Die Sache mit den „Never Ending Stories“

30.04.2012 Leben, Allgemein

Manchmal, mitten am Tag, lässt du alles fallen, auch dich. Auf den Boden, in die Kissen, damit du keine Kraft mehr brauchst zum Stehen. Dein Kopf saugt dir in diesen Momenten alle Energie aus den Gliedern und statt zu denken, träumst du bloß. Von früher. Von dem, was hätte sein können. Wärest du nicht zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Oder zur richtigen Zeit genau dort, wo ihr euch zum ersten Mal gesehen habt.

Neue Stadt, neues Glück und mehr Möglichkeiten als Lichter im Club. Hier ein Kuss, da ein Drink und mittendrin dein Herz. Erinnerungen, die im Weltraum kreisen, die das Vergangene fangen, um es dir immer wieder vor die Füße zu schmeißen. Wie ein unsichtbarer Geist lenkt Mister Never Ending Story deine Gedanken. Und egal, was jetzt kommt, du fällst immer wieder zurück. Entfernungen verschwimmen, es ist egal, wo du dich versteckst. Das Gefühl findet dich, ungeachtet dessen wie sehr du dich dagegen wehrst. Der Grund dafür ist einfach, aber wirksam: Was man nicht kriegen kann, das will man haben. Jahrelang das gleiche, ziemlich vorhersehbare Spiel: Verlieben, entlieben, nie wieder lieben. Um am Ende doch betrunkene SMS tippen, an Haustüren klingeln, den Kopf verlieren. Nächtelange Abenteuer, niemals Alltag. Spannung, Spaß und Spiel – nur dass sich diesmal echtes Fleisch unter der glitzernden Verpackung verbirgt, ein schlagendes Herz, das nur darauf wartet, verletzt zu werden. Es sein lassen könnt ihr trotzdem nicht. Ihr seid süchtig nach eurer Story, nach der Never Ending Story, die vielleicht niemals sterben wird.

Die Regeln schienen ziemlich simpel: Keine Beziehung, das ist alles. Keine Verpflichtungen, kein wir. Nur du und ich. Aber nach der Nacht folgt irgendwann das Frühstück und dann ein neuer Tag. Einer von euch hätte gehen sollen, jetzt ist es vielleicht zu spät. Pärchensachenmachen ohne Pärchen zu sein, eine Nicht-Beziehung führen. Küsse ohne Gefühle? Und dann kommt es anders als man denkt. Zu viel Nähe, zu viel Herzschlag, zu viel sinnloses Geschwätz. Lügen, die dich vor der Wahrheit schützen. Die alles verschleiern, was du dir nicht eingestehen willst: Willkommen im Teufelskreis, jetzt steckt ihr richtig tief drin. Engel und Beelzebub spielen Schach miteinander – das Spielfeld seid ihr: Floskeln zerhacken Gedanken, Machtspiele zerfressen jede Hoffnung. Ihr zerstört alles, was eine Basis hätte sein können, zerredet Schmetterlinge im Bauch zu donnernden Flugzeugen und nehmt der Magie jeden Reiz.

Seit Jahren geht das so. On, off, on, off. Zwei Städte, zwei Menschen, zwei verwirrte Hirne und diese Anziehungskraft, die stärker ist als jede Vernunft. Stürmische Treffen, trockene Abschiede, gespielte Gleichgültigkeit, Funkstille. Und dann, irgendwann, die Reunion. Und alles fängt von vorne an. Nur wenn man genau hinsieht, merkt man, dass aus dem zwinkernden Auge ganz langsam eine Träne schleicht.

Einfach umdrehen, gehen, vergessen? Endlich einen Schlussstrich ziehen? Wo keine Beziehung ist, bleibt Herzschmerz aus, sagt man doch. Das wäre die Utopie, so sollte es sein. Deshalb gehen wir sie ja überhaupt ein, diese vogelfreien Affären. Alles Komplizierte ist hier fehl am Platz – Aber so sehr da wie nie zuvor. Alles Illusion, alles Heuchlerei. Dass wir den Absprung nur so selten schaffen, liegt in der Natur der Sache. Du lernst niemanden kennen, der dir nicht sympathisch ist, küsst niemanden dessen Gesicht du bei Tageslicht nicht erträgst und kaufst keine Brötchen, wenn das Zusammensein nicht irgendwie gut ist. Wer soll hier noch Grenzen ziehen, wie sollen wir unterscheiden zwischen echtem Gefühl und Wunschdenken, zwischen Projektion und ungespielten Emotionen?

Ihr seid wie Königskinder, die niemals zusammen sein können. Vielleicht ist zu viel passiert, vielleicht ist die schützende rosarote Brille, die wir am Anfang jeder Geschichte so sehr brauchen, schon längst verblasst. Zwischen euch klafft ein Wunde, die vielleicht niemals heilen wird. Aber immer dann, wenn ihr zusammen seid, wenn es kribbelt, dann fragst du dich, ob sie nicht heilen könnte, irgendwann. Bis dahin bleibt dir der quälende Was-wäre-wenn-Gedanke, jeden Tag. Was wäre, wenn wir uns einfach irgendwann getraut hätten.

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Text & Bilder: Nike van Dinther
Kleine Notiz am Rande: Alles Aufgeschrieben ist ein Potpourri aus allem, was um mich herum geschieht und keinesfalls als mein Tagebuch zu betrachten.

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