„Wir machen etwas, das nicht allen passt“: „She Said“ – die erste Buchhandlung Berlins mit Büchern von ausschließlich weiblichen und queeren Autor*innen

14.01.2021 Buch, Berlin, box2

Ich weiß gar nicht mehr genau, wann ich anfing, Emilia von Senger auf Instagram zu folgen, um mich in ihre Buchtipps und ihre klugen Rezensionen zu verlieben. Ich kann mich aber sehr gut daran erinnern, dass ihre Euphorie für das geschriebene Wort sofort auf mich überschwappte – und dass, obwohl wir uns damals überhaupt nie persönlich kennengelernt haben. Als Emilia dann auch noch irgendwann öffentlich machte, einen ganz schön großen Schritt zu wagen und ihren eigenen Buchladen zu eröffnen, war es schließlich komplett um mich geschehen. Immerhin wollte Emilia nicht irgendeinen Buchladen aufmachen, sondern einen, der sich mit ganz viel Herzblut unterrepräsentierten Autorinnen und queeren Autor*innen widmet. Die Idee zu „She said“ nahm Form an und wir fieberten wie verrückt mit, verfolgten ihre Suche nach geeigneten Räumlichkeiten und drückten so unendlich fest die Daumen, dass die Eröffnung in 2020 trotz erschwerter Corona-Bedingungen noch klappen könnte. 

 

 
 
 
 
 
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Und was sollen wir sagen: Es hat geklappt! „She said“ konnte im Dezember noch vor den Feiertagen eröffnen, zwar zunächst im „Under Construction“-Modus, dafür aber auch ganz schön bodenständig und nahbar zugleich. Und das, was „She said“ geworden ist, verdient die Beschreibung „Safe Space“ für Literatur-Liebhaber*innen, schließlich ist hier ein vorurteilsfreier Rückzugsort entstanden, um Neues zu entdecken und der Welt endlich zu zeigen, dass es mehr gibt, als in so manch einem anderen, klassischen Buchladen. Ja, „She said“ ist ein Ort, der wahrlich anders ist: bunt, wach, aufregend speziell, schlau, politisch und vielleicht wichtiger und richtiger denn je. Representation matters – und „She said“ sorgt nicht nur mit der sehr fokussierten Auswahl an Werken für Sichtbarkeit, sondern macht gleichzeitig auf so viele Missstände in der Literatur-Branche aufmerksam – und ist damit absurderweise noch immer fast ganz allein.

Ja, vielleicht war das Jahr 2020 genau richtig, um solch einen wirklich fehlenden Buchladen in Berlin zu eröffnen, der uns seither zum Weiterbilden und -denken einladen will, der so viele Fragen zum richtigen Zeitpunkt beantwortet und dabei hilft, sensibler zu werden, seine eigene Comfort Zone zu verlassen, sich seiner Privilegien bewusst zu werden und um Sichtbarkeit zu schaffen. Und trotzdem dürfen wir eines nicht vergessen: Es war gleichzeitig auch eines der härtesten Jahre: Denn zwar wurde hier mit ganz viel Mut, Tatendrang und Zuspruch, aber auch mit finanziellem Risiko, erschwerten Bedingungen und wirtschaftlicher Unsicherheit gegründet und eröffnet. Nicht nur aus diesem Grund ziehen wir vor Emilia und ihrem Team einen besonders großen Hut und freuen uns von Herzen, dass schon einmal die erste Hürde gemeistert ist, denn: „She said“ ist eröffnet. Und nichts könnte wichtiger sein!

Emilia, wir sind ganz mit aufgeregt! Endlich ist es soweit: DU, nein IHR, habt noch kurz vor Jahresende „She said“ – den ersten Buchladen Berlins, der ausschließlich Bücher und Werke von weiblichen und queeren Menschen in den Regalen beherbergt, eröffnet. Was sagt das Herz und was der Kopf?

Emilia: Mein Herz fühlt so viel gleichzeitig! Freude und Euphorie, weil es endlich losgegangen ist und weil der erste Monat so fantastisch war. Stolz und ein Gefühl von Angekommensein, weil das „She said“-Team so toll ist und ich in alle zusammen und den Laden sehr verliebt bin. Und Angst und Wut, weil es Leute gibt, die uns online und auch auf der Straße vor dem Laden beschimpfen oder extra falsche Pronomen für Teammitglieder benutzen.

Und mein Kopf denkt eigentlich ständig an all die Aufgaben, die noch vor mir und uns liegen, an jeden kleinen Punkt auf meiner To-do Liste. 

 
 
 
 
 
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Abschalten, auch am Sonntag, fällt mir im Moment noch sehr schwer.

Ich möchte die Beschimpfungen hier aber nicht reproduzieren. Um es positiv zu sehen: Wir machen etwas, das nicht allen passt. Der Widerstand bestätigt nur, dass wir auf dem richtigen Weg sind. 

Das verstehe ich sehr. Dein Buchladen liegt genau auf der Grenze zwischen Neukölln und Kreuzberg (auch bekannt als Kreuzkölln). Was macht diesen Ort, an dem so viele verschiedene Menschen zusammenkommen, so interessant für dich? Wo liegen deine Sorgen, die großen Chancen und was sind gar mögliche Hindernisse? 

Emilia: Der Kottbusser Damm ist die Verbindung zwischen dem Hermannplatz und dem Kottbusser Tor einerseits sowie dem Graefekiez und dem Reuterkiez andererseits. Also eine ganz essenzielle Straße, die mich schon immer fasziniert hat. Monate bevor ich den Laden gefunden haben, bin ich mit einer Freundin die Straße hinuntergelaufen und meinte: „Hier würde ich gerne ‚She said‘ eröffnen“. Dass es dann genauso gekommen ist, ist ein wahnsinniges Glück. Es ist eigentlich immer etwas los und es gibt ein starkes Gefühl von Nachbarschaft. Als wir aufgemacht haben, kamen sehr viele, um zu gucken oder sich vorzustellen.

„She said“ liegt für mich nicht nur geografisch ganz fantastisch und dürfte mein zukünftiger Lieblingsbuchladen werden, ihr schafft gleichzeitig auch einen Ort des Austauschs und kreiert eine Symbiose aus Leidenschaft (das geschriebene Wort), Weiterbildung (durch Inhalte) und Wohlfühlgefühl (das Café und die Ausstattung). Wie würdest du „She said“ all jenen, die sich noch nichts unter eurem Konzept vorstellen können, beschreiben?  

Emilia: Ich sage oft, dass wir eine Frauenbuchhandlung 2.0 sind. Wir sehen uns nicht nur als Buchladen, sondern als Treffpunkt, als ein Raum für Austausch und als einen politischen Ort. Im Gegensatz zu den Frauenbuchläden der 70/80er sind bei uns aber alle willkommen und wir führen auch Bücher von schwulen und non-binary Autor*innen.

 
 
 
 
 
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Und, oh mon Dieu, wie schön er ist: Ihr habt euch beim Thema Inneneinrichtung so verrückt besondere Gestaltungselemente überlegt. Erzähl: Wer ist dabei und was sind die Ideen dahinter?

Emilia: Die Regale und fast alle anderen Möbel stammen von zwei unglaublich großartigen Architektinnen, Mara Kanthak und Katharina Volgger. Wir arbeiten schon seit März gemeinsam an dem Laden, haben auch den Boden, die Elektrik und die Beleuchtung geplant. Außerdem gibt es noch drei Künstlerinnen, die Objekte geschaffen haben. Das wunderschöne periodenrote Fliesenregal stammt von Charlotte Dualé, die voluminösen Glaslampen von Katharina Ruhm und der silberne Vorhang am Eingang von Ayscha Zarina Omar. Letztere werden demnächst installiert.

Mir waren Farben und organische Formen super wichtig, als Gegenentwurf zur rationalen, praktischen und eckigen – der Leistungsgesellschaft entsprechenden – Gestaltung. 

 
 
 
 
 
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Zu den Möbeln sagen wir teilweise auch bodies, zum Beispiel sind die gedrechselten Beine der Tische eine Andeutung auf die Schwünge von echten Körpern.

Das Farbspektrum stammt von der Designerin Amanda Haas, sie hat das Lila oder Flieder als wichtigste Farbe für „She said“ ausgewählt, auch in Anlehnung an die letzte Frauenbewegung.

 

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Studio Haas, Graphic Design (@amandahase)

Warum hast du dich dazu entschieden, dass sich der Buchladen ausschließlich auf Bücher von Autorinnen und queeren Menschen fokussieren wird? Findet damit nicht ein Ausschluss von Autoren statt, die sich ebenfalls gesellschaftsrelevanten Themen, wichtigen politischen Diskursen und neuen Perspektiven widmen?

Emilia: Von manchen ja, aber diese Bücher bekommt man ja überall anders. Wir rücken Autorinnen und queere Autor*innen in den Vordergrund, weil ihren Stimmen ganz allgemein (in Verlagen, bei Literaturpreisen und in Feuilletons) weniger Aufmerksamkeit bekommen. Wir sind nicht prinzipiell dagegen, dass Max Czollek oder Colson Whitehead (um zwei tolle Autoren zu nennen) gelesen werden, wir haben sie nur einfach nicht da.

Ich hüpfe die ganze Zeit zwischen „du“ und „ihr“, wie du vielleicht schon gemerkt hast. Denn zwar bist du die Initiatorin und Gründerin von „She said“, mittlerweile sind aber viel mehr Menschen an der Ausgestaltung deiner Vision beteiligt, richtig?

Emilia: Ja – ich spreche auch oft von wir! Im Laden sind wir mittlerweile acht Teammitglieder. Schon sehr früh dabei war Fiamma Aleotti, sie ist die Cafémanagerin und backt in unserer hauseigenen Küche fantastische Dinge. Zimtschnecken und Focaccia zum Beispiel. Linus Giese, der gerade sein erstes Buch „Ich bin Linus“ veröffentlicht hat, ist auch schon seit dem Frühjahr dabei und ist mein Partner in Crime im Buchladen.

König über die Bar und den Kaffee ist Lewis Soulier. Gemeinsam mit Lauria Joan und Sophie Ritscher versorgt er uns und alle Kund*innen mit fantastischem Kaffee.

Im Buchhandlungsteam sind außerdem noch Fabienne Gretschel und Damoun Marashi, die beide in quasi zwanzig Sekunden mitten im Weihnachtsgeschäft Buchhandel gelernt haben.

 
 
 
 
 
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Alle inhaltlichen Entscheidungen für den Buchladen treffen wir zu viert, aber jede*r kennt sich besonders gut in einem Bereich aus.

Was ihr bei She said findet: 

Natürlich Klassiker, queere Literatur, Magazine, Kunstkataloge, Werke für Kinder (mit weiblichen Protagonist*innen, diversem Themenfokus und aufbrechenden Klischees), Bücher über vergessene und somit wiederentdeckte Künstlerinnen, aber auch Non-Western oder Inhalte über postmigrantische Gesellschaften sowie Sachbücher zum Thema Klima, queer-feministische Theorien, kritische Männlichkeit, Arbeit, Soziales und natürlich Anti-Rassismus aus dem deutschsprachigen und internationalen Raum – nach dem besten Gewissen thematisch sortiert und in schönten Bücherregalen für euch präsentiert. Aber auch wenn der Hunger oder die Kaffee-Lust ruft, seid ihr bei „She said“ richtig und werdet von Fiamma und Lewis versorgt.

Das ist natürlich längst nicht alles: „She said“ soll ein Ort des Dialoges und der kritischen Auseinandersetzung sein und einer, der hoffentlich ganz bald auch mit gemütlichen Veranstaltungen auf uns wartet. Der „She said Tuesday“ ist also schon in Planung und wird hoffentlich ganz bald so greifbar, wie es sich die Macher*innen wünschen. 

Solltet ihr selbst nicht vorbeischauen können, dann empfehlen wir euch den aktuellen Online Shop von „She said„, der natürlich ebenfalls das gesamte Sortiment des Berliner Standorts für euch bereithält – und sogar noch mehr.

Und wenn euch bei „She said“ etwas fehlt, seid jederzeit herzlichst dazu aufgerufen, eure Wünsche zu äußern und Ideen mit einzubringen. Das Team freut sich sehr auf euch!

 
 
 
 
 
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In welchem Moment wurde dir zum ersten Mal so richtig bewusst: „She Said, sowas fehlt und ich gründe jetzt!“

Emilia: Es wäre so schön, wenn ich einen Moment benennen könnte. Es war aber eher ein schleichender Prozess. Den Namen gibt es seit Frühjahr 2019! Am Konzept hat sich seitdem nochmal viel verändert.

Du gründest nicht gerade in entspannten Zeiten, ganz im Gegenteil, wir stecken inmitten einer globalen Pandemie. Ist es die einzige Herausforderung, die du gerade jonglierst oder stehst du noch vor einem Berg von anderen, seitdem du gegründet hast? 

Emilia: Buchhaltung. Nein, im Ernst, die Pandemie macht vieles schwieriger. Aber unabhängig von Covid habe ich manchmal das Gefühl, jeden Tag vor einer neuen kleinen Herausforderung zu stehen. Ich versuche sie dann Schritt für Schritt, gemeinsam mit dem Team, zu meistern.

 

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Emilia von Senger (@emilia_vonsenger)

Du hast aus voller Leidenschaft gegründet, kommst aus der Welt der Literatur und wir alle wissen, dass diese Frage jetzt praktisch nicht zu beantworten ist, aber: Welches Buch bedeutet dir persönlich vielleicht sogar am allermeisten, welches hat dich zum Umdenken bewegt und welches Werk gehört für dich zur Pflichtlektüre – und warum? 

Emilia: Doch, die Frage kann ich leicht beantworten. Es ist „Die Glasglocke“ von Sylvia Plath. Wegen dieses Buchs habe ich vor acht Jahren angefangen, mir eine Quote zu setzen. Ich wollte mindestens 50% Bücher von Autorinnen lesen. Mittlerweile sind es natürlich viel mehr. Ohne Die Glasglocke gäbe es She said vermutlich nicht.

Und welche drei (Neu-)Erscheinungen, die künftig in den Regalen des Stores stehen, würdest du uns schon jetzt empfehlen? 

Emilia: Auf jeden Fall die Trilogie von Tove Ditlevsen, die im Januar und Februar bei Aufbau erscheint. Eine in Deutschland noch viel zu unbekannte dänische Meisterin des autobiografischen Schreibens. Außerdem freue ich mich sehr auf „Ministerium der Träume“ von Hengameh Yaghoobifarah und auf „Kim Yiyoung, geboren 1982“ von Cho Nam-joo, ein schon jetzt legendärer feministischer Roman aus Südkorea.

Die Eröffnung vor Weihnachten war erst der Anfang: Wird schon weitergeträumt und Köpfe zusammengesteckt?

Emilia: Irgendwann im Frühjahr wird unser eigener Onlineshop mit Bücherpaketen online gehen. Und wir träumen davon, in ein paar Jahren auch eigene Bücher herauszugeben.

[typedjs]Wir machen etwas, das nicht allen passt. Der Widerstand bestätigt nur, dass wir auf dem richtigen Weg sind. [/typedjs]

Fällt dir eine Frage, die ich aufgrund meiner eigenen Euphorie und Berauschtheit ganz vergessen habe, die dennoch nicht unbeantwortet bleiben darf, ein?

Emilia: In diesen Tagen wünsche ich mir von vielen Menschen etwas mehr Gelassenheit und Vertrauen darein, dass wir unser Bestes tun. Wir bekommen zu allem Möglichen Kritik (oft nett formuliert, manchmal nicht). Viel ist sicher berechtigt, wir machen Fehler und könnten vieles besser machen,  aber oft habe ich das Gefühl, dass nicht bedacht wird, dass wir gerade erst eröffnet haben und wie die Verrückten arbeiten. 

Liebe Emilia, liebes „She said“-Team, wir sind unfassbar stolz auf euch, drücken euch alle Daumen und wünschen euch von Herzen ein Jahr mit ordentlich Karacho. Die Resonanz auf Instagram, in den Medien und nicht zuletzt im Laden selbst ist unfassbar und wir wünschen der gesamten „She said“-Bande nicht nur, dass das so bleibt, sondern auch, dass ihr euch von nichts und niemandem entmutigen lasst. Ihr seid toll und das, was ihr macht ist richtig und wichtig, vergesst das nie. Es ist so schön, dass es euch gibt!

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