Ab heute im Kino: Schlafkrankheit

23.06.2011 Allgemein, Film

Ein Film, der „Schlafkrankheit“ heißt, lädt zu blöden Witzen und Kalauern ein. Das Gegenteil bewies die Berlinale, denn dort wurde Ulrich Köhlers Wettbewerbsbeitrag von der Jury unter dem Vorsitz von Isabella Rossellini der silberne Bär für die Beste Regie verliehen. Zurecht?

Schleppend und dunkel startet der Film: Wir befinden uns in Schwarzafrika, in Kamerun, wo Entwicklungshelfer und Arzt Ebbo Velten (Pierre Bokma) mit seiner Frau Vera (Jenny Schily) bereits seit 20 Jahren lebt und kurz davor ist, seine Rückkehr nach Deutschland vorzubereiten. Wir stehen an der Grenzkontrolle, auf einer nachtschwarzen Straße, die vom Flughafen in die Stadt führt. Gerade haben Ebbo seine Frau Vera ihre Tochter abgeholt, die ein letztes Mal zu Besuch kommen wird. Ein Kontrollstopp in Afrika folgt. Ein Beamter verlangt die Papiere der Tochter. Doch die scheinen in den tiefen des Kofferraums verschlungen. Der Mann will Geld, so viel ist klar, und Ebbo Velten will es ihm nicht geben.

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Ebbo hat noch ein paar wenige Prinzipien, etwa keine Bewaffneten oder Uniformierten in seinem Van mitzunehmen, lässt sich aber natürlich letztendlich doch immer wieder darauf ein, sie zu umgehen und nimmt den Kontrollposten schließlich mit. Am Ende des Films hat Ebbo nun gar keine Prinzipien mehr: Allerdings ist er nicht wieder in Deutschland, sondern schlafversunken in Kamerun geblieben. Mit einer anderen Frau, einer Afrikanerin, die von ihm ein Kind bekommt und mit der kompletten neuen „Sippe“ aufwartet.

Es geht langsam voran in diesem Film. Wir sehen zunächst eine mehr oder weniger „normale“ Famile. Gut, die Tochter hat sich ein Stück weit verändert und sich nach zwei Jahren Internat ein Stück verfremdet, aber die Heimreise nach Deutschland steht ja auch kurz bevor. Freunde der Familie in Kamerun wollen Ebbo überzeugen, sein Entwicklungsprojekt in Afrika nicht aufzugeben, Gelder weiterhin zu akquirieren, Epidemien einzudämmen. Doch Vera möchte zu ihrer Tochter, möchte Heim. Mutter und Tochter fliegen nach Deutschland. Ebbo scheint noch ein paar Baustellen zu haben, aber wenig später nachkommen zu wollen.

Schwarz. Und die kleine Bildunterschrift: 3 Jahre später. Wir sind in Paris bei dem kongostämmigen französischen Arzt Alex Nzila (Jean-Christophe Folly). Ein Zeitsprung und eine neue Geschichte beginnen. Nzila soll nach Afrika und im Auftrag der WHO prüfen, ob die Entwicklungshilfe in Kamerun überhaupt noch Sinn macht, ob die Gelder für die Behandlung der Schlafkrankheit an die richtige Stelle gelangen und was Entwicklungshelfer Ebbo dort eigentlich macht. Angekommen befindet sich Nzila in einer ihm völlig fremden Welt und Ebbo entzieht sich wie ein Phantom dem jungen Begutachter.

Die Epidemie ist längst abgeflaut, die Klinik und die aufwendige Behandlung längst überflüssig und Ebbo, der zunehmend verwahrlost und mehr in den Dienst eines französischen Geschäftsmanns getreten ist, als sich um sein damaliges Ziel der Hilfe zu kümmern, scheint völlig abwesend. Hat Ebbo selbst geschlafen, die Realität nicht wahrnehmen wollen? Hat er sich als Europäer in Afrika verloren, in einer völlig anderen Kultur, in der er nicht aufgewachsen ist?

Wir sind ratlos. Denn das, was hier oben drüber steht, gleicht schon eher einer Interpretation als einer reinen Beschreibung. Köhler gibt uns nichts mehr als Puzzlestücke: lange stille Pausen, in denen wir durch Afrika bei Nacht fahren, Ebbos Ausbrüche gegenüber seines Personals, die liebevolle Beziehung zu seiner deutschen Frau am Anfang des Filmes, Nzilas Erkundungen mit Kopftaschenlampe durch die völlig fremde Gegend in seiner Nicht-Heimat Afrika, Jagdszenen, ein Kaiserschnitt und und und.

Der Film will so viel. Will den Sinn und denn Unsinn von Entwicklungshilfe thematisieren, Sehnsucht nach Afrika demonstrieren, Korruption in Afrika andeuten, die Angst vor einer fremden Heimat aufzeigen. Er will zeigen, dass man sich verlieren kann, rastlos und hin uns her gerissen ist, aber gleichzeitig gelähmt bleibt etwas zu ändern. Schlafkrankheit ist nicht nur eine Epidemie gewesen, sie sitzt auch oft in jedem einzelnen von uns. Schlummert mal ganz leise und mal ganz tief.

Es wird nicht viel erzählt. Mehr noch, es wird nur gezeigt. Gefühlte hundert verschiedene Aspekte, die man hätte aufsplitten können. Aus denen man verschiedene Kurzfilme hätte produzieren können. Aber nein, Ulrich Köhler wollte bewusst keine direkten Schwerpunkte setzen und hinterließ gestern Abend Ratlosigkeit bei der Premiere des Films: Was wird uns hier eigentlich erzählt? Welche Erknenntnis ziehe ich aus dem Film und – sind die Bilder stark genug, die Leerstellen der des Films und der Geschichte zu füllen? Ich bin mir unsicher.

Ab heute im Kino: Schlafkrankheit mit Pierre Bokma, Jenny Schily und Jean-Christophe Folly.

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