2 Bücher, die ich verschlungen habe, vier, auf die ich mich freue und eine Frage der Ordnung.

26.09.2022 Buch

Wie finde ich endlich wieder mehr Zeit zum Lesen? Stehle ich mir mit dem dauernden Aufräumen meiner Wohnung etwa selbst jede Gelegenheit? Ist das Handy schuld? Oder sollte ich lieber den Fernseher verfluchen? Vielleicht alles ein bisschen.

Es kursieren seit ein paar Monaten immer wieder Postings, Stories und Beiträge, die berechtigte Kritik an dauernd piekfein aufgeräumten Wohnungen laut werden lassen, oder vielmehr: An den Strategien dahinter. Allesamt hallen nach und sind schlau formuliert, weil sie selbstverständlich von ebenfalls sau schlauen Menschen verfasst wurden. In den einen geht es um den enormen Druck, der etwa durch das Zeigen makelloser Interior-Bilder in den Sozialen Medien auf zuschauende Frauen ausgeübt wird (siehe Sibel Schick, die neben Jacinta Nandi in „die schlechteste Hausfrau der Welt“ als eine der ersten darüber schrieb), andere erzählen von überzogenen Standards und wie sie uns exakt die Zeit und Kraft rauben, die wir doch eigentlich bräuchten, um die Welt zu verändern (Teresa Bücker). Um uns zu informieren. Und viel mehr zu lesen. 

Bestimmt habe ich schon wieder dazugelernt, nein, sogar ganz sicher. Weil ich bisher durchaus unbedarft durch meine aufgeräumte Wohnung getapst bin und mich noch dazu kein bisschen an fremder Unordnung stör(t)e. Hinterfragt habe ich mein fehlendes Chaos schon gar nicht, es schien ja logisch: Meine gesamte Familie hat einen Fimmel. Ich habe deshalb ehrlich versucht, probeweise damit aufzuhören. Nur leider, trotz der neuen Impulse, absolut keinen Mehrwert verspürt. 

Ich brauche Ordnung um mich herum. Ich will sie. Und vermutlich fällt es mir deshalb, aber auch aufgrund unserer Familienkonstellation und Gegebenheiten (ich bin nicht alleinerziehend, habe nicht zwei minikleine Kinder, etc.) meistens(!) nicht über die Maße schwer, sie beizubehalten. Jeden Abend räumen wir alle zusammen 10-15 Minuten fokussiert auf und weil der Apfel nicht weit vom Stamm fällt, mag sogar der 8-Jährige es (noch), in seinem Zimmer halbwegs Ordnung zu halten. So entsteht nur selten ein Chaos, das unbezwingbar scheint. Was ich als viel, viel schlimmer, ablenkender und zeitfressender empfinde, ist mein Handy. Insbesondere das Doomscrollen am Abend, wenn die Kids im Bett sind.

Und Serienschauen. Weil ich das Scrollen zwischendurch auch aus beruflichen Gründen so schwer sein lassen kann, verzichte ich deshalb gerade mit ein paar wenigen Ausnahmen auf Serien und Filme. Als Ausgleich sozusagen. Mit positivem Effekt – so viel Zeit zum Lesen hatte ich lange nicht mehr. 

Nur bin ich oft auch einfach zu müde. Vom Leben, vom Arbeiten in den Abendstunden, und ja, bestimmt auch vom Aufräumen. Dann steige ich auf Hörbücher um, die ich wieder neu für mich entdeckt habe seitdem ich viele, viele Stunden am Tag ein Baby durch die Gegend tragen muss und möchte. Nell Frizzells „Panic Years“ zum Beispiel habe ich auf diese Weise binnen weniger Tage verschlungen. Und zwischendurch immer wieder Freund*innen angerufen, um das Gehörte zu reflektieren. Uff. Richtig, richtig gut und ehrlich und schonungslos ist dieses Buch, das endlich Worte gefunden hat für die bisher namenlose Lebenszeit zwischen Ende zwanzig und Anfang dreißig, in der zahlreiche Entscheidungen getroffen werden müssen und sich so vieles um die „eine große Frage“ dreht: Will ich Kinder? Die Panikjahre also. Ich kenne sie – obwohl ich „schon“ mit 26 zum ersten Mal Mutter geworden bin. Jetzt endlich kehrt Ruhe ein. Und ich freue mich umso mehr auf Frizzells ersten Roman:

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Nell Frizzell (@nellfrizzell)

 
 
 
 
 
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Ein Beitrag geteilt von Edouard Louis (@elouis7580)

Oh, und Èdouard Louis! Mit „Das Ende von Eddy“ hat 2015 alles angefangen, es folgten „Im Herzen der Gewalt“ und „Wer hat meinen Vater umgebracht“. Beinahe meint man, Èdouard längst persönlich getroffen, ja Tage oder gar Wochen mit ihm verbracht zu haben. Gerade einmal 30 Jahre ist der französische Schriftsteller heute jung und dennoch schreibt er, als hätte er bereits ein ganzes Leben lang nichts anderes getan. Diesmal über sein Entkommen und Ankommen. Davon, wie es ist, mit seiner Vergangenheit zu brechen und Menschen hinter sich zu lassen, um der sein zu können, der man schon immer war. 

Ob ich es schaffe, auch den Rest meiner aktuellen Lese-Liste zu schaffen, weiß ich nicht. Eines aber schon: Es ist jetzt 22.43 Uhr. Seit die Kinder schlafen, sitze ich wieder hinter dem Bildschirm und vergesse, zu blinzeln. Ich sehne mich nach einer echten Elternzeit, bin müde und fluche darüber, dass ich mehr eMails bekomme als ich schreiben kann. Heute räume ich nicht mehr auf. Stattdessen nehme ich „Strega“ mit in die Badewanne und tauche für einen kurzen Moment ab. Und weiß, dass ich danach wieder dankbar sein werde – für alles, was jetzt ist.

Nell Frizzell – Panic Years, übersetzt von Yasemin Dincer

„Ein Kind in diesen Zeiten? Und falls ja, mit wem? Und dann: wann genau? Ein Buch über die Fragen im Leben, vor denen jede Frau einmal steht – von denen aber noch nie so ermutigend, inspirierend und klug erzählt wurde wie hier.
Nell Frizzell ist Ende zwanzig, als sie sich von ihrem langjährigen Freund trennt. Die gemeinsame Lebens- und Familienplanung ist damit auf Null gesetzt. Nur das Schlafzimmer ihrer Oma bietet Nell Raum, ihre Trennungstrauer zu verarbeiten, denn: Fragen rund um Fruchtbarkeit und Kinderwunsch, Familienplanung und Zukunftsvisionen sind für die Oma und ihre Freundinnen Vergangenheit. Sie sind frei, ihre Panic Years sind vorüber. Doch Nell steckt mittendrin.“

Oh und Edouard Louis, 

„Mit Mitte zwanzig hat er schon mehrere Leben hinter sich: Eine Kindheit in extremer Armut, die Scham über die eigene Herkunft, die Flucht vom Dorf in die Stadt, den Aufbruch nach Paris. Er macht sich frei von den Grenzen seiner Herkunft, nimmt einen neuen Namen an, liest und schreibt wie ein Besessener, probiert sich aus, will alle Leben leben. Immer neue Welten erschließen sich ihm. Mit unbändiger Energie erfindet er sich wieder und wieder, schließt Freundschaften und hinterfragt doch die radikale Selbstveränderung, die sich nie ganz vollendet. Édouard Louis hat ein großes Buch geschrieben darüber, was man zurücklässt, wenn man bei sich selbst ankommt.“

Édouard Louis – Anleitung ein anderer zu werden, übersetzt von Sonja Finck

Johanne Lykke Holm – Strega, übersetzt von Hanna Granz

 

„In anregenden und ungehemmten Bildern erschafft Johanne Lykke Holm eine Welt voller Übernatürlichem, voller Ge­heimnisse und der potenziellen Energie von Mädchen an der Schwelle zur Weiblichkeit. Strega lässt sich als Allegorie auf ge­sellschaftliche Riten verstehen, auf die Erwartungen an Frauen und die Gewalt, die wir allzu leicht zulassen – und entfaltet wie ein Zauber noch lange nach dem Lesen seine Wirkung. Strega ist eine einfallsreiche und atmosphärische moderne Gothic­ Novel über neun junge Frauen, die in einem abgelegenen Alpenhotel arbeiten, und darüber, was passiert, wenn eine von ihnen verschwindet.

Mit Toilettenartikeln, Haarbändern und Notizbüchern in der Tasche verlässt die neunzehnjährige Rafa auf Anweisung ihrer Mutter ihr Elternhaus und die Küstenstadt, in der sie aufgewachsen ist. Aus dem Zugfenster sieht sie die beleuchteten Berge und die perfekten Bäume – und das Olympic Hotel, das über dem kleinen Dorf Strega auf sie wartet. Dort bekommt sie die steife schwarze Uniform der Saisonarbeiterin, wie acht andere Mädchen auch, mit denen sie in einem Schlafsaal über­nachtet. Unablässig schuften die Mädchen unter den Blicken ihrer strengen Chefinnen, um alles bereit zu machen für Gäste – die nicht kommen. In ihren freien Momenten flüchten die neun sich in den Kräutergarten und suchen Trost beieinander. Schließlich füllt sich das Hotel doch, für eine wilde, rauschende Party – und dann verschwindet eines der Mädchen. Was folgt, sind tiefe Enthüllungen über die Mythen, die wir jungen Frau­en beibringen, über das, was wir ihnen von der Welt zumuten, und darüber, ob ein sanfteres, schöneres Leben möglich ist.“

„Je mehr Freundschaften und Projekte, je fester der Job und die Partnerschaft, desto größer das Lebensglück? In ihrem aufrüttelnden Debattenbuch zeigt Sarah Diehl, wie trügerisch diese Vorstellung ist und warum vor allem Frauen immer noch zu wenig Räume zum Alleinsein haben. Dabei ist es nicht nur der Grundstein eines verantwortungsvollen Miteinanders – es ist die Triebfeder für Reflexion und Veränderung sowie ein elementarer Teil der Selbstfürsorge.
Frauen hatten im Laufe der Geschichte kaum ein »Zimmer für sich allein«. Auch heute gilt die Kleinfamilie als Garant für ein glückliches Leben. Anhand von kulturhistorischen Betrachtungen, Interviews mit Frauen, aber auch Männern sowie der Erkundung verschiedener Lebensentwürfe offenbart Sarah Diehl die Fallstricke dieser Annahme. Dabei blickt sie ebenso auf die Bedeutung des Alleinseins innerhalb der Familie oder Partnerschaft wie in der Öffentlichkeit, in der politischen und kreativen Arbeit, in der Natur oder auf Reisen. Sie fordert den Erhalt der Einsamkeit und ermutigt alle, das Alleinsein immer wieder bewusst zu suchen. Denn so entziehen wir uns der Bewertung durch andere und erkennen unsere wahren Bedürfnisse. Alleinsein ist eine elementare Freiheitserfahrung, die allen ganz selbstverständlich zugänglich sein muss.“

Sarah Diel – Die Freiheit, allein zu sein 

Sarah Levy – Fünf Wörter für Sehnsucht (Von einer Reise nach Israel und zu mir selbst)

„Eine Reise nach Tel Aviv verändert Sarah Levys Blick auf Israel – aus dem Urlaubsort ihrer Kindheit, Heimat ihrer jüdischen Familie und Konfliktschauplatz wird ein Sehnsuchtsort voller Wärme und inspirierender Begegnungen. Mit 33 entscheidet sie, ihr Leben in Hamburg hinter sich zu lassen, und zieht nach Tel Aviv. Inmitten der Corona-Pandemie durchlebt sie Mentalitätsklüfte, frustrierende Sprachlosigkeit und das liebevolle Chaos israelischer Familientreffen. Im Stadtteil Yafo begegnet sie nicht nur herzlich-warmen Israelis, die ihr ständig Tupperdosen mit Rote-Bete-Salat und dramatische Lebensgeschichten aufdrängen, sondern auch einer tief gespaltenen Gesellschaft. Eine Geschichte darüber, was Mut bedeuten kann.“

„Ob in Liedern, Filmen oder Büchern: Liebe wird zu etwas Ungreifbarem, Zufälligem, Schicksalhaftem verklärt. Sie entzieht sich unserem Einfluss und überwindet alle Grenzen. Aber ist das wirklich so? »All you need is love«? Was ist mit Rassismus, Behinderung oder tief verankerten patriarchalen Strukturen und Verhaltensmustern? Was passiert, wenn in einer Liebesbeziehung die eine Person durch ihr Aussehen oder ihr Auftreten von unserer Gesellschaft diskriminiert wird und die andere nicht? Spielt das in dieser Beziehung wirklich keine Rolle? Josephine Apraku sagt: Doch! Denn soziale Ungleichheit macht auch vor unseren Beziehungen keinen Halt – im Gegenteil. Unsere intimsten zwischenmenschlichen Verbindungen sind im Prinzip Petrischalen unserer Gesellschaft: Was da draußen im Großen passiert, geschieht auch im Kleinen zwischen uns und unseren Lieben. Auch in der Paartherapie wird Diskriminierung als Herausforderung in Beziehungen noch nicht genug Beachtung geschenkt. »Kluft und Liebe« zeigt, wie Diskriminierung uns in der Liebe voneinander trennt, wie wir trotzdem zusammenfinden und daran gemeinsam wachsen können. „

Josephine Apraku – Kluft und Liebe (Warum soziale Ungleichheit uns in Beziehungen trennt und wie wir wieder zusammenfinden)

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2 Kommentare

  1. Henrike

    Panic Years uff… Fand Frizells Schreibstil toll und hab auch am Anfang viel genickt beim lesen aber ich hatte wirklich grosse Probleme damit, dass sie zum Einen einen absurd großen Kinderwunsch hat und gar nicht „strauchelt“ ob ja nein vielleicht und ich immer das gefühlt hatte, dass sie sich und ihren Wert komplett darüber bestimmt „Mutter zu werden und zu sein“…(da ist dann vllt der Klappentext irritierend). Zum anderen befand sich Frizell eigentlich selbst nicht mehr in den sog. „Panikjahren“ , sondern ist irgendwie “rechtzeitig” Mutter geworden und deshalb hatte ich das Gefühl sie spricht Oberlehrerinnenhaft zur Leser:innenschaft herunter spricht.

    Statt irgendwie empowerend zu sein habe ich mich die ganze Zeit schlecht gefühlt, insgesamt denkt man die ganze Zeit während des Lesens es wäre irgendwas mit einem selbst „falsch“ und Nell brüllt einem währenddessen von den Seiten ins Gesicht: „hallo DeInE EiErStÖckE gEbEn bAlD dEn gEist auF alsO ohNe KiNd uNd ParTner biSt dU quAsi Die HeXe aUs HänSel uNd GreTel“

    Da lese ich lieber nochmal deine tollen wirklich differenzierten Artikel zum Thema Mutterschaft bei denen ich immer das Gefühl hatte du hast Verständnis und Empathie für Frauen mit und ohne Kinder(Wunsch). Danke dafür <3

    Antworten

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