Interview // Julia Grosse, wie funktioniert die Liebe und was können wir von Oma lernen?

21.03.2018 Buch, Leben, box3

Vor ein paar Tagen landete Julia Grosses Buch „Ein Leben lang“ auf meinem Tisch. Genau im richtigen Moment, wenn man so will. Denn auch ich frage mich manchmal: Wie soll das überhaupt funktionieren, dieses große Rätsel namens Liebe? Und ist es überhaupt möglich, wahnsinnige 70 Jahre lang mit einem einzigen Partner oder einer einzigen Partnerin glücklich zu sein? Schon. Dass es einfach ist, behauptet aber niemand. Und dennoch gibt es sie, Menschen, die es geschafft haben, gemeinsam alt zu werden, Seite an Seite. Julias Großeltern zum Beispiel. Deren Beziehung erschien der Autorin, Kunsthistorikerin, Journalistin und Chefredakteurin des Kunstmagazins Contemporary And bis zuletzt als Maß aller Dinge – und warf gleichsam etliche Fragen auf: 

Wie hält man eine so tiefe Verbundenheit über ein ganzes Leben aufrecht? Besonders in einer Zeit, in der es zahlreiche Beziehungsmodelle gibt, die längst nicht alle einen Ewigkeitsanspruch haben. Und was für Wege gab es neben dem ihrer Großeltern? Um Antworten zu finden, ist Julia Grosse, die in Berlin lebt und arbeitet, quer durch Deutschland und bis nach New York gereist. Sie hat Liebespaare getroffen, die auch nach vielen Jahren, tiefen Einschnitten und gemeisterten Krisen in der Gewissheit leben, ihren Seelenverwandten gefunden zu haben. Herausgekommen sind hinreißende Porträts die zeigen, dass die Liebe zwar nicht immer wie im Märchen verläuft, dass man aber trotz allem gemeinsam glücklich bis ans Lebensende sein kann. Wir haben da mal etwas genauer nachgehakt und legen euch „Ein Leben lang“ hiermit wärmstens ans Herz.

„Auch wenn es kein Patentrezept für eine lange Beziehung gibt, so soll dieses Buch doch Mut machen, dass es diverse Wege gibt, die es möglich machen, obwohl um einen herum angeblich jede dritte Beziehung wieder auseinander geht.“

[typedjs]"I want you in my life till the day I die, baby." - D'Angelo, Higher[/typedjs]

Liebe Julia. Du hast ein Buch über die Liebe geschrieben. Darüber, was wir von unseren Großeltern über dieses komplizierte Rätsel lernen können. Meinst du, man lernt am besten in der Retrospektive aus und über die Liebe? Und: Kann man überhaupt von anderen lernen, wenn es um eine so individuelle Angelegenheit geht?

Das mit dem „Lernen von…“ ist natürlich nicht wortwörtlich zu verstehen, weil, genau, jeder im Endeffekt seine eigenen Erfahrungen in der Beziehung, in der Liebe, selber machen muss. Dennoch hat mich, inspiriert durch die Liebe meiner Großeltern, die Tatsache gereizt, mit Menschen zu sprechen, die nun einmal so alt sind, dass sie mir von ihrer 70jährigen Erfahrung erzählen können. Solche „Zeitzeugen“, was sie ja sind, werde ich ja nie wieder treffen. Ich bin mit meiner zehnjährigen Beziehung vielleicht in meinem eigenen Kontext bereits ein „Oldie“, aber was habe ich an Erfahrung im Vergleich zu 70 Jahren? Das wollte ich einfach herausfinden. Vor allem aber auch inspiriert durch genau diese Megalove meiner Großeltern und die Frage, ob deren Weg der einzig begehbare ist. Das Tolle: nachdem ich diese ganzen Paare getroffen habe, ist die Erkenntnis: Nein, es gibt diverse Wege und Spielarten der langen Liebe. Paare, die sich mit 90 noch angiften wie Kinder auf dem Grundschulhof. Oder Paare, die auf den ersten Blick nie wirkliche Nähe ausstrahlen, sich eben nicht ständig im Arm halten, aber darunter eine tiefe, solidarische Freundschaft und Liebe liegt. Das waren wunderbare Erkenntnisse!

Julias Großeltern.

Ich bin ganz ehrlich: Bis zum Ende habe ich dein Buch noch nicht durch, aber ich bin dabei, es zu verschlingen und gespannt, was mich erwartet, denn: Ich lebe seit neuestem in einer sogenannte LAT-Beziehung, wir sind bewusst wieder auseinander gezogen, trotz gigantischer Liebe. Werden die Geschichten in deinem Buch auch ungleichen Beziehungsmenschen wie mir Hoffnung machen?

Wie kam es denn bei euch dazu?

Wir leben unsere Beziehung quasi anders herum. Er ist vor zwei Jahren aus den Bergen zu mir gezogen, direkt rein ins Patchwork. Und wir haben es uns ein bisschen zu gemütlich gemacht, zu zweit. Er muss jetzt mal kurz versuchen, sich auch ein Leben aufzubauen, das eigenständig ist und nicht an meinem klebt. Viele denken dann: Schrittweise Trennung, aha. Aber das ist es, gefühlt, keineswegs. Neulich haben wir uns zum ersten Mal richtig verabredet und waren beide ganz aufgeregt.

Das kingt toll bei euch! Es ist wichtig, dass Beziehungen sich verändern (dürfen), dass man z.B. jahrzehnte ein Modell lebt, bei dem man sich selten sieht, aber dann irgendwann auch wieder die Form wechselt und eng miteinander ist. Das Paar, von dem ich sprach, ist jetzt in ihrem schicken Seniorenstift Tag und Nacht zusammen, ABER gehen immer noch ihren individuellen Interessen nach. Er arbeitet am Rechner, sie geht in einen Kurs. Keiner würde den anderen zwingen, etwas zu tun, was er oder sie nicht will. Den Grad an Toleranz, den diese Paare ALLE hatten, fand ich beeindruckend. Ich habe also auch gelernt: Toleranz ist so ein einleuchtendes Wort, seid tolerant!

Ich wollte dich eben nach einer Schnittstelle zwischen den Paaren, bzw. deren Glücks fragen. Toleranz also! Das klingt so einfach und doch so schwer. Jeder weiß ja eigentlich: Was man einsperrt, verkümmert irgendwann. Die Umsetzung aller guten Vorsätze wird dann aber doch oft zur Herausforderung.

Ja, in der Praxis ist Toleranz viel Arbeit! Das haben wirklich alle betont: Liebe ist viel Arbeit.

Das ist sie. Und dennoch schreibst du auch: Die Sehnsucht nach der einen, großen Liebe dominiert noch immer. Das unterschreibe ich so! Aber meinst du, die Wege dorthin sind heute tatsächlich komplizierter (weil freier gestaltbarer) als früher? Oder hat sich eigentlich nicht viel geändert, wenn du dir die Pärchen aus deinem Buch anschaust?

Haben wir es heute schwerer als früher? Ja und nein, klar. Aber einiges gilt damals wie heute.
Alle Paare haben uns als jetzige, junge Paare regelrecht irritiert angeschaut und gefragt: Warum belastet ihr euren Partner oder eure Partnerin mit diesem irren Anspruch, ALLES erfüllen zu müssen? Das ist exakt das, was Druck und Stress kreiert. Wieso in aller Welt soll der/die „Eine“ alles erfüllen müssen? Ein Paar brachte es auf den Punk: Die Partnerschaft muss nicht ständig die tollste, schönste, innigste, prächtigste, erfolgreichste sein. Die Partnerschaft kann auch einfach sein, ohne jeden Tag ein Feuerwerk entzünden zu müssen.

 

[typedjs]"Es geht in unseren (inneren und gemeinsamen) Konflikten und Sorgen tatsächlich viel um dieses heutige Gefühl von "verhaftet sein" und die kapitalistische Idee der Hollywood-Beziehung, die Sinn machen muss, glänzen muss, sexy sein muss ect. Viele der befragten Paare sagten, dass sie die Beziehung damals eingegangen sind, weil man sich natürlich gegenseitig toll fand, es aber vielleicht auch ein Stück weit praktisch war. Diese Situation haben wir, zumindest im westlichen Kontext, ja heute gar nicht mehr. Da geht es um die reine Suche nach der perfekten einen Person.[/typedjs]

Und die gibt es ja nun wirklich nicht. Nicht so, wie Märchen es lehren. Ich denke auch, dass unser Stress bezüglich der „perfekten Beziehung“ nicht wenig mit diesem verklärten Hollywood-Bild von Liebe zu tun hat. Ach, was. Selbst auf der Straße sieht man ja nur Ausschnitte von anderen Lebensentwürfen, von denen man sich gern blenden lässt. Ich denke dann oft, wenn ich ein Paar mit Kinderwagen und Hund und allem drum und dran, sehe: Schon wieder welche, die volle Möhre aneinander kleben und superglücklich sind. Wieso schaffen die das? Wieso schaffe ich das nicht? Mir scheint aber fast, ein weiteres Geheimnis von immer wiederkehrendem Glück ist tatsächlich das Schaffen von Freiräumen. Für beide.

Tatsächlich finde ich noch wichtiger als Freiraum, den ich auch extrem wichtig finde, die Idee von der Balance in einer Beziehung. Und die entsteht ja oft dadurch, dass eben beide Dinge tun, die sie zufrieden machen. Wenn nur der/die eine sein Ding durchzieht und der/die andere zurücksteckt, kippt es irgendwann, und das haben mir auch Paare aus eigener Erfahrung berichtet. Dass es dann kompliziert wird. Wenn einer sich Freiräume nimmt, der andere (ja genau, meistens die Frau) aber eben nie diese Freiräume für ihre eigenen Wünsche hatte.

Meine Güte. Tragisch, dass sich manche Dinge noch immer nicht geändert zu haben scheinen. Aber ja, das erkenne ich sogar bei mir. Ich bin dann oft das Chamäleon, das mit jeder Situation irgendwie gut umgehen kann, ohne zu verzweifeln. Aber meine eigenen Wünsche kommen erst nach und nach richtig durch. Oder wenn sie durchkommen müssen. Aber, das ist ja ganz wichtig zu erwähnen: Es gibt ja tatsächlich auch Menschen, die voll und ganz in Zweisamkeit aufgehen, die nicht viel mehr brauchen. Ich denke da an deine Großeltern. Diese Liebe muss ja der Wahnsinn gewesen sein.

Ja total, das fand ich auch sehr spannend, dass es eben BEIDE formen langfristig geben kann: Die Paare, die NICHTS ohne den anderen machen können (was z.B. auch nicht meine Form wäre), und die, die eben noch wirken wie in den Flitterwochen, weil oder eben obwohl sie auch viel Zeit getrennt voneinander verbracht haben. Aber immer voller Vertrauen, dass die Beziehung diese Form aushält! Es gibt vom Therapeuten Hans Jellouscheck ein gutes Zitat: 

[typedjs]"Sagen Zahlen nicht gerade, dass die Menschen heute die Partnerliebe nicht mehr so ernst nehmen wie die Paare früherer Generationen? Nein, gerade das Gegenteil ist der Fall. Die Menschen haben die Partnerliebe noch nie so ernst genommen wie heute..."[/typedjs]

Verstehe. Vielleicht weil wir heute so viele Sehnsüchte und Ansprüche in unser Gegenüber projizieren (ob das gut oder schlecht ist, sei mal dahingestellt) und weil wir unser Gegenüber gerade deshalb, wie du gerade treffend zitiert hast, auch so ernst nehmen. Uns selbst und unsere Bedürfnisse im besten Fall ja aber auch. Und das wird dann manchmal eben wild unter einen Hut zu bringen.

Ja. Was vielen der Oldies auffiel, ist, dass die Paare heute fast zu sehr auf ihre eigene Freiheit, den Freiraum achten, aber nicht mehr für den anderen zurückstecken wollen. Ein Paar sagte: Beide Partner wollen sich dann so sehr verwirklichen, und dann passt es irgendwann nicht mehr zusammen. Man ist plötzlich nicht mehr so offen für den anderen. Ich würde deshalb immer versuchen, das Zusammensein im Auge zu behalten. Natürlich gibt es Partnerschaften, in denen beide sehr stark sind in ihrer Persönlichkeit und dennoch gut miteinander leben können. Aber auch nur, weil sie füreinander offen bleiben und sich eben dennoch nicht ausschließlich mit sich selbst beschäftigen.

 

Für mich ist das ein bisschen ein Symptom unserer Zeit. Dass wir die richtige Balance eben doch aus dem Blick verlieren, weil es viel und oft um Selbstverwirklichung geht. „Kompromisse“, wie sie für Beziehungen eigentlich in gewissen Maße „normal“ sind, werden oft als Fehler angesehen. Nach dem Motto: Ja, aber dann passt es halt einfach nicht! Das halte ich persönlich für Quatsch. Oder bin ich auch dem Holzweg?

Das finde ich einen interessanten Punkt! „Kompromisse“ als Fehler in der Beziehung zu sehen! Da ist absolut etwas dran. Nach dem Motto: Dann passt es eben nicht (in meinen Weg)!

Dabei haben den Paaren aus deinem Buch genau diese Kompromisse doch mitunter sogar dabei geholfen, 70 Jahre (miteinander) glücklich zu sein. 

Klar, die sind natürlich massenhaft Kompromisse eingegangen, die ganze gesellschaftliche Situation hat sie ja regelrecht dazu gezwungen gezwungen. Das war natürlich nicht selbst ausgesucht, einige haben sich durch den Krieg monatelang nicht gesehen. „Freiwillige“ Kompromisse sind aber keine Fehler! Ein alter Herr sagte mal: Man schleift sich gegenseitig ab und das ist wichtig!

[typedjs] Wo du nicht bist kann ich nicht sein / Ich möchte gar nichts andres ausprobieren / Wir sind wie alle andern denn wir möchten heim / Es ist fast nie zu spät es zu kapieren / - Hein Rudolph Kunze, "Dein ist mein ganzes Herz" [/typedjs]

Welche Weisheit ist noch bei dir hängengeblieben?

Dieser Aspekt der Balance, die sich dadurch ergibt, dass die Beziehung permanent in Bewegung ist und man sich selbst, aber auch durchaus die Beziehung verändert. Oder dass die Beziehung sich von allein verändert. Dass man das akzeptieren und respektieren muss. Dass es nicht diesen einen Freischein auf „Eternal Happiness“ in einer Beziehung gibt.

Und dann aber doch: Man KANN es schaffen! Ein Leben lang.

Ja natürlich, das sieht man ja an den extrem diversen Paaren mit ihren diversen Ausgangssituationen und Lebenswegen. Und man sollte sich über etwas im Klaren sein: Dass es im Grunde doch ein Geschenk ist, dass ein anderer Mensch seine Lebenszeit mit einem teilen will und man sich folglich auch ruhig ein bisschen auf ihn einstellen kann (nicht nur muss!) – so wie andersherum auch. Dann kann es nicht nur klappen, sondern, mit Höhen und Tiefen, richtig schön sein.

„Ein Leben lang“ von Julia Grosse,
1. Auflage 2018
Erschienen bei Hoffmann und Campe,
Hamburg

3 Kommentare

  1. Tine

    Was für wunderbare letzte Sätze … „Dass es im Grunde doch ein Geschenk ist, dass ein anderer Mensch seine Lebenszeit mit einem teilen will und man sich folglich auch ruhig ein bisschen auf ihn einstellen kann (nicht nur muss!) – so wie andersherum auch. Dann kann es nicht nur klappen, sondern, mit Höhen und Tiefen, richtig schön sein.“ Dies kann ich nur unterschreiben. (Seit 18 Jahren mit dem selben Mann zusammen, 17,5 Jahre davon in derselben Wohnung in Köln, immer noch grosse Freude bei jedem Wiedersehen Abends)

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  2. Zane

    Such a wonderful interview and insightful interview. Totally agree on the fact mentioned above, that there are different types of love and tolerance is the key to successful long relationship!

    Rock Renee Blog

    Antworten
  3. Pingback: Cherry Picks #7 - amazed

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