Dick sein, oder: Bekenntnisse eines „gefährlichen“ Körpers

02.02.2021 Leben, box1, Kolumne

In ihrer Kolumne „(Un)erwachsen“ widmet sich unsere Autorin Lisa Ludwig dem gesellschaftlichen Graubereich zwischen Kater und Kinderwunsch. In dieser Folge schreibt sie über die Beziehung zu ihrem Körper – und warum es aufhören muss, dass die ganze Welt sich dazu eine Meinung erlaubt.

Über den Jahreswechsel habe ich ziemlich viel Zeit vor dem Handy verbracht. Allein schon deswegen, weil der Mitteilungsdrang aller Menschen, mit denen ich auf diversen Social-Media-Plattformen verbunden bin, ins Unermessliche gestiegen ist. Doch egal ob sie alleine gefeiert haben oder mit der Familie oder gar nicht, egal was sie sich für 2021 vorgenommen haben oder wünschen, eine Gemeinsamkeit scheinen sehr viele von ihnen zu haben: Die Angst, durch den Lockdown mit seinen geschlossenen Fitnessstudios und durch die Feiertage so richtig viel zugenommen zu haben.

Natürlich steht da nicht “Für mich gibt es nichts Schlimmeres, als fett zu sein!” in ihrem Status. Sie posten Memes oder Sprüchebilder mit riesigen Wänsten, aufspringenden Knopfleisten oder dramatischen Diätankündigen. Darunter sammeln sich Lachsmileys mit tränenden Augen, lauter “Oh man, du solltest mich mal sehen!”-Kommentare oder das Versprechen, demnächst wirklich (wirklich!!) mal zusammen Joggen zu gehen.

[typedjs]Ich habe schon als Kind gelernt, dass mein Körper nicht mir gehört, sondern zur öffentlichen Diskussion freigegeben ist.[/typedjs]

Vielleicht fehlt es mir an dem, was Mario-Bart-Anhänger “hUmOr” nennen, aber: Ich finde das nicht so witzig. Denn was da zum größtmöglichen Albtraum hochstilisiert wird, ist ein Körper wie meiner. Menschen, die mir schon tausendmal ins Gesicht, auf die speckigen Oberarme und die ausladenden Oberschenkel geguckt haben, Menschen, bei denen ich davon ausgehe, dass sie mich mögen, finden Personen wie mich so abstoßend, dass sie ihrer Panik vor einem ähnlichen Schicksal mit schlechten Witzen Luft machen müssen.

Natürlich überrascht mich das nicht. Ich habe schon als Kind gelernt, dass mein Körper nicht mir gehört, sondern zur öffentlichen Diskussion freigegeben ist. Denn ich bin dick, nein, fett. “Morbidly obese” sogar, was ironischerweise mehr nach aufregender Käsesorte als nach körpergewordener Antithese zum Optimierungswahn unserer Gesellschaft klingt. Komplimente empfinde ich als Mitleid. Wenn ich noch einmal hören muss, dass ich doch “ein schönes Gesicht” habe, höre ich nie wieder auf zu schreien. Wer mich mag, versucht die Tatsache totzuschweigen, dass ich dick bin. Andere tun nichts lieber, als mich darauf hinzuweisen.

Die immer präsente Meinung der anderen

Wildfremde Menschen auf der Straße, der Google-Algorithmus, der mich seit Jahren ungefragt mit personalisierter Abnehm-Werbung auf mein stetig wachsendes Bauchfett hinweist… Sogar Verwandte erzählten sich hinter vorgehaltener Hand, dass ich ja “so ein schönes Kind” war, dass ich aussah “wie eine Puppe”. So klug, so schön, und alles, was davon übrig geblieben ist, ist eine dicke, depressive Frau, die sich im Internet darüber beschwert, wie gemein die Welt ist. Mein Leben, die große Enttäuschung für alle anderen. Ich denke sehr oft darüber nach, was ich hätte werden können, wenn ich anders aussähe. Vielleicht sogar glücklich.

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Lizzo (@lizzobeeating)

Ab der fünften Klasse habe ich nur noch auf den Boden vor mir gestarrt, wenn ich mich in der Öffentlichkeit bewegt habe. Jeder Blickkontakt hätte andere dazu provozieren können, mich zu beleidigen. Manchmal waren die besten Tage in der Schule die, an denen niemand mit mir gesprochen hat. Ich hätte sehr viel dafür gegeben, damals Frauen wie Lizzo in den Medien zu sehen. Dicke Menschen, die bewunderns- und begehrenswert sein dürfen, und nicht nur deswegen im Fernsehen sind, weil sich ja über irgendwen lustig gemacht werden muss.

Bis heute werde ich nervös, wenn ich ohne Kopfhörer das Haus verlasse. Ich muss die Welt ausblenden, denn die Welt hat eine Meinung zu meinem Körper. Mittlerweile kann ich zwar besser damit umgehen, entkommen kann ich dieser ungefragten Diskussion über meinen Körper trotzdem nicht.

[typedjs]Sie beleidigen mich, weil sie mich nicht attraktiv finden – nach wie vor eine der größten Sünde, die man als Frau begehen kann.[/typedjs]

Ich bin mir nicht ganz sicher, was sich Leute von diesen “Du bist fett!”-Momenten erwarten. Dass ich die Hand auf die Brust lege, in einem Louis-des-Funèsschen Moment der überzeichneten Überraschung laut “Nein!” rufe und mich für diesen bahnbrechenden Hinweis bedanke? Dass ich schluchzend zusammenbreche und ihnen in der Einschätzung zustimme, dass ich ein wirklich widerlicher Mensch bin, den niemand angucken möchte? Oder geht es dann doch nur einfach darum, dass ich den Kopf senke, die Fresse halte und mich so klein und unsichtbar mache wie nur irgendwie möglich, damit mehr Platz für die Frauen ist, zu denen sich die Twitch-Followerschaft im Kinderzimmer regelmäßig einen runterholt? Hah, unsichtbar. Allein die Vorstellung!

VOGUE COMMUNITY

– Dieser Text von Lisa Ludwig wurde zuerst bei Vogue Germany veröffentlicht. Dort könnt ihr den Beitrag weiterlesen  –

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