Im Interview: Hien Le über seine Kollektion ohne Namen und die Farbe Schwarz, die man in seinen Entwürfen vergeblich sucht.

16.04.2012 Allgemein, Mode, Menschen

Klimbim und Kinkerlitzchen? Er kommt auch ohne klar. Die Farbe Schwarz taucht in seiner Stoffpalette gar nicht erst auf, denn für ihn fühlen sich die dunklen Stücke viel zu schwer an.  Und das passt auch nicht zum liebevollen Gemüt von Hien Le. Er ist wohl zweifellos die schmackhafteste Praline unter den Süßigkeiten, die die Berliner Designerwelt momentan zu bieten hat.

Hien Les kommende Herbst/ Winter Kollektion 2012 ist ein Kind ohne Namen und das ist auch gut so. Denn dieses Mal machte er sich völlig frei. Ganz ohne Thema und spezielle Inspirationsquelle, verbrachte er Tage und Nächte in seinem Atelier, baute Moodboards und träumte sich in Farbwelten. Das Ausgetüftelte kann sich sehen lassen und begeistert nicht nur unsere Redaktion, die sich inzwischen schon ganz schamlos als großes Hien-Le-Groupie bezeichnet, nein auch die Mädels und Jungs, die das Glück hatten bei seiner Studio-Präsentation dabei zu sein, sind restlos begeistert.

Nicht mehr weit vom Ziel entfernt ist der in Laos geborene Wahl-Berliner. In seiner Rakete peilt er den Modeweltraum an, um ihn für sich zu erobern. Denn es hagelt nur so Komplimente vom Modehimmel. Vergleiche mit den Großen, wie Michael Sonntag und Vladimir Karaleev, schmeicheln ihm. Doch er wirkt alles adere als abgehoben, sitzt uns im Gespräch gegenüber und erzählt von seinem Modedesign-Studium an der Berliner FHTW, seinen Ängsten, kein Geld mit seinem großen Traum verdienen zu können und seiner Familie, die ihn erdet. Der 32-jährige ist einer von uns und irgendwie auch nicht. Denn er scheint zaubern zu können – zumindest  hat er uns verzaubert. Er ist ruhig und besonnen, wenn er spricht, wie ein Fels in der Brandung. Und nach der Stunde mit ihm bleibt uns gar nichts anderes übrig, als ihm und seinen Designs willenlos zu verfallen. Ein bisschen verknallt sind wir außerdem. Wie man sich seine kommende Herbst/Winter-Kollektion vorstellen kann? Wie ein gelungenes Rendezvous zwischen Bauhaus-Ästhetik und den Farben Orange, Mint und Meerwasserblau.  Wir durften den Designer und detailverliebten Künstler treffen und haben ihn für euch und uns mit Fragen gelöchert…. 

Sag mal Hien, wie bist du eigentlich zur Mode gekommen?

 Also eigentlich habe ich schon ziemlich früh angefangen. Da war ich 12, glaube ich. Da habe ich die erste Modedoku gesehen, die mich fasziniert hat und von da an habe ich beschlossen was mit Mode zu machen. Nach der Schule habe ich dann erst einmal eine Schneiderausbildung in Berlin gemacht. Später bin ich ins Ausland gegangen, habe Französisch gelernt und zwei Praktika absolviert. Nach einem Jahr bin ich zurück gekommen, um mich an der FHTW einzuschreiben, das war’s aber schon zu spät, also habe ich mit Bekleidungstechnik angefangen. Ziemlich schnell habe ich dann aber gemerkt, dass Technik überhaupt nichts für mich ist. Chemie, Mathe, Maschinentechnik und all das. Den Test für Modedesign habe ich erst beim zweiten Mal bestanden. Vorher habe ich viel parallel gemacht, auch journalistische Praktika, ich musste wissen, was es noch so gibt. Aber aus dem tiefsten Herzen wusste ich, ich möchte wirklich Modedesign machen.

Du hast aber auch recht lange bei der Agentur V gearbeitet… 

Genau, ich habe dort zwei Jahre im Sale gearbeitet. Das war die beste Schule, die ich haben konnte. Irgendwann bin ich aber doch zurück nach Paris und habe schell gemerkt, dass das was ich so mache und woher ich komme, dass mir das sehr fehlt. Diese ganze Sales-Aufgabe, dich ich für andere Designer mache, dachte ich mir, warum mache ich das nicht einfach für mich selber?

Und dann ist etwas ganz Wunderbares dabei heraus gekommen. Hattest du denn schon immer deinen eigenen Stil, diesen typischen Hien-Le-Charakter in deiner Mode?

Ich glaube, so ein gewisser Stil steckt einfach in dir drin. Während des Studiums vertiefst du ihn dann immer mehr. Das, was du machst, das ist dein Stil. Aber natürlich entwickelt man sich weiter. Das hier, das ist meine 4. Kollektion und wenn ich mir meine erste dann anschaue, dann sehe ich natürlich Unterschiede. Weil man reift.  Ich kann mir auch vorstellen, dass ich bei der nächsten Kollektion noch einen Schritt weiter gehen und etwas ganz anderes machen werde, aber seiner ganz eigenen Handschrift muss man immer treu bleiben. Es macht eben auch schlichtweg keinen Sinn, dass die Leute deine Kollektion sehen und nicht wissen, wer nun der Designer ist – wenn du noch so am Anfang stehst. Ja, da ist eine eigene Handschrift sehr wichtig, alles andere fördert ja auch den Verkauf nicht. Ich bin immer bereit, zu experimentieren, aber ich glaube, dass Hien Le immer Hien Le bleiben wird. Das wird nie in eine komplett andere Richtung gehen – außer vielleicht in ganz schön ferner Zukunft.

Was genau ist denn das, was Deine Designs ausmacht? Wie zeigt sich deine Handschrift?

Was vielleicht am auffälligsten ist: Jede Kollektion kommt komplett ohne Schwarz aus.

Magst du Schwarz denn nicht?

Ich liebe Schwarz über alles. Und ich trage selber auch super gerne Schwarz, bloß kann ich es in meinen Kollektionen nicht verarbeiten. Das Duo hinter Augustin Teboul zum Beispiel, bei denen ist alles Schwarz und es sieht wunderbar aus. Aber ich selbst entscheide mich immer dagegen. Wenn ich den ersten Entwurf mache, dann ist der komischerweise immer schwarz. Und wenn ich eine Stoffmessen besuche, dann ist das, was ich anfasse, auch schwarz. Aber wenn es dann wirklich darum geht, meine Kollektion zu fertigen, dann entwickelt sich langsam die Farbe, bis nichts mehr vom Schwarz übrig ist. Bisher hat sich jedenfalls noch niemand beschwert…

 Also es ist nicht so, dass du Schwarz kategorisch ablehnst.

 Nein. Aber wann immer ich ein schwarzes Teil gefertigt habe, überkommt mich plötzlich das Gefühl, dass es irgendwie unter geht und sich schwer anfühlt. Ich bin einfach noch nicht bereit dazu, aber vielleicht ja schon bald. 

Aber glaubst du denn nicht, dass du damit auch ein bisschen den jetzigen Zeitgeist aufgreifst? Ich glaube, es ist selten so gewesen, dass so viele Herbst/ Winter Kollektionen so hell waren und dass man zu derart vielen Pastelltönen griff. Glaubst du, es hat vielleicht auch was mit den Käufern zu tun, weil sie selbst keine Lust mehr haben, sich im Winter permanent düster zu kleiden?

Ja, sicherlich. Ich finde ja selbst, der Winter ist grau genug. Wir kennen doch alle diese Winterdepression. Ich war einfach schon immer ein Freund von leichten Teilen,von allem, was luftig und locker ist. Bei dieser Kollektion habe ich aber auch kurz daran gedacht, ob das alles nicht vielleicht zu pastellig ist. Aber am Ende greife ich ja trotzdem den Winter auf. Es gibt Mäntel und Blousons, die gefüttert sind. Und Strick! Man kann im Winter also auch viel winterliches schaffen ohne Grau und Schwarz zu zeigen.

Deine letzte Kollektion war stark von deinen Wurzeln beeinflusst. Und woher kam diesmal deine Inspiration?

Diesmal habe ich mir gar kein Thema gesucht, keine spezielle Inspirationsquelle. Ich habe komplett frei gearbeitet, ja, fast inspirationsfrei.Bloß Moodboards, die bastle ich mir immer.

Deshalb hat deine Kollektion auch keinen Namen. Aber ist das wirklich möglich, das komplett inspirationsfreie Arbeiten?

Inspirationsfrei ist vielleicht das falsche Wort gewesen, inspirationsfrei ist man vielleicht nie. Aber ich hatte eben nicht diese eine Quelle. Aber es gibt immer wieder Designer, zu denen man aufschaut. Gerade finde ich Céline ganz toll. Jil Sander immer und immer wieder. Ich schaue auch zu vielen belgischen Designern auf, zum Beispiel Veronique Branquihno, bei der ich mal ein Praktikum absolvieren durfte.

Sogar die Vogue berichtet derzeit über dich, zu dir kann man mittlerweile also auch aufschauen. Uns gefällt neben deiner Farbwelt vor allem dieses  Spiel mit unterschiedlichen Materialien.

Ja, diese Saison habe ich ganz viel mit Alcantara gearbeitet. Das ist ein lederähnliches Material, was aber eben kein Leder ist. Das habe ich dann mit Wolle gemischt, mit dünner, aber auch fester, und viel mit Volumen gespielt. Und zum ersten Mal habe ich mit einer Häkeltechnik gearbeitet, weil manche Stücke noch grober und fester werden sollten.

Wie wählst du denn die Materialien bei deiner Kollektion aus? 

Ich besuche gerne die Stoffmesse in München, dann lasse ich mir Laschen zuschicken und schaue, was passt. Auch preislich. Es gibt so viele wunderschöne Stoffe, gerade jetzt bei der Winterkollektion, aber viele liegen schlichtweg nicht in meiner Preisklasse. Wenn ich einen Stoff bestelle, dessen Meter schon alleine 200 Euro kostet, dann könnte ich das später gefertigte Teil überhaupt nicht verkaufen. Aber ja… es gibt so wunderschöne Stoffe. Du fasst sie an und möchtest dich reinlegen.

Und wo kommen die Stoffe her? Das ist ja grade auch so ein riesengroßes Thema.

 Letztendlich muss man jahrelange Recherche betreiben, um wirklich herausfinden zu können, wo kommt der Stoff her, wo wird er wirklich gewebt, wo wird er gefärbt. Die meisten Stoffe, die ich beziehe, stammen aus Europa.Die Baumwolle aus der Schweiz und aus Holland. Die Wolle ist aus Deutschland. Die Seide hingegen kommt aus Deutschland und Frankreich. Aber wo die Seide am Ende zum Beispiel gefärbt wird, das bedarf einer langen Recherche.

Was sagst du denn zu oft thematisierten „deutschen Geradlinigkeit“? Existiert sie wirklich?

Die gibt es sicherlich. Das haben aber nicht wir Jungdesigner erfunden, die gab es schließlich schon sehr früh bei Jil Sander zu sehen. Ich glaube, dass der deutsche Stil grundsätzlicher schon immer reduzierter war – gerade wenn wir an Bauhaus denken. Diese neue Berliner Sauberkeit hingegen, wurde jetzt ganz neu von den Medien entdeckt.Ich glaube aber, es ist eher Zufall, dass viele von uns sich an dieser Geradlinigkeit orientieren, zumal wir  ja der selben Designergeneration angehören. Wir haben alle in Etwa zur gleichen Zeit abgeschlossen, unser Label gegründet. Im Vergleich, vor zehn Jahren, da war der Berliner Stil noch sehr bunt, sehr Jersey, sehr laut. Jetzt gehen viele Designer in eine ganz andere Richtung und das wird  dann heute als „der Berliner Stil“ gehandelt. Ich weiß aber gar nicht, ob das wirklich der Berliner Stil ist. Das sind einfach wir und unser Design und unser Stil. Vielleicht ist das auch ein sehr deutscher Stil, aber der Berliner? Ich freu mich andererseits natürlich, dass alles so angenommen und so hoch gelobt wird. Und auch in einer Riege zu stehen mit großartigen Designern wie Michael Sonntag und Vladimir Karaleev. Die ich selber auch großartig finde. Das ist ein großes Kompliment für mich. Mit ihnen darf man mich gern in eine Schublade stecken.

 Trägst du denn manchmal auch deine eigenen Sachen?

 Das Problem ist: In die Männersachen passe ich nicht rein, die sind zu groß. Bloß manche Frauensachen passen mir. Aber bei dieser Kollektion waren wir so früh fertig, schon zwei Tage vorher, dass meine Assistentin mir einfach etwas für die Präsentation genäht hat. Sie findet nämlich, das gehöre sich so. Jetzt bin ich froh, wenn ich die Bildern des Abends sehe und ich mich selbst in meiner eigenen Kollektion.

Jetzt erzähl doch mal ein bisschen was über den Menschen Hien. Wenn du nicht in deinem Atelier sitzt, was machst du denn dann?

Zum Ausgleich gehe ich gerne zum Yoga. Ansonsten bin ich sehr glücklich, wenn ich meine Freunde mal sehe. Gerade auch Leute, die nichts mit Mode zu tun haben. Klar, das hat alles Vor- und Nachteile, ich habe auch Modefreunde, die alles verstehen. Aber die Anderen halten dich auf dem Boden.

Deine Familie steht dir aber auch sehr nah…

Oh ja, sehr. Und trotzdem haben sie damals nur akzeptiert, dass ich eine Schneiderlehre mache, weil mein Opa auch Schneider war. Und Mode, das haben sie nur erlaubt, weil es ein echtes Studium war. Als ich mein Diplom gemacht habe, haben sie dann erstmals begriffen, was ich da eigentlich mache.

Was ist das, was dich am Glücklichsten machen würde?

Wenn ich die totale Sicherheit hätte, dass es wirklich alles fruchtet. Eine Kollaboration wäre auch toll.

Deine Kollektion ist recht minimalistisch, wohnst du auch so?

 Ja. Den Stil hat man wirklich irgendwie in sich. Das war automatisch so. Helle Räume sind mir wichtig. Dann habe ich Weitsicht, dann kann ich klarer denken.

Was macht dich aus, Hien?

 Ich bewahre Ruhe, wirke entspannt.

Hast du manchmal auch das Gefühl, man müsse „böser“ werden, um Erfolg zu haben?

 Ja, das habe ich schon während des Studiums gemerkt, dass viele so denken. Ich habe immer noch gedacht, dass wir doch alle an einem Strang ziehen und im selben Bott sitzen. Wir hatten ja noch nichts geleistet. Dabei ist es wichtig freundlich zu bleiben, zu kommunizieren. Ich verlasse mich stark auf mein Gefühl, auch in Bezug auf Menschen. Ich bin zu den Leuten so wie sie zu mir sind. Aber ich glaube eh immer an das Gute.

 Bist Du ein spiritueller Mensch?

 Eigentlich denke ich darüber nicht nach. Aber ja, vielleicht bin ich das wirklich.

 Danke, lieber Hien. Wir drücken dir für Alles ganz feste die Daumen.

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Interview & Fotos:
Nike van Dinther & Sarah Gottschalk

Text:
Jessica Oemisch.

 

 

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