuerst auf die Haut der Models gelenkt wird, die frisch, glänzend, kerngesund und lebendig aussieht. Die Aufnahmen haben die Beauty-Industrie daraufhin komplett auf den Kopf gestellt, besonders in Amerika, wo die Kampagne auf mehr als 350 übergroßen Werbetafeln in den meistbefahrensten Regionen von Los Angeles und New York City gezeigt wurde und eine ganze Seite in der New York Times eingenommen hat.

Als Jules Von Hep – der sich bekanntermaßen durch seine eigens aufgetragene Bräune einen Namen gemacht hat – im März 2018 seine körperpositive Selbstbräuner-Marke Isle of Paradise lanciert hat, hat er konventionellen Beauty-Kampagnen ein Ende gesetzt. Nachdem er seine ganze Karriere lang Frauen dabei zugehört hat, sich für ihren Körper zu entschuldigen, während sie vor ihrer Bräunungsbehandlung nackt vor ihm standen, sah er sich gezwungen, etwas mit einer „körperpositiven Energie“ zu erschaffen. Seine Bilder also zeigen „echte“, aber vor allem glücklich aussehende Frauen verschiedenster Körpertypen. Ein/e Beauty-Redakteur/-in hat über seine/ihre Aufnahmen sogar gesagt: „Man kann sich die Kampagne nicht ansehen und dabei nicht lächeln – was für eine willkommene Veränderung für eine Beauty-Kampagne, nicht wahr?“

Auch Fenty, CoverGirl, Babor und Revlon sind weitere Beispiele, die alle mit vielfältigeren Körperformen gearbeitet haben. 

Das sagen die Befürworter der Bewegung

Ashley Graham, die zu den Botschafterinnen von Revlons Live-Boldly-Initiative gehört (zu denen auch Adwoa Aboah und Gal Gadot zählen), sagt über die Bewegung: „Das sollte die Norm sein. Ich hoffe und bemühe mich sehr darum, dass wir dies in den nächsten zehn Jahren nicht einmal mehr thematisieren müssen. Schönheit liegt außerhalb von Größe.“

Auch wenn sich zehn Jahre wie eine lange Zeit anhören, wird es sich lohnen, so lange zu warten, um wirklich etwas zu verändern. Viele Leute meinen zum Beispiel, dass Sängerin Lizzo das Glastonbury-Festival mit ihrer unschlagbaren Performance, ihrem paillettenbesetzten Body, den vor Selbstliebe strotzenden Affirmationen und ihrem Freestyle-Flötenspiel „gewonnen“ hat. Und wenn es um Body Positivity geht, ist die Künstlerin für die Instagram-Generation zu einem Leitbild geworden. („Ich möchte, dass ihr heute Abend nach Hause geht, in den Spiegel schaut und sagt: ‚Ich liebe dich, du bist schön, und du schaffst alles!'“, lautete ihr Appell an das Publikum).

Laut Lizzo ist mehr Diversität zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung. Jede Marke, die sich plötzlich um 180 Grad dreht, nur um Teil der Body-Positivity-Bewegung zu werden, und dabei ignoriert, dass sie jahrzehntelang beschränkte Schönheitsideale beworben hat, sollte ihrer Meinung nach auf Zynismus treffen, bevor man ihr zu diesem Wandel gratulieren kann. Sie behauptet, dass Marken „Jahrzehnte damit verbracht haben, den Menschen zu sagen, dass sie nicht gut genug sind, und ihnen ein Schönheitsideal zu verkaufen. Plötzlich verkaufen sie ihnen Selbstliebe? Die Leute wissen nicht, wie sie sich selbst lieben sollen, weil sie versucht haben, wie der Motherfucker auszusehen, den man ihnen verkauft hat!“

 

Diesen Gedanken vertritt auch Naomi Shimada, Model und Mitautorin des Buchs „Mixed Feelings“. Mit 31 Jahren ist sie seit fast einem Jahrzehnt eine „normale Person mit Größe 14“ (die der deutschen Größe 42 entspricht). Was sie am meisten frustriert, sind Marken, die eine tokenistische Haltung einnehmen, wenn es um körperliche Vielfalt geht, und extreme und laute Darstellungen von Schönheit zeigen, anstatt zu reflektieren, was sie als „normale Mitte“ bezeichnet. „Warum sind größere Körper immer nackt?“, fragt sie. „So lange wollten mich die Leute nur nackt fotografieren. In der Mode wurde mir gesagt, dass sie keine größeren Mustergrößen bekommen konnten… Im Beauty-Bereich aber sollte das keine Rolle spielen. Es frustriert mich so sehr, dass größere Mädchen in Kampagnen immer entweder mit einer nackten oder mit einer Sexy-Girl-Ästhetik versehen werden. Warum können größere Körper nicht einfach schön sein?“

Shimada hat zudem mit Nike zusammengearbeitet. Die Sportmarke selbst hat im Juni für eine Kontroverse zum Thema Body Positivity gesorgt, als sie in ihrem Londoner Flagship-Store eine „Plus-Size-Schaufensterpuppe“ eingeführt hat. Während die Initiative von vielen Seiten auf Begeisterung gestoßen ist, wurde das Label von anderen Seiten dafür kritisiert, dass die Puppe „fettleibig“ sei und nicht „rennen könne“. Rihannas Fenty-Mannequin hingegen, das nur einige Tage später lanciert wurde, wurde fast ohne Widerworte anerkannt, weil es bereits so normal für das Label zu sein scheint. „Marken wie Fenty wissen, was los ist“, äußert sich Shimada dazu.

Darum reagieren Marken so zögerlich auf die Body-Positivity-Bewegung

Insbesondere der Nike-Disput zeigt, in was für einem undurchsichtigen Durcheinander an unbewussten Vorurteilen wir wirklich verwickelt sind. Das erklärt möglicherweise, mit welchen Problemen Beauty-Brands in Punkto Body Positivity zu kämpfen haben. Hauptsächlich handelt es sich hierbei nämlich um die Überschneidung von „schön“ und „gesund“. Kann das eine ohne das andere existieren? In welcher Verbindung stehen Gesundheit und Größe in einer Zeit, die von Hashtags wie #fitnotthin geprägt ist? In welchem Zusammenhang die Konzepte von Gesundheit und Schönheit stehen, verändert sich. Und die Beauty-Industrie, die sich für so lange Zeit an eine starre Vorstellung körperlicher Ideale gehalten hat, findet es nun schwierig, einen Mittelweg zu finden.

Seit dem Launch ihrer Kampagne für „Wahre Schönheit“ im Jahr 2004 kämpft die Marke Dove um ihren Status in der Beauty-Welt – indem sie ihre Rolle sowohl feiert als auch hinterfragt. Im letzten Monat hat die Marke dann den prestigeträchtigen Cannes-Lions-Award für ihre Kampagne #ShowUs gewonnen. Für die Initiative hat Dove zusammen mit Getty Images und Amanda de Cadenets Plattform GirlGaze gearbeitet, die komplett von Frauen betrieben wird. Zusammen haben sie eine Datenbank mit 5000 Fotografien „echter Frauen“ geschaffen, die allein von weiblichen Fotografen aufgenommen wurden und welche Medien und Werbetreibenden nun kostenlos zur Verfügung stehen. „Wir wollten auf die wichtige Erkenntnis reagieren, dass sich 70 Prozent der Frauen immer noch nicht durch die Bilder repräsentiert fühlen, die sie jeden Tag sehen“, sagt Doves Global Brand Vice President Sophie Galvani über das Projekt.

Doves Einsatz ist bewundernswert und weltweit einer der wenigen Beispiele für ein Kosmetikunternehmen, das Veränderung anführt. Aber warum denken nicht mehr Marken über den visuellen Aspekt ihrer Darstellungen nach? „Ich denke, es ist eine große Veränderung, die entmutigend sein kann“, sagt Galvani. Auch Von Hep meint: „So viele Leute haben mich gewarnt, die Sache mit der Body Positivity nicht durchzuziehen. Ich hatte Streit mit Freunden/Freundinnen, Kollegen/Kolleginnen, Händlern… Ich denke, dass auch jetzt noch eine echte Angst davor besteht, Haltung einzunehmen, Dinge anders zu machen.“ Shimada stimmt zu: „Ich denke, die Angst ist, dass wir etwas verändern und die Leute abschrecken werden. Ich denke, dass wir darüber hinausgehen können“, sagt sie. „Ich möchte an eine Welt glauben, in der wir mehr Vorstellungskraft haben als das. Ich wünsche mir zumindest von den größeren Marken mehr Engagement.“

 

Hängt es an uns Kunden, ob sich die Beauty-Industrie für mehr Body Positivity einsetzen wird?

Letztendlich ist es die Aufgabe der Beauty-Brands, Produkte zu verkaufen. Wie lange also wird es noch dauern, bis wir aufhören, dieses Ungleichgewicht zu akzeptieren und mit unserem Geld darüber zu entscheiden? Wenn man den wirtschaftlichen Aspekt im Hinterkopf behält, dann kommt es Galvani komisch vor, dass Marken inklusivere Körperbilder nur so zögerlich repräsentieren. „Sechs von zehn der von uns weltweit befragten Frauen haben gesagt, dass sie Produkte oder Marken eher kaufen würden, wenn diese diversere Bilder verwenden würden“, erklärt sie dazu.

Und dann – aber nur vielleicht – sollten wir anfangen, darüber nachzudenken, wie man die Produkte, die sie verkaufen, mit mehr Body Positivity beschreiben kann. Auch wenn Glossiers brillante Body-Hero-Kampagne einen Triumph für die Bewegung darstellt, sollte man nicht vergessen, dass sie unter anderem ein Produkt mit dem Namen „Body Hero Daily Perfecting Cream“ bewirbt? Perfektionierend? Ist das nicht genau die Sprechweise, die wir ändern wollen? Dennoch: Glossier macht großartige Produkte, und man kann nicht ignorieren, wie toll die Haut auf den Fotos der Kampagne aussieht. Vielleicht können wir unsere moralische Empörung auch manchmal in den Hintergrund stellen – schließlich ist kein Körper perfekt.

Dieser Text von Nicola Moulton stammt aus unserer VOGUE COMMUNITY und erschien im Orginal bei der britischen VOGUE.

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