Früher, da war ich fasziniert von Filmen wie Eine wie keine: Filme, in denen aus einem vermeintlich hässlichen Entlein ein schöner Schwan wurde, dem sodann niemand mehr widerstehen konnte. Ich träumte davon, dass auch ich mich durch eine neue Frisur, neues Make-up, neue Klamotten, in jemand völlig anderes verwandeln würde. Eine ganz neue Julia, eine, der man(n) auf den Schulfluren staunend hinterherblickte. Als besonders geeignet für eine derartige Transformation erschienen mir jedes Jahr aufs Neue die Sommerferien:
Sechs Wochen, in denen ich, abgesehen von einigen Freundinnen, niemandem aus meiner Stufe begegnen würde. Sechs Wochen, in denen ich an mir arbeiten würde – um dann am ersten Schultag nach den Ferien aufzuerstehen wie ein Phönix aus der Asche, mit reiner Haut, glänzenden Haaren und tollen Klamotten, während im Hintergrund „Who’s that girl“ von Eve lief.
Die Realität sah natürlich anders aus, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich konnte noch so viele Gesichtsmasken auflegen, Bauchmuskelübungen machen oder einen neuen Lidschatten ausprobieren – am Vorabend des ersten Schultags stand ich vor meinem Spiegel und konnte keine Veränderung feststellen. Trotzdem ließ mich die Fantasie nicht los: dass ich meine Ferien nutzen würde, um etwas ganz anderes aus mir zu machen.
Eine fittere, schönere Version seiner selbst
Daran musste ich denken, als ich vor kurzem das Phänomen des sogenannten „Lockdown-Glow-up“ (oder „Post-Lockdown-Glow-up“) entdeckte. Warum, so die Idee dahinter, sollte man den Lockdown nicht nutzen, um sich körperlich in Form zu bringen, und aus der Pandemie als eine fittere, schönere Version seiner selbst hervorzutreten? Theoretisch klingt diese Vorstellung verlockend: Wenn schon Dauer-Lockdown, dann aber zumindest mit positiven Auswirkungen für das eigene Äußere. Praktisch ist das Ganze aber einigermaßen zynisch: Das letzte Jahr war in vielerlei Hinsicht hart und entbehrungsreich, und die Auswirkungen der Pandemie werden uns wohl noch eine ganze Zeit lang beschäftigen – und in dieser Situation sollen wir dann auch noch körperliches „self-improvement“ betreiben?
Seit Beginn der Pandemie schallt uns aus verschiedenen Ecken der Imperativ entgegen, diese Zeit produktiv zu nutzen. Endlich einen Roman schreiben! Brot backen! Eine neue Sprache lernen! Mein persönlicher Eindruck ist, dass das in den letzten Monaten nachgelassen hat, spätestens seit Beginn des aktuellen Halb-Light-Dauer-Was-auch-immer-Lockdown. Vermutlich, weil ein Jahr Pandemie auch die motiviertesten Brotbäcker*innen und Sprachenlerner*innen mürbe gemacht hat. Zwischen Existenzängsten, Home Schooling, Müdigkeit und Einsamkeit hat man oft schlicht nicht die (Hirn-) Kapazität, mehr als das unbedingt Notwendige zu machen.
Fahle Haut und Pandemie-Kilos
Der Lockdown-Glow-Up aber erfreut sich nun einer neuen Beliebtheit, schließlich steht – man mag es kaum glauben – das Ende des Lockdowns tatsächlich bevor. Die Impfkampagne nimmt auch hierzulande endlich Fahrt auf, die Inzidenzen sinken und baldige Lockerungen scheinen möglich. Der Zeitpunkt könnte also nicht besser sein, um sich noch schnell in Topform zu bringen, bevor man – Gott bewahre! – mit fahler Haut und ein paar zusätzlichen Pandemie-Kilos im Biergarten aufläuft. Die Pandemie mag bei uns allen Spuren hinterlassen haben, aber sehen sollte man die natürlich nicht.
Ich muss gestehen, die Vorstellung eines rundum erneuerten Ichs, das wie ein schöner Schmetterling aus seinem Corona-Kokon hervorbricht und in die Freiheit hinausfliegt, gefiel mir. So sehr, dass ich vorm Spiegel stand und im Kopf eine Liste der Dinge anlegte, die ich dringend noch in Angriff nehmen müsste, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Bis mein Verstand sich zu Wort meldete und sagte:
@danique212 I started this vid in February and I had to change the audio bc it wasn’t available anymore ##fyp ##glowup
@facegym AMAZING 14 day transformation achieved by using our signature sculpting techniques everyday!##transformation ##beforeandafter ##facegym ##glowup
„Spinnst du? Gar nichts musst du.“ Recht hat er. Ich mag rein äußerlich gerade nicht das sein, was man als „strahlend“ bezeichnen würde – aber wie auch? All die Dinge, die mich normalerweise zum Strahlen bringen, Treffen mit Freund*innen, Kinobesuche, Lesungen, ein Glas Rosé in meinem Lieblingscafé, fallen schon seit so langer Zeit weg. Mein armer Körper trägt die Last der Pandemie nun schon über ein Jahr, und ich muss sagen: Er hat sich gut gehalten, trotz allem. Er braucht kein „Glow up“ – er braucht vielmehr ein Dankeschön. Dafür, dass er so hart gearbeitet hat. Dafür, dass er mir in diesem verflixten Jahr ein Zuhause war, etwas, auf das ich mich verlassen konnte.