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Maxie Wander: Guten Morgen, du Schöne

16.01.2017 Buch, Feminismus

maxi wander guten morgen du schoeneFast 40 Jahre alt ist Maxie Wanders Guten Morgen, du Schöne – ein Klassiker der DDR-Literatur. Authentisch erzählen Frauen darin von sich selbst, von ihren Träumen und Problemen. Das ist auch heute noch unbedingt lesenswert und überraschend aktuell

Ich bin in Westdeutschland aufgewachsen, wo man in der Schule sehr viel über den Holocaust lernte (zu Recht) und sehr wenig über die DDR (zu Unrecht). Die Scorpions hatten den „Wind of change“ herbeigesungen, die deutsch-deutsche Teilung war überwunden und wir alle Teil eines großen, glücklichen Volkes. Bei meinem ersten Trip in die ehemalige DDR hing ich in Dresden dermaßen fasziniert vor diversen „Ostalgie“-Produkten, dass meine in Ostdeutschland aufgewachsene Freundin Marie nur ungläubig den Kopf schüttelte.

Mittlerweile bilde ich mir ein, doch ein bisschen mehr über die DDR und Ostdeutschland zu wissen – alles andere wäre nach fünf Jahren Erstwohnsitz Berlin auch mehr als traurig. Und trotzdem habe ich Maxie Wanders wunderbares Buch Guten Morgen, du Schöne erst jetzt gelesen. Eine Freundin hat mir diesen 40 Jahre alten Klassiker der DDR-Literatur zum Geburtstag geschenkt und ehrlich gesagt war ich skeptisch, wie aktuell und interessant das heute noch sein kann: 19 Frauen im Alter von 16 bis 92 Jahren aus der DDR, die von ihren Sorgen und Hoffnungen, von Träumen und Liebe erzählen.

Mehr als die Summe der Teile

Die aus Österreich stammende Reporterin Maxie Wander hat die Gespräche aufgezeichnet und dann zu Monologen verdichtet. Der Charakter jeder einzelnen Frau tritt aus den Worten ganz klar hervor, Wander hat Gabi, Susanne, Karoline und den anderen ihre Art zu sprechen gelassen. Letztendlich ist das Buch so auch viel mehr als bloße „Protokolle nach Tonband“, wie es im Untertitel bescheiden heißt. Die Schriftstellerin Christa Wolf schreibt im Vorwort sehr richtig, die Sammlung an Frauengeschichten sei mehr „als die Summe ihrer Teile: Fast jedes der Gespräche weist durch Sehnsucht, Forderung, Lebensanspruch über sich hinaus, (…)“. Wander hat viel mehr getan, als aus einer Tonbandaufnahme einen Fließtext zu verfassen – sie ist selbst Teil dieser Texte, eine Präsenz. In den Worten Christa Wolfs: „Nur scheinbar fehlt diesen neunzehn Protokollen das zwanzigste, die Selbstauskunft der Autorin; aber sie ist ja anwesend, und keineswegs bloß passiv, aufnehmend, vermittelnd.“ Es muss jemanden geben, der die richtigen Fragen stellt und seinem Gegenüber wirklich zuhört, um Protokolle wie die in Guten Morgen, du Schöne hervorbringen zu können.

Und diese Protokolle, diese Stimmen von Frauen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen, klingen 2017 noch genauso aktuell wie 1977. Da ist die Schülerin, die Angst vor Nähe hat, sich aber auch nach Liebe sehnt. Da ist die Lehrerin, die keinen Spaß am Sex mit ihrem Mann hat – und glaubt, sie müsste sich einfach mehr Mühe geben. Oder die Bibliothekarin, die sich von den Erwartungen ihrer Eltern freimachen möchte. Manche der Protokolle lösen sofort etwas aus, man denkt vielleicht an eigene, ähnliche Erlebnisse, kann sich mit der Frau, die da spricht, identifizieren. Andere nicht. Aber jede der in den Protokollen festgehaltenen Stimme ist authentisch, jede Stimme hat etwas zu sagen. Manche der Frauen sind wahnsinnig lebensklug und man möchte die von ihnen gesagten Sätze dreimal unterstreichen.

Mischung aus Selbst- und Fremdbetrachtung

Bei all dem klingt die DDR mit – sie ist ein stetiges Hintergrundrauschen, wird aber nie laut. Kein Wunder, dass Guten Morgen, du Schöne auch im Westen zum Erfolg wurde. Das heißt nicht, dass das Buch nicht durch die Situation der DDR geprägt ist: Immerhin war die Gleichberechtigung der Geschlechter in der DDR-Verfassung festgeschrieben, anders als im Westen gingen Frauen selbstverständlich arbeiten. Gesellschaftlich, wenn man so will, ist das Problem der Gleichberechtigung also gelöst. Theoretisch. Christa Wolf schreibt: „Die gesellschaftlichen Widersprüche, die bisher die Tendenz hatten, sie (die Frau, Anm.) aufzureiben, zu überrollen, treten jetzt in der subtileren Form des persönlichen Konflikts an sie heran, für dessen Lösung ein Rollenverhalten ihr nicht vorgegeben ist.“ Was macht man mit den neuen Freiheiten? Wie integriert man sie in sein Leben und findet für sich neue Verhaltensweisen und Rollen? Fragen, die nicht nur Frauen in Ostdeutschland beschäftigten und beschäftigen.

In Maxie Wanders Protokollen dürfen Frauen so sein, wie sie sind, und wie sie sich gerne geben wollen. Die Autorin selbst schreibt in der Vorbemerkung: „Ich halte jedes Leben für hinreichend interessant, um anderen mitgeteilt zu werden“. Heraus kommt so eine interessante Mischung aus Selbst- und Fremdbetrachtung. Das Buch zeigt auch, wie weit unsere Gesellschaft in Sachen Gleichberechtigung schon gekommen ist – und wie viel noch zu tun bleibt. Das Private ist eben immer noch politisch.

3 Kommentare

  1. Katrin

    Wie schön, dass das Buch hier vorgestellt wird! Ich halte es auch für einen wahren Schatz. Habe das Buch in derselben Auflage vor ein paar Jahren auf einem Berliner Flohmarkt gefunden, mit eingekritzelten Kommentaren, in denen einige der Frauen, die der/dem Leser/in offenbar bekannt waren, mit Klar- oder Spitznamen aufgelöst werden. Sehr intime Lektüre war das, manchmal auch etwas bedrückend.

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  2. KATRIN DUSSAN

    Ich freue mich auch sehr, dass dieses Buch hier vorgestellt wird. Ich habe es vor über 30 Jahren gelesen und mich tatsächlich bis zum heutigen Tag daran erinnert. Ich ging zu dieser Zeit noch in die Schule (in Westdeutschland) und habe durch die Schilderungen dieser „ganz normalen Frauen“ einen echten Einblick bekommen, wie das Leben so kommen kann und fand es etwas bedrückend, dass so viele dieser Frauen in Situationen steckten, mit denen sie nicht richtig glücklich waren. Irgendwie hat es mir eine Ahnung davon gegeben, dass man nicht immer alles so gestalten kann, wie man es sich als junger Mensch erträumt. Viele dieser Frauen fand ich beeindruckend, stark und mutig. Ihre Schilderungen waren sehr authentisch und ehrlich. Ja, und ich hatte auch den Eindruck, dass Maxie Wander diesen Frauen mit sehr viel Respekt entgegen tritt und ihren Geschichten mit dem gleichen Respekt Ausdruck verleiht. Wahrscheinlich steht das Buch noch bei meiner Mutter im Bücherregal. Wenn ich das nächste Mal in meine alte Heimat fahre, werde ich es suchen und lesen. Ich bin schon gespannt, wie ich es aus heutiger Sicht empfinde.

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  3. Pingback: Klicktipp „‚Ich sage es hier auf Tonband, damit alle mich hören können‘. Erzählungen von Frauen“, ORF-Mediathek « Salon 21

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