Warum es bei “Black Lives Matter” um so viel mehr als nur Social-Media-Aktivismus geht

Seine Feeds mit schwarzen Quadraten zu füllen reicht nicht. Es ist an der Zeit, im Kampf gegen Racial Injustice dauerhaft aktiv zu werden.

VON ENI SUBAIR

*** Triggerwarnung: Dieser Text enthält Schilderung von Gewalt ***

Black Lives Matter. Nicht nur jetzt

Wie alle anderen in der Schwarzen Community bin ich erschöpft. Ich habe Schmerzen, ich bin wütend und ich trauere. Ich bin es leid, erklären zu müssen, warum mein Leben wertgeschätzt werden sollte.

[typedjs]"Ich bin es leid, erklären zu müssen, warum mein Leben wertgeschätzt werden sollte."[/typedjs]

Die schmerzliche Realität ist, dass Anti-Blackness in der DNA der Gesellschaft verwoben ist – eine Tatsache, der sich Millionen von Social-Media-NutzerInnen erst in der vergangenen Woche bewusst wurden. Aber wenn man Schwarz ist, weiß man nicht nur, dass wir nie zuvor die Freiheit hatten, zu entspannen und dass wir uns ständig auf dünnem Eis bewegen, sondern auch, dass wir derzeit an zwei Fronten kämpfen: Es ist wahrscheinlicher, dass wir kaltherzig verfolgt und getötet werden, Opfer von Racial Profiling und Bedrohungen werden, nur weil wir es wagen, zu existieren; und Schwarze Menschen im Vereinigten Königreich sterben statistisch gesehen doppelt so häufig am Coronavirus.

 

Lassen Sie das sacken.

Angesichts des plötzlichen Aufrucks in den sozialen Medien müssen wir uns fragen: Warum sind wir jetzt würdig zu leben, zu atmen, in Frieden gelassen zu werden, um ein Leben zu führen, das nicht in Sorge verwurzelt ist? Und was können wir von dem Ansturm performativer weißer Verbundenheit (ehrliche Absichten oder nicht) halten, den wir von Brands und Unternehmen sehen, denen die Black Community nicht mehr wohlgesonnen ist?

Der Solidaritätsschwall am “Blackout Tuesday”

Diese Woche verpflichteten sich mehrere Musiklabels zum “Blackout Tuesday”, einer globalen Bewegung, die von Live Nation initiiert wurde. Neben anderen ermutigten Universal Music und Warner Music Organisationen, sich hinter die Schwarze Community zu stellen und darauf aufmerksam zu machen, dass Polizeibrutalität und Racial Injustice bekämpft werden müssen.

Die Bewegung ist eine Reaktion auf die Ermordung von George Floyd, einem 46-jährigen Schwarzen Mann aus Minneapolis, der am 25. Mai starb, nachdem ein weißer Polizeibeamter fast neun Minuten lang auf seinem Nacken gekniet und seine Sauerstoffzufuhr abgeschnitten hatte. Ein im Internet verbreitetes Video zeigt den Polizeibeamten Derek Chauvin, wie er Floyd keuchend zu Boden drückt, während er um sein Leben flieht: “Please, I can’t breathe” (“Bitte, ich kann nicht atmen”). Die ersten Obduktionsergebnisse des Minneapolis County stießen bei seiner Familie auf Misstrauen, sodass sie ihre eigene private Untersuchung durchführen ließ. Die private Autopsie ergab, dass seine Todesursache Erstickung war.

Während der “Blackout Tuesday” in positiver Absicht initiiert wurde, hatte ich meine Vorbehalte gegenüber der Online-only-Initiative. Meine Bedenken verstärkten sich, als ich am Dienstagmorgen durch meinen Feed scrollte, nachdem ich mir kaum den Schlaf aus den Augen gerieben hatte. Ich wurde mit schwarzen Quadraten bombardiert, die entweder mit leeren Bildunterschriften versehen waren oder mit einem knappen #BLM (was den Hashtag “verstopft” und nützliche Informationen blockiert).

Durch Instagrams globalen Blackout wurden wertvolle Informationen vorenthalten, eine Lebensader für die Arbeit von AktivistInnen in der realen Welt, für die die Bewegung kein Trend ist. Als Schwarze Social-Media-Userin ist es schwer, den “Blackout Tuesday” nicht als Apotheose des performativen Instagram-Aktivismus zu sehen, denn Tatsache ist, dass George Floyd sehr wohl einer meiner Brüder, mein Vater oder mein Neffe hätte sein können, und ein schwarzes Quadrat von weißen FürsprecherInnen einfach nicht ausreicht, wenn dieser Aktivismus nicht auch offline weitergeführt wird.

Ernst gemeinter Support oder Plattitüde?

Dann begannen meine Gedanken zu rasen. Zusätzlich zum Gefühl der Erschöpfung, das mir durch Mark und Bein ging, schaute ich mir die Posts meiner weißen und POC-KollegInnen und ehemaligen KollegInnen an (von denen ich mich insbesondere an eine/n erinnere, der/die mir sagte, dass das nigerianische Essen, das ich zur Arbeit mitbrachte, wie “Hundefutter” aussah), die sich nie zuvor getraut hatten, mit mir über das weiße Privileg zu sprechen, das ihnen diente, oder die mich durch Gaslighting verunsicherten, wenn ich Mikroaggressionen äußerte – sie überfluteten plötzlich meinen Instagram-Feed mit schwarzen Quadraten.

Ebenso problematisch ist die Social-Media-Kommunikation von vielen nicht-Schwarzen Unternehmen. Flüchtige #BlackLivesMatter-Posts, die als Instagram-Story hochgeladen werden, um dann nach 24 Stunden im Interesse der Erhaltung der Feed-Ästhetik wieder zu verschwinden, riesige internationale Konzerne, die unbedingt mitmachen wollen, obwohl einige von ihnen in der Vergangenheit in rassistische Kontroversen verstrickt waren. 

Die Frage für alle Unternehmen, ob groß oder klein, lautet: Wie divers ist Ihre Belegschaft? Ist sie nicht divers, dann sagen Sie uns, was Sie dagegen unternehmen werden. Unsere Kultur, unsere Models und unser Geld werden eifrig konsumiert, und doch sind sie nur ein paar Worte auf Instagram wert.

Die sozialen Medien sind wertvolle Ressourcen um Wissen zu verbreiten, das Herz und Kopf beeinflussen kann, aber sie müssen sinnvoll genutzt werden. Ich kann nur hoffen, dass die aufrichtigen Plattitüden, die geäußert werden, wahr und die Versprechen, zu handeln, wirklich ernst gemeint sind, aber als ich so über die Posts nachdachte, kam mir immer wieder der Gedanke: “Wo sind die Links zu wichtigen Leseressourcen? Links zum Spenden? Werden sich die zutiefst fehlerhaften Einstellungsverfahren allmählich ändern? Werden weiße KollegInnen ihre Stimmen erheben, wenn es zu Lohnunterschieden kommt? Werden FreundInnen und Familienmitglieder getadelt werden, wenn sie rassistische Bemerkungen machen? Wie viele haben Unternehmen von Schwarzen EigentümerInnen unterstützt? Und vor allem: Wird dieser Aktivismus offline fortgeführt werden?”

 
 
[typedjs]Innerhalb einer Social-Media-Blase kann man schnell denken, dass es ausreicht, hier ein schwarzes Quadrat zu teilen und da für 24 Stunden eine Instagram-Story zu posten. Aber das tut es nicht. [/typedjs]

Die Zahlen erzählen derzeit eine ganz andere Geschichte. Mehr als 28 Millionen Menschen haben einen #BlackoutTuesday-Posts hochgeladen, doch die Petition auf change.org, Gerechtigkeit für George Floyd zu fordern, erhielt bis jetzt nur 15,8 Millionen Unterschriften. Worte und Zahlen haben zweifellos ihren Wert, aber Social Media ist ein Echoraum, und innerhalb einer Social-Media-Blase kann man schnell denken, dass es ausreicht, hier ein schwarzes Quadrat zu teilen und da für 24 Stunden eine Instagram-Story zu posten. Aber das tut es nicht. Sie haben Ihren Post geteilt, und jetzt?

Institutioneller Rassismus ist real – überall auf der Welt

Wir können nicht zulassen, dass Floyds Tod ein weiteres eklatantes und ungerechtes Beispiel dafür ist, dass alles vergessen ist, sobald sich der Sturm legt. Viele Social-Media-UserInnen haben es versäumt, die jüngsten Todesfälle anderer Schwarzer Leben zu erwähnen. Der Mord an dem unbewaffneten 25-jährige Jogger Ahmaud Arbery am 23. Februar, dessen Aufnahmen jedoch erst Monate später ans Licht kamen. Der sinnlose Mord an der Schwarzen Krankenhausangestellten Breonna Taylor aus Louisville, die mindestens achtmal von der Polizei erschossen wurde, welche einen Durchsuchungsbefehl gegen zwei Männer durchführte, die in der Nähe von Taylors Haus angeblich Drogen verkauften. Gerade hat der Pride Month begonnen und es herrscht eine ohrenbetäubende Stille, wenn es um die Unterstützung der Schwarzen LGBTQ+-Community geht, nachdem am 27. Mai der Transmann Tony McDade von der Polizei in Tallahassee, Florida, erschossen wurde.

 

Darüber hinaus müssen sich die digitalen Mainstream-Medien erst noch mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die Ermordungen Schwarzer Körper, die dem Online-Voyeurismus zum Opfer fallen, nicht nur in den USA geschehen. Schwarze Leben wurden auch durch die britische und europäische Polizei ausgelöscht und verändert. 2018 enthüllte Amnesty International, dass Schwarze Jugendliche auch 25 Jahre nach dem Massaker von Candelária, bei dem acht Menschen (darunter sechs Minderjährige) von Polizisten außerdienstlich getötet wurden, in Brasilien weiterhin durch Polizeihand ums Leben kommen. Eine britische Umfrage kam zu dem Schluss, dass die Metropolitan Police gegenüber Schwarzen Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit gewalttätiger agiert. Im April dieses Jahres wurden französische Polizeibeamte gefilmt, die einem nordafrikanischen Mann mit rassistischen Äußerungen beleidigten. Die Botschaft – durchdringender als jede ästhetisch ansprechende Diversity-Kampagne jemals sein könnte – ist, dass der Hass auf Schwarze Körper schon immer allgegenwärtig und tödlich war.

Wir dürfen zudem die reale Gefahr nicht ignorieren, die derzeit von den sozialen Medien ausgeht. Minneapolis – in einem Zustand des Schocks, der Wut und Benommenheit – wollte, dass seine Schreie nach Gerechtigkeit gehört werden. Während sich die Unruhen und Proteste weiter ausbreiten, wird unsere Ausdrucksweise weiterhin von PolitikerInnen dämonisiert. Wo Einfühlungsvermögen hätte gewährt werden müssen, wurde uns mit Verachtung begegnet. Präsident Trump verherrlichte die Worte des Miami-Police-Chefs Walter Headley von 1967: „Wenn das Plündern beginnt, beginnt das Schießen“, twitterte er (org.: “When the looting starts, the shooting starts“).

Dieser Beitrag von ENI SUBAIR erschien zunächst bei der deutschen Vogue. Hier könnt ihr den gesamten Beitrag aus unserer VOGUE COMMUNITY lesen. 

 

 
 
 
 
 
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Foto im Header: Getty via Vogue

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