Der Tag, an dem ich meine Augenbrauen blondierte oder: Von Identitätskrisen, die Gutes tun

17.09.2021 Kolumne, Beauty, box3

An einem trüben Sonntagmorgen, ich war gerade aufgewacht und spürte, wie die vierte Identitätskrise des Monats über mich schwappte, beschloss ich, mir die Augenbrauen zu bleichen. Eigentlich hatte ich schon lange gewusst, dass der Moment irgendwann kommen würde, immerhin stapelten sich in meinem Pinterest-Ordner schon seit einigen Wochen ganze Türme voller inspirierender Bilder (Givenchy FW16 und Gucci FW12 sei Dank). So wirklich getraut hatte ich mich bisher allerdings noch nicht. Wobei, mit Mut hatte meine morgendliche Aktion nicht sonderlich viel zu tun, vielmehr war mir der Gedanke des Scheiterns einfach bloß ziemlich egal. Diese Gleichgültigkeit ist von Vorteil, wenn man gerade dann etwas an seinem Äußeren ändern möchte, wenn alle Geschäfte geschlossen sind und man im Falle eines fatalen Fehltritts keine Möglichkeit mehr hat, einfach alles wieder zu überfärben. Glücklicherweise kannte ich mich zu jenem Zeitpunkt so gut mit desaströsen Färbeunfällen aus, dass mich selbst der Anblick einer knallgelben Haarpracht nicht mehr zum Weinen bringen konnte — ich war also bestens gewappnet. 

Nachdem ich meinen Schlafanzug gegen mein fleckiges Färbe-T-Shirt ausgetauscht und eine motivierende Playlist auf voller Lautstärke aufgedreht hatte, widmete ich mich meiner Haarfarbenkiste, die ich in der Abstellkammer gleich neben dem Werkzeugkasten aufbewahre. Ich fand: Blondierpulver, einen Entwickler, einen Pinsel und ein kleines Plastikschälchen und fühlte mich mindestens genauso professionell wie all die Beauty-Gurus auf YouTube (denen ich übrigens auch mein geballtes Wissen zu verdanken habe). Mithilfe meiner Kaffeewaage mischte ich sorgfältig eine kleine pastellfarbene Masse an, ganz so, wie ich es in den 120 Minuten „How I bleach my eyebrows at home“-Videos gelernt hatte. Selbstbewusst stülpte ich mir die schwarzen Gummihandschuhe über, ließ sie an den Handgelenken schnalzen, schmierte mir die Partien um die Augenbrauen (Pro-Tipp) mit reichlich Vaseline ein und ging schließlich zum spannenden Teil über. Es folgten: Zehn Minuten voller Angst, das Gemisch nicht gleichmäßig aufgetragen zu haben und anschließend wie eine Zebra-Manguste auszusehen sowie eine wahnwitzige Euphorie, die mich zuweilen selbst etwas gruselte. Zwischendurch immer wieder der Gedanke, ich könne mir das Zeug ja vielleicht doch noch rechtzeitig wieder abwaschen, doch ein Blick auf die Uhr machte mir in mystischer Wolfsheim-Stimme klar: Es geht kein Weg zurück. Na gut, dann eben nicht. So wirklich ernst gemeint habe ich es ja auch gar nicht.

 
 
 
 
 
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Kurze Zeit später (einer der Vorteile des Augenbrauenfärbens: Die Veränderung ist in wenigen Minuten vollbracht und eignet sich somit perfekt für ungeduldige Menschen wie mich) war er auch schon da, der Moment der Wahrheit, den ich mir so lange ausgemalt hatte. Voller Vorfreude trug ich die Überreste der Paste ab, blickte in den Spiegel und sah: Lord Voldemort? Zugegeben, ein wenig glamouröser hatte ich mir den Augenblick schon vorgestellt, in der Realität war es aber tatsächlich der erste Gedanke, den ich hatte. Erst als ich die ersten Sekunden der großen Enthüllung überstanden und mich von allen Seiten begutachtet hatte, merkte ich, dass mir das Ergebnis verdammt gut gefiel — eben weil es nicht konventionell schön, sondern auf eine gute Art merkwürdig war. Okay, ein wenig gelblich leuchteten meine Brauen schon, aber auch das war nichts, das eine kleine Abmattierung (10/81 lichtblond perl) nicht richten konnte.

In den kommenden Tagen fühlte ich mich trotz merkwürdiger Blicke und argwöhnischer Kommentare richtig gut mit diesen neuen Augenbrauen. Ja, ich würde sogar behaupten, dass mich ein Gefühl der Befreiung überkam und zugleich eine Last von mir abfiel. Ganz plötzlich verstand ich die Aussage „Mut zur Hässlichkeit“ als einen völlig neuen Ansatz. Nämlich als einen, der es mir erlaubte, gängigen Schönheitsidealen und damit auch meinen eigenen angewöhnten Vorstellungen von mir selbst zu entfliehen. Indem ich etwas vermeintlich Unattraktives tat und wirklich einmal nur darauf achtete, ob es sich gut anfühlen würde, holte ich mir ein Stückchen Freiheit und damit auch eine gute Portion Selbstzufriedenheit zurück. Selbst die Lust, mich mit meinen bunten Lidschattenpaletten auseinanderzusetzen, keimte in mir auf (meist wählte ich irgendetwas zwischen glitzerndem Hellgrün, blassem Rosa und leuchtendem Violett) und auch die simpelsten Outfits fühlten sich nach mehr an, als sie es eigentlich waren. Kurzum: Ich fühlte mich frisch und neu und aufregend und all das hatte ich bloß einem kurzen Anflug meiner eigenen Impulsivität zu verdanken. Ich klopfte mir ausnahmsweise einmal selbst auf die Schulter und schickte einen Dankesgruß an all jene Menschen, die ihr Wissen geduldig in kurzen YouTube-Videos aufbereiten.

Mittlerweile sind meine Augenbrauen wieder dunkel, was ich ehrlicherweise ziemlich schade finde. Irgendwann aber wurde mir der Aufwand, die sauber blondierten Brauen beizubehalten (die nachwachsenden Härchen sah man bei mir bereits nach zwei Tagen), einfach zu hoch — an dieser Stelle wurde mir meine eigene Faulheit leider wieder einmal zum Verhängnis. Eines aber kann ich bereits jetzt mit großer Sicherheit sagen: Die nächste Identitätskrise kommt bestimmt. Und für diesen Moment steht mein kleines „How I bleach my brows at home“-Kit schon bereit (in einem Karton gleich neben dem Werkzeugkasten).

6 Kommentare

  1. Mila

    Hm, dein Text ist wirklich witzig, Julia, da ich aber von Natur aus sehr helle rot-blonde Augenbrauen habe (da naturrotes Haar) fühlt es sich nicht richtig gut an, wenn ich lese, dass es für ganz helle Augenbrauen offenbar „Mut zur Hässlichkeit“ braucht und dass es etwas vermeintlich Unattraktives sein soll, was nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Ich habe meine Augenbrauen nie geschminkt, immer blass gelassen, und hässlich fühle ich mich damit wirklich null. Im Übrigen finde ich, dass die hellen Augenbrauen an dir super aussehen!

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    1. Katharina

      Hallo Mila, ich glaube, Julia meinte damit nicht natürlich helle Augenbrauen an Menschen mit ähnlich hellen Haaren, sondern ebenjene Typveränderung an ihr selbst, die sie dunkelhaarig ist 🙂 zudem liegt Schönheit, ebenso vermeintliche Hässlichkeit, ohnehin im Auge der Betrachterin!

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      1. Julia Carevic Artikelautorin

        Oh nein, liebe Mila, das wollte ich damit absolut nicht sagen, entschuldige bitte, dass ich ein schlechtes Gefühl in dir ausgelöst habe, das tut mir Leid! Ich meinte tatsächlich bloß, wie Katharina schrieb, den starken Kontrast zwischen meinen dunkleren Haaren und den sehr hellen Augenbrauen (was nicht als konventionell schön betrachtet wird). In dem Artikel ging es mir lediglich um mein eigenes Aussehen, nicht um das anderer Personen – ansonsten nämlich liebe ich sehr helle Augenbrauen genauso sehr wie dunkle oder abrasierte 🙂

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  2. Suzie

    mystische Wolfsheim-Stimme – ich hau mich weg. Cool. Die hör ich auch öfters…
    Ansonsten sieht das absolut toll aus. Habe mich auch schon öfters mit dem Gedanken getragen. Aber wenn es sich so schnell raus wächst?! Da bleib ich mal besser beim Träumen.

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