Svenja Flaßpöhlers Buch „Die potente Frau“ will provozieren

15.05.2018 Feminismus, Buch

Der Titel von Svenja Flaßpöhlers Buch irritiert, und das soll er natürlich auch: Die potente Frau. Potent, das klingt nach Männlichkeit, nach sexueller Bereitschaft, nach, nun ja, Potenz. Und Potenz bedeutet laut Duden unter anderem „die Fähigkeit des Mannes, den Geschlechtsakt zu vollziehen“. Flaßpöhler geht es aber nicht um den Mann, sondern um die Frau, was auch der Untertitel klar macht: Für eine neue Weiblichkeit. Nur knapp 40 Seiten braucht die Chefredakteurin des Philosophie Magazins, um darzulegen, was sie sich unter dieser neuen Weiblichkeit vorstellt. Keine zwei Seiten braucht Flaßpöhler, um bei der MeToo-Debatte zu landen, von der sie wenig bis gar nichts hält: „Auffällig ist aber, dass eine ganz bestimmte Perspektive in der gegenwärtigen Diskussion weitgehend ausgespart wird: die Frage nämlich, was Frauen zur Festigung der männlichen Macht, die immerhin keineswegs mehr rechtlich legitimiert ist, selbst beitragen.“

Männer sind anders, Frauen auch

Zusammengefasst lautet Flaßpöhlers Vorwurf an die MeToo-Bewegung: Diese schreibe den Status Quo fest, gehe den Weg des geringsten Widerstandes, betreibe „Selbstinfantilisierung“ und befördere ein „patriarchal geprägtes, von Passivität und Negativität gezeichnetes Frauenbild“. MeToo, so Flaßpöhler, basiere auf einer negativen Auffassung weiblicher Sexualität und weiblichen Begehrens – dahinter stünde ein Frauenbild, das sich über das „Nein“ definiere und nur auf dominantes männliches Begehren reagiere. Was es stattdessen bräuchte, sei ein „offensiver Begriff von Weiblichkeit und weiblicher Sexualität“.

Wie dieser aussehen soll, das allerdings wird in dem schmalen Band nicht deutlich. Zwar zitiert Flaßpöhler jede Menge – meist männliche, meist französische – Philosophen und attestiert Frauen die kantsche Pflicht, sich „aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit zu befreien“. Bei diesem Befreiungsakt hilft die von Flaßpöhler vorgeschlagene Phänomenologie der Weiblichkeit („Experienzialismus“) allerdings wenig.

Dabei geht es Flaßpöhler darum: Es gibt eine „Exklusivität leiblich gebundener Erfahrungen“, die es unmöglich macht, „den Erfahrungsraum des jeweils anderen Geschlechts vollständig zu erschließen.“ Männer und Frauen sind eben unterschiedlich. Trotzdem solle man doch zumindest den Versuch unternehmen, sich an die Stelle des anderen zu versetzen, das direkte Gespräch, die konkrete Auseinandersetzung seien dafür unabdingbar. So simpel, so unoriginell.

It’s complicated

Nimmt man den philosophischen Unterbau weg, bleibt nicht viel übrig außer der Feststellung, Frauen sollten doch bitte mal aufhören zu jammern und stattdessen selbstbewusst und emanzipiert sein. Die potente Frau ist, so wird es natürlich vermarktet, das Anti-Buch zur MeToo-Bewegung. Und mal ehrlich: Ein solches Buch hätte durchaus schlimmer sein können. Es hätte polemischer, weniger durchdacht geschrieben, weniger intelligent sein können. Die potente Frau ist ein durchaus schlaues Buch, dessen Autorin an vielen Stellen interessante Gedanken aufblitzen lässt und nicht grundsätzlich auf billige Polemik setzt.

[typedjs]"Wer 'Die potente Frau' liest, kann oft nur den Kopf schütteln."[/typedjs]

Und trotzdem: Wer Die potente Frau liest, kann oft nur den Kopf schütteln. Da wäre erstmal der von Flaßpöhler kritisierte „Hashtag-Feminismus“, von dem man nie genau erfährt, was ihn ausmacht, außer dass er behauptet, männliche Gewalt sei „allgegenwärtig“. Flaßpöhlers Feminismus-Bild ist extrem einseitig – was vor allem deshalb ein Problem ist, weil sie selbst den Feminismus zur Differenz mahnt, vor Unschärfen und Verallgemeinerungen warnt. So stellt sich  beispielsweise der Fall Gina-Lisa Lohfink sehr viel komplizierter dar, als Flaßpöhler ihn beschreibt. Sie behauptet, Gina-Lisa sei zur feministischen Ikone hochstilisiert worden und fragt: „Was bitte ist heldinnenhaft an einer frau, deren oberstes Ziel darin besteht, Männern zu gefallen?“ Kein Wort darüber, dass viele Feministinnen sich im Zuge des Gina-Lisa-Prozesses öffentlich und durchaus kritisch mit Lohfink und ihrer fraglichen Rolle als feministische Ikone auseinandergesetzt haben.

Überhaupt scheint Flaßpöhler feministische Diskussionen in den letzten Jahren nicht besonders aufmerksam verfolgt zu haben. Sie kritisiert das mit der „Nein heißt Nein“-Gesetzgebung verbundenen Bild des „offensiv potenten Mannes, der sich sexuell befriedigen will, und einer Frau, die ihm entweder die Erlaubnis hierfür erteilt oder sie ihm verweigert.“ Ein Buch wie Mithu Sanyals Vergewaltigung hat Flaßpöhler offensichtlich nicht gelesen, sonst wüsste sie, dass die feministische Diskussion auch hier wesentlich nuancierter und kontroverser stattfindet, als Die potente Frau glauben machen will. Und wenn Flaßpöhler feststellt, eine emanzipierte Frau sei „nicht notwendigerweise queer oder lesbisch“, weiß man einen Moment lang wirklich nicht, was man davon halten soll – glaubt Flaßpöhler, das sei ein kontroverses, ein überraschendes Statement?

Kontroverser ist da schon eher Flaßpöhlers Beharren darauf, die männliche Macht sei nicht mehr rechtlich definiert. Rechtliche Gleichheit ist für sie gleichzusetzen mit tatsächlicher Gleichheit – wenn es denn nur mal so einfach wäre. Diese Gleichsetzung führt dazu, dass der Macht-Aspekt bei Flaßpöhler kaum eine Rolle spielt: Dass es bei #MeToo mitnichten nur um Sexualität, sondern eben auch um Macht geht, blendet sie größtenteils aus.

In die Potenz kommen – aber wie?

Viele Fragen, die Svenja Flaßpöhler aufwirft, bleiben unbeantwortet. Das wäre an sich gar nicht schlimm, manchmal sind Fragen ja aufschlussreicher als ihre Antworten und nicht auf jede Frage gibt es überhaupt eine Antwort. Aber Flaßpöhler selbst verspricht ja, Wege aufzuzeigen, wie die Frau „in die Potenz“ kommt, also zu der wird, die sie ist. Aus ihrem sprachlich schönen, aber theoretisch unscharfen Weg des „Experienzialismus“ allerdings lässt sich für Frauen nicht ableiten, wie sie ihre Freiheit leben sollen. Es reicht nicht, von Frauen zu fordern, sie sollten selbstbewusst sein und doch bitte ihr eigenes Begehren positiv definieren. Flaßpöhler stellt selbst fest, dass eine selbstbestimmte Haltung nicht immer so einfach ist. Das stimmt. Leider liefert ihr eigenes Buch nicht mehr als vage Andeutungen dazu, wie Emanzipation praktisch gelebt werden kann.

2 Kommentare

  1. Leni

    Klasse!
    Eine großartig geschriebene und wunderbar reflektierte und durchdachte Rezension.
    Deine Einordnung zu den aktuellen Debatten ist wirklich gelungen. Die Rezension macht Lust, sich eine eigene Meinung zu bilden und das Buch zu lesen.
    Danke dafür!

    Antworten
  2. Pingback: Julian Reichelts Ende bei „Bild“: Einer geht, viele bleiben, neue kommen

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